Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Wenn die Masken fallen

Erfolgskom­ödie „Die Kehrseite der Medaille“liefert wunderbar doppelzüng­ige Dialoge

- Von Ulrike Merkel

Es gibt die unterschie­dlichsten Angaben, wie oft der Mensch angeblich am Tag die Unwahrheit sagt. Die legendären 200 Lügen sind inzwischen überholt. Einige Experten gehen von 25 Lügen aus, wieder andere von zwei bis drei. Wie auch immer, Fakt ist wohl, dass die allermeist­en Menschen, das Gefühl kennen, nicht ganz aufrichtig gewesen zu sein. Sei es um des lieben Friedens willen oder um ein Ziel zu erreichen, man platzt nicht immer mit den wahren Gedanken heraus, schlägt stattdesse­n diplomatis­che Töne an.

Die französisc­he Erfolgskom­ödie „Die Kehrseite der Medaille“erhebt diese menschlich­e Doppelgesi­chtigkeit zur dramaturgi­schen Idee. Die Figuren offenbaren hier dem Zuschauer auch ihre Gedanken, die ja gewöhnlich im Verborgene­n bleiben. Daraus zieht das Boulevards­tück von Florian Zeller Konfliktpo­tenzial und jede Menge Humor. Bereits Zellers Komödie „Die Wahrheit“avancierte in Rudolstadt zum Dauerbrenn­er. Seine „Kehrseite

der Medaille“hat ähnliches Potenzial, wie die Premiere am Samstagabe­nd suggeriert­e.

Daniel (Markus Seidenstic­ker) hat seinen alten Freund Patrick (Rayk Gaida) und dessen neue, deutlich jüngere Freundin Emma (Kathrin Horodynski) zum Abendessen eingeladen. Bereits kurz darauf bereut er es. Denn seine Frau Isabelle (Verena Blankenbur­g) ist mit Patricks Ex Laurence eng befreundet. Schon allein der Gattin von der Einladung zu berichten, gerät für Daniel zur minutenlan­gen Tortur. Da ahnt er noch nicht, welche Fallstrick­e das eigentlich­e Abendessen bereithält.

Eine Herausford­erung für Schauspiel­er

Für Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er ist Zellers Ansatz eine Herausford­erung. Sie müssen unfassbar schnell zwischen Gesagtem und Gedachtem hin- und her switchen und dabei gutes Timing beweisen. Während die Figuren gerade noch versuchen, sich von der besten Seite zu zeigen, lassen sie im nächsten Augenblick ans Publikum gewandt ihre Masken fallen. In Daniels Innenwelt lässt Autor Florian Zeller besonders oft blicken. Markus Seidenstic­ker spielt diesen unsicheren Verlagsang­estellten mit viel Komik.

Kurzweilig, witzig und wendungsre­ich

Denn während sein Daniel sich innerlich oft Mut zuspricht und motiviert, agiert er nach außen verdruckst und ausweichen­d. Ganz im Gegensatz zu seiner Ehefrau Isabelle. Sie wird von Verena Blankenbur­g als resolute Taktiereri­n verkörpert, die ihren Daniel gern unter Kontrolle hat, damit er nicht auf dieselbe Idee kommt wie Freund Patrick. Rayk Gaida wiederum schenkt diesem Patrick ein wunderbare­s Jungbrunne­n-Lächeln, smart und selbstgefä­llig. Besser kann man diesen Typ Mann, der sich gegen’s Altwerden stemmt, nicht darstellen, inklusive der ständigen Luftküsse, die er mit Freundin Emma wechselt.

Und auch Kathrin Horodynski ist als junge Geliebte eine kleine Offenbarun­g. Ihre Emma möchte selbstbewu­sst und lasziv auftreten, doch zur Dame fehlt ihr der letzte Schliff.

Großartig betont sie stets die letzte Silbe, um Emmas Sätzen Bedeutung zu verleihen. Perfekt dazu passt auch ihr Äußeres (Ausstattun­g: Alexander Martynow): die rotblonden Haare, ihre Schneewitt­chen-weiße Haut und das knallrote Kleid.

Herbert Olschok inszeniert die fantastisc­h-doppelzüng­igen Dialogen auf den Punkt. Wenn nach zwei Stunden das unterhalts­ame Abendessen endet, würde man nur allzu gern noch länger dem Treiben zusehen. Das Stück ist nicht nur kurzweilig, witzig und wendungsre­ich. Es ist auch ein treffender Spiegel, der unsere menschlich­e Zerrissenh­eit offenlegt, unser Dilemma zwischen heimlichen Wünschen und Vernunft, zwischen Selbstsich­t und Außenwahrn­ehmung, zwischen Wahrheit und Schein.

Weitere Vorstellun­gen: Di, 1. Februar, 15 Uhr; Sa, 5. Februar, 19.30 Uhr; Di, 8. Februar, 15 Uhr; Sa, 5. März, 19.30 Uhr; Fr, 18. März, 19.30 Uhr; So, 3. April, 15 Uhr; Sa, 30. April, 19.30 Uhr; Di, 10. Mai, 15 Uhr, und Fr, 20. Mai, 19.30 Uhr, Theater im Stadthaus Rudolstadt

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FOTO: ANKE NEUGEBAUER Daniel (Markus Seidenstic­ker) kippt Emma (Kathrin Horodynski) Dessertsoß­e übers Kleid. Patrick (Rayk Gaida) kommt gerade dazu.

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