Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
„Das Bürgergeld ist kein Etikettenschwindel“
Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, über Ungeimpfte auf dem Arbeitsmarkt – und die geplante Hartz-IV-Reform
Detlef Scheele biegt auf die Zielgerade seines Berufslebens ein: Seit fast fünf Jahren steht der frühere Hamburger Arbeitssenator an der Spitze der Bundesagentur für Arbeit. Voraussichtlich Ende Juni geht es für den 65-Jährigen in den Ruhestand, die frühere Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) soll seinen Posten übernehmen. Bis dahin wartet noch viel Arbeit: Die Kassen der Arbeitsagentur sind leer, die Pandemie ist noch nicht überwunden. Und Hartz IV steht vor einer großen Reform.
Herr Scheele, Deutschland debattiert über eine allgemeine CoronaImpfpflicht. Ist eine Impfung derzeit eine Voraussetzung, um in einen Job vermittelt zu werden?
Detlef Scheele: Nein. Die Frage, ob jemand geimpft ist oder nicht, ist derzeit nicht ausschlaggebend. Der Impfstatus von Beschäftigten hat momentan faktisch keine Auswirkung auf den Arbeitsmarkt, denn es gibt gegenwärtig keine entsprechende Rechtsgrundlage. Hierfür müsste zunächst der Gesetzgeber aktiv werden. Aktuell sind Arbeitgeber verpflichtet, unter Einhaltung von 3G zu beschäftigen oder zu rekrutieren. Mit Einführung einer allgemeinen Impfpflicht wird sich die Lage allerdings ändern.
Inwiefern?
So wie aktuell der 3G-Status am
Arbeitsplatz abgefragt werden muss, bekommen Arbeitgeber dann das Recht, den 2G-Status zu prüfen. Diese Möglichkeit gibt es gegenwärtig nicht. Erst wenn es eine allgemeine Impfpflicht gibt und Verstöße auch mit Rechtsfolgen verbunden sind, können Arbeitgeber einen Bewerber ablehnen, weil er nicht geimpft oder genesen ist. Auch wir als Bundesagentur müssen dann prüfen, ob eine fehlende Impfung zu einer Sperrzeit führt.
Wird das ab Mitte März auch bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht der Fall sein, etwa in Gesundheitsund Pflegeberufen?
Nein, wenn Beschäftigte aus diesen Einrichtungen sich nicht impfen lassen und dann allein wegen der Impfpflicht aus dem Job ausscheiden müssen, führt das in der Regel nicht zu Sperrzeiten beim Bezug von Arbeitslosengeld I. Wir prüfen aber auch immer den Einzelfall. Diese Beschäftigten stehen dem Arbeitsmarkt ja weiterhin zur Verfügung. Sie können in andere Bereiche vermittelt werden, in denen die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht greift. Insofern gehe ich davon aus, dass diese Neuregelung bei der Stellenvermittlung am Arbeitsmarkt eine eher untergeordnete Rolle spielen wird.
Rechnen Sie denn mit vielen Kündigungen beim Gesundheits- und Pflegepersonal?
Gegenwärtig sehen wir keine signifikanten Anzeichen, dass mit Inkrafttreten der einrichtungsbezogenen Impfpflicht Mitte März viele Beschäftigte ihre Stelle aufgeben.
Ob das im großen Stil stattfinden wird, kann ich derzeit aber nicht vorhersagen.
Die Ampel-Koalition will die Grundsicherung durch ein neues Bürgergeld ersetzen. Ist das mehr als ein Imagewandel, um den Begriff „Hartz IV“abzuräumen?
Ich denke, es geht nicht in erster Linie um einen Imagewandel – wenngleich er wünschenswert wäre. Denn wenn der Begriff „Hartz IV“aus der Welt wäre, wäre sowohl den Arbeitslosen wie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Jobcentern geholfen. Ein Teil des Problems sind nämlich die Zuschreibungen beim Thema Hartz IV, die so nicht zutreffen. Wenn wir eine neue Bezeichnung fänden, wäre das gut. Aber es gibt auch Verbesserungen in der Sache. Daher ist es kein Etikettenschwindel.
Wo genau sieht das Bürgergeld Verbesserungen vor?
Es soll künftig eine Teilhabevereinbarung geben. Darin wird ein gemeinsamer Plan entwickelt, mit welchen Schritten es gelingen kann, die Grundsicherung wieder zu verlassen. Das Bürgergeld schafft damit mehr Augenhöhe. Die derzeitige Eingliederungsvereinbarung sieht dagegen eine Rechtsfolgenbelehrung vor und droht mit Sanktionen bei Nichterfüllung von Pflichten.
Dennoch will die Ampel-Koalition Mitwirkungspflichten beibehalten.
Wenn jemand staatliche Hilfe bezieht und dauerhaft seine Mitwirkung verweigert, kommt es zu Sanktionen. Das war vor der Pandemie aber nur bei monatlich drei Prozent aller Hilfebedürftigen der Fall. Das ist ein sehr geringer Anteil. Das Thema spielt im Alltag der Jobcenter keine wirkliche Rolle. Die Sanktionsmöglichkeiten sind zu Recht begrenzt worden. Es gibt etwa keine Sanktionen beim Wohnraum mehr und maximal 30 Prozent Kürzung der Bezüge bei Jugendlichen wie Erwachsenen. Sanktionen werden in der Praxis selten angewendet. Dennoch brauchen wir sie als Ultima Ratio.