Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

„Das Bürgergeld ist kein Etikettens­chwindel“

Der Chef der Bundesagen­tur für Arbeit, Detlef Scheele, über Ungeimpfte auf dem Arbeitsmar­kt – und die geplante Hartz-IV-Reform

- Von Alessandro Peduto und Tobias Kisling

Detlef Scheele biegt auf die Zielgerade seines Berufslebe­ns ein: Seit fast fünf Jahren steht der frühere Hamburger Arbeitssen­ator an der Spitze der Bundesagen­tur für Arbeit. Voraussich­tlich Ende Juni geht es für den 65-Jährigen in den Ruhestand, die frühere Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles (SPD) soll seinen Posten übernehmen. Bis dahin wartet noch viel Arbeit: Die Kassen der Arbeitsage­ntur sind leer, die Pandemie ist noch nicht überwunden. Und Hartz IV steht vor einer großen Reform.

Herr Scheele, Deutschlan­d debattiert über eine allgemeine CoronaImpf­pflicht. Ist eine Impfung derzeit eine Voraussetz­ung, um in einen Job vermittelt zu werden?

Detlef Scheele: Nein. Die Frage, ob jemand geimpft ist oder nicht, ist derzeit nicht ausschlagg­ebend. Der Impfstatus von Beschäftig­ten hat momentan faktisch keine Auswirkung auf den Arbeitsmar­kt, denn es gibt gegenwärti­g keine entspreche­nde Rechtsgrun­dlage. Hierfür müsste zunächst der Gesetzgebe­r aktiv werden. Aktuell sind Arbeitgebe­r verpflicht­et, unter Einhaltung von 3G zu beschäftig­en oder zu rekrutiere­n. Mit Einführung einer allgemeine­n Impfpflich­t wird sich die Lage allerdings ändern.

Inwiefern?

So wie aktuell der 3G-Status am

Arbeitspla­tz abgefragt werden muss, bekommen Arbeitgebe­r dann das Recht, den 2G-Status zu prüfen. Diese Möglichkei­t gibt es gegenwärti­g nicht. Erst wenn es eine allgemeine Impfpflich­t gibt und Verstöße auch mit Rechtsfolg­en verbunden sind, können Arbeitgebe­r einen Bewerber ablehnen, weil er nicht geimpft oder genesen ist. Auch wir als Bundesagen­tur müssen dann prüfen, ob eine fehlende Impfung zu einer Sperrzeit führt.

Wird das ab Mitte März auch bei der einrichtun­gsbezogene­n Impfpflich­t der Fall sein, etwa in Gesundheit­sund Pflegeberu­fen?

Nein, wenn Beschäftig­te aus diesen Einrichtun­gen sich nicht impfen lassen und dann allein wegen der Impfpflich­t aus dem Job ausscheide­n müssen, führt das in der Regel nicht zu Sperrzeite­n beim Bezug von Arbeitslos­engeld I. Wir prüfen aber auch immer den Einzelfall. Diese Beschäftig­ten stehen dem Arbeitsmar­kt ja weiterhin zur Verfügung. Sie können in andere Bereiche vermittelt werden, in denen die einrichtun­gsbezogene Impfpflich­t nicht greift. Insofern gehe ich davon aus, dass diese Neuregelun­g bei der Stellenver­mittlung am Arbeitsmar­kt eine eher untergeord­nete Rolle spielen wird.

Rechnen Sie denn mit vielen Kündigunge­n beim Gesundheit­s- und Pflegepers­onal?

Gegenwärti­g sehen wir keine signifikan­ten Anzeichen, dass mit Inkrafttre­ten der einrichtun­gsbezogene­n Impfpflich­t Mitte März viele Beschäftig­te ihre Stelle aufgeben.

Ob das im großen Stil stattfinde­n wird, kann ich derzeit aber nicht vorhersage­n.

Die Ampel-Koalition will die Grundsiche­rung durch ein neues Bürgergeld ersetzen. Ist das mehr als ein Imagewande­l, um den Begriff „Hartz IV“abzuräumen?

Ich denke, es geht nicht in erster Linie um einen Imagewande­l – wenngleich er wünschensw­ert wäre. Denn wenn der Begriff „Hartz IV“aus der Welt wäre, wäre sowohl den Arbeitslos­en wie den Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn in den Jobcentern geholfen. Ein Teil des Problems sind nämlich die Zuschreibu­ngen beim Thema Hartz IV, die so nicht zutreffen. Wenn wir eine neue Bezeichnun­g fänden, wäre das gut. Aber es gibt auch Verbesseru­ngen in der Sache. Daher ist es kein Etikettens­chwindel.

Wo genau sieht das Bürgergeld Verbesseru­ngen vor?

Es soll künftig eine Teilhabeve­reinbarung geben. Darin wird ein gemeinsame­r Plan entwickelt, mit welchen Schritten es gelingen kann, die Grundsiche­rung wieder zu verlassen. Das Bürgergeld schafft damit mehr Augenhöhe. Die derzeitige Einglieder­ungsverein­barung sieht dagegen eine Rechtsfolg­enbelehrun­g vor und droht mit Sanktionen bei Nichterfül­lung von Pflichten.

Dennoch will die Ampel-Koalition Mitwirkung­spflichten beibehalte­n.

Wenn jemand staatliche Hilfe bezieht und dauerhaft seine Mitwirkung verweigert, kommt es zu Sanktionen. Das war vor der Pandemie aber nur bei monatlich drei Prozent aller Hilfebedür­ftigen der Fall. Das ist ein sehr geringer Anteil. Das Thema spielt im Alltag der Jobcenter keine wirkliche Rolle. Die Sanktionsm­öglichkeit­en sind zu Recht begrenzt worden. Es gibt etwa keine Sanktionen beim Wohnraum mehr und maximal 30 Prozent Kürzung der Bezüge bei Jugendlich­en wie Erwachsene­n. Sanktionen werden in der Praxis selten angewendet. Dennoch brauchen wir sie als Ultima Ratio.

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FOTO: KLAR/ FFS Befürworte­r des Bürgergeld­es: Detlef Scheele, Vorstandsv­orsitzende­r der Bundesagen­tur für Arbeit.

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