Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Wann ist die Pandemie endlich vorbei?

Was nach Omikron passiert – und warum die Frage nach dem Ende von Corona keine rein medizinisc­he ist

- Von Julia Emmrich und Theresa Martus

Der Punkt, an dem die Omikron-Welle bricht, wird kommen. Noch steigen die Inzidenzen kontinuier­lich, doch das soll sich in wenigen Wochen ändern. Mitte bis Ende Februar, sagen Modellieru­ngen, wird die fünfte Corona-Welle in Deutschlan­d einen Scheitelpu­nkt erreichen und dann abflachen.

Es ist ein Zyklus, der seit Beginn des Jahres 2020 das Leben in Deutschlan­d prägt. Steigende Infektions­zahlen, fallende Infektions­zahlen. Neue Maßnahmen zur Eindämmung, dann wieder Lockerung. Im dritten Pandemieja­hr drängt sich die Frage auf, wie oft sich das noch wiederhole­n wird. Wann ist die Pandemie endlich vorbei?

Delta könnte zurückkomm­en und viel Schaden anrichten

Die Antwort darauf hängt von einer Reihe von Faktoren ab – von der Zahl derer, die über Impfung, Infektion oder beides eine Form von Immunschut­z haben, von der Dauer dieses Schutzes und davon, ob nach Omikron weitere neue Varianten des Virus auftauchen. Mit Sicherheit beantworte­n lässt sich derzeit nichts davon, doch auf der Grundlage dessen, was wir über das Virus wissen und über die Immunantwo­rt auf Infektion und Impfung, sind mehrere Entwicklun­gen denkbar.

Im Gesundheit­sministeri­um geht man derzeit von drei möglichen Szenarien aus. Das erste Szenario lautet: Die Omikron-Variante kommt zurück. Für den Sommer rechnen Expertinne­n und Experten mit niedrigen Infektions­zahlen, wie es auch in den vergangene­n beiden Jahren der Fall war.

Doch im Herbst könnte Omikron wieder an Fahrt aufnehmen, sagt Sebastian Müller, Mitglied einer Arbeitsgru­ppe der TU Berlin um Kai Nagel, die den Verlauf der Pandemie modelliert. „Wir wissen, dass die Leute im Herbst wieder nach drinnen gehen und der R-Wert sich erhöht“, sagt Müller. „Was wir nicht wissen, ist, wie hoch dann eine nächste Welle wird.“

Denn das hängt davon ab, wie viele Menschen keine oder nur eine unzureiche­nde Immunität gegen das Virus haben – etwa weil eine Immunisier­ung schon wieder abgeklunge­n ist oder sie noch gar nicht geimpft sind. Falls die aktuelle Impflücke bestehen bleibt, „könnte eine Welle im kommenden Herbst wieder ähnlich ausfallen wie die aktuelle Welle“, sagt Ulrike Protzer, Leiterin des Instituts für Virologie an der Technische­n Universitä­t München.

Eine allgemeine Impfpflich­t würde die Impfquote nach oben treiben. Doch noch ist unklar, ob die bis zum Herbst kommt. Sollten zu wenige Menschen im Herbst einen soliden Impfschutz haben, müsse man möglicherw­eise wieder vieles dichtmache­n, so die Befürchtun­g im Gesundheit­sministeri­um.

Omikron ist allerdings nicht die einzige Virusvaria­nte, die eine erneute Welle im Herbst verursache­n kann. Das zweite Szenario heißt deshalb: Delta kommt zurück. Die Virusvaria­nte, die vor Weihnachte­n die Intensivst­ationen an den Rand ihrer Kapazitäte­n gebracht hatte, ist nicht verschwund­en. „Es ist absolut möglich, dass nach dem Abflachen der aktuellen Welle Delta zurückkomm­t“, sagt Ulrike Protzer.

Forscher unterschei­den aktuell zwei Serotypen des Coronaviru­s – zu der einen Gruppe gehört Delta, zu der anderen Omikron. Weil Infektione­n mit der Delta-Variante deutlich öfter zu schweren Verläufen führen, beobachten die Experten mit Sorge, wenn sich in dieser Linie neue Varianten bilden.

Denn Menschen, die sich mit Omikron infiziert haben, sind nach allem, was man weiß, nur sehr kurz und auch nur bedingt gegen die Delta-Variante geschützt. „Von diesem Schutz wird im Herbst nichts übrig bleiben“, warnt Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD). Heißt: Eine neue Delta-Welle könnte noch schwerwieg­endere Folgen haben als eine weitere Omikron-Welle.

Ein drittes Szenario gilt als unwahrsche­inlich, aber nicht ausgeschlo­ssen: Die nächste Variante könnte den bisherigen Impfstoffe­n entkommen. Erkältungs­viren etwa lassen sich zum Beispiel deshalb nicht mit einer Impfung bekämpfen, weil viele von ihnen so häufig mutieren, dass die Impfstoffe­ntwicklung permanent hinterherh­inken würde. Theoretisc­h möglich wäre es, dass auch Varianten des Coronaviru­s diese Eigenschaf­t vieler Erkältungs­viren annehmen.

Irgendwann wird nach Einschätzu­ng von Fachleuten schließlic­h auch Corona endemisch werden, zu einer weiteren Krankheit also, die für Menschen tödlich verlaufen kann, die Gesellscha­ft aber nicht in der Breite lahmlegt.

Wann das genau der Fall sein wird, ist allerdings nicht definiert, sagt Gérard Krause, Epidemiolo­ge am Helmholtz-Zentrum für Infektions­forschung in Braunschwe­ig. Die Frage, wann die Pandemie denn nun vorbei sein wird, sei vor allem eine Frage nach dem Umgang mit dem Erreger – und die müsse nicht nur medizinisc­h, sondern auch gesellscha­ftlich beantworte­t werden. „Wie viele Erkrankung­en sind wir bereit zu akzeptiere­n, wie viele können wir verhindern und um welchen Preis?“, fragt Krause. Darüber müsse es eine gesellscha­ftliche Verständig­ung geben.

„Mit der Grippe haben wir uns arrangiert – und so könnten wir uns auch mit Covid arrangiere­n.“Gérard Krause, Epidemiolo­ge am Helmholtz-Zentrum für Infektions­forschung in Braunschwe­ig

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FOTO: GETTY IMAGES Kulturgenu­ss unter Corona-Bedingunge­n: Zuhörer lauschen im Juni 2021 vor dem Berliner Konzerthau­s der Live-Aufnahme der Oper „Der Freischütz“.

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