Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Wann ist die Pandemie endlich vorbei?
Was nach Omikron passiert – und warum die Frage nach dem Ende von Corona keine rein medizinische ist
Der Punkt, an dem die Omikron-Welle bricht, wird kommen. Noch steigen die Inzidenzen kontinuierlich, doch das soll sich in wenigen Wochen ändern. Mitte bis Ende Februar, sagen Modellierungen, wird die fünfte Corona-Welle in Deutschland einen Scheitelpunkt erreichen und dann abflachen.
Es ist ein Zyklus, der seit Beginn des Jahres 2020 das Leben in Deutschland prägt. Steigende Infektionszahlen, fallende Infektionszahlen. Neue Maßnahmen zur Eindämmung, dann wieder Lockerung. Im dritten Pandemiejahr drängt sich die Frage auf, wie oft sich das noch wiederholen wird. Wann ist die Pandemie endlich vorbei?
Delta könnte zurückkommen und viel Schaden anrichten
Die Antwort darauf hängt von einer Reihe von Faktoren ab – von der Zahl derer, die über Impfung, Infektion oder beides eine Form von Immunschutz haben, von der Dauer dieses Schutzes und davon, ob nach Omikron weitere neue Varianten des Virus auftauchen. Mit Sicherheit beantworten lässt sich derzeit nichts davon, doch auf der Grundlage dessen, was wir über das Virus wissen und über die Immunantwort auf Infektion und Impfung, sind mehrere Entwicklungen denkbar.
Im Gesundheitsministerium geht man derzeit von drei möglichen Szenarien aus. Das erste Szenario lautet: Die Omikron-Variante kommt zurück. Für den Sommer rechnen Expertinnen und Experten mit niedrigen Infektionszahlen, wie es auch in den vergangenen beiden Jahren der Fall war.
Doch im Herbst könnte Omikron wieder an Fahrt aufnehmen, sagt Sebastian Müller, Mitglied einer Arbeitsgruppe der TU Berlin um Kai Nagel, die den Verlauf der Pandemie modelliert. „Wir wissen, dass die Leute im Herbst wieder nach drinnen gehen und der R-Wert sich erhöht“, sagt Müller. „Was wir nicht wissen, ist, wie hoch dann eine nächste Welle wird.“
Denn das hängt davon ab, wie viele Menschen keine oder nur eine unzureichende Immunität gegen das Virus haben – etwa weil eine Immunisierung schon wieder abgeklungen ist oder sie noch gar nicht geimpft sind. Falls die aktuelle Impflücke bestehen bleibt, „könnte eine Welle im kommenden Herbst wieder ähnlich ausfallen wie die aktuelle Welle“, sagt Ulrike Protzer, Leiterin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität München.
Eine allgemeine Impfpflicht würde die Impfquote nach oben treiben. Doch noch ist unklar, ob die bis zum Herbst kommt. Sollten zu wenige Menschen im Herbst einen soliden Impfschutz haben, müsse man möglicherweise wieder vieles dichtmachen, so die Befürchtung im Gesundheitsministerium.
Omikron ist allerdings nicht die einzige Virusvariante, die eine erneute Welle im Herbst verursachen kann. Das zweite Szenario heißt deshalb: Delta kommt zurück. Die Virusvariante, die vor Weihnachten die Intensivstationen an den Rand ihrer Kapazitäten gebracht hatte, ist nicht verschwunden. „Es ist absolut möglich, dass nach dem Abflachen der aktuellen Welle Delta zurückkommt“, sagt Ulrike Protzer.
Forscher unterscheiden aktuell zwei Serotypen des Coronavirus – zu der einen Gruppe gehört Delta, zu der anderen Omikron. Weil Infektionen mit der Delta-Variante deutlich öfter zu schweren Verläufen führen, beobachten die Experten mit Sorge, wenn sich in dieser Linie neue Varianten bilden.
Denn Menschen, die sich mit Omikron infiziert haben, sind nach allem, was man weiß, nur sehr kurz und auch nur bedingt gegen die Delta-Variante geschützt. „Von diesem Schutz wird im Herbst nichts übrig bleiben“, warnt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Heißt: Eine neue Delta-Welle könnte noch schwerwiegendere Folgen haben als eine weitere Omikron-Welle.
Ein drittes Szenario gilt als unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen: Die nächste Variante könnte den bisherigen Impfstoffen entkommen. Erkältungsviren etwa lassen sich zum Beispiel deshalb nicht mit einer Impfung bekämpfen, weil viele von ihnen so häufig mutieren, dass die Impfstoffentwicklung permanent hinterherhinken würde. Theoretisch möglich wäre es, dass auch Varianten des Coronavirus diese Eigenschaft vieler Erkältungsviren annehmen.
Irgendwann wird nach Einschätzung von Fachleuten schließlich auch Corona endemisch werden, zu einer weiteren Krankheit also, die für Menschen tödlich verlaufen kann, die Gesellschaft aber nicht in der Breite lahmlegt.
Wann das genau der Fall sein wird, ist allerdings nicht definiert, sagt Gérard Krause, Epidemiologe am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Die Frage, wann die Pandemie denn nun vorbei sein wird, sei vor allem eine Frage nach dem Umgang mit dem Erreger – und die müsse nicht nur medizinisch, sondern auch gesellschaftlich beantwortet werden. „Wie viele Erkrankungen sind wir bereit zu akzeptieren, wie viele können wir verhindern und um welchen Preis?“, fragt Krause. Darüber müsse es eine gesellschaftliche Verständigung geben.
„Mit der Grippe haben wir uns arrangiert – und so könnten wir uns auch mit Covid arrangieren.“Gérard Krause, Epidemiologe am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig