Ostthüringer Zeitung (Schmölln)
Gesundheitsrisiko Videokonferenz
Das dauernde Starren auf den Bildschirm schadet Körper und Psyche. Was Arbeitsschutzexperten raten
Corona hat vielen Beschäftigten das Homeoffice gebracht – und damit auch ständige Online-Meetings und Videokonferenzen. Das dauernde Starren auf den Bildschirm, die Blicke der anderen in die eigenen privaten Verhältnisse und der fehlende Small Talk im Kollegenkreis zwischendurch können zum gesundheitlichen Risiko werden, sagen Arbeitsschutzexperten. In einer neuen Praxishilfe zeigen sie Auswege auf.
Die Ratschläge der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), des Dachverbands der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen, beruhen auf wissenschaftlichen Studien in Deutschland und den USA. Demnach wurde eine sogenannte „Zoom-Müdigkeit“oder „Zoom-Erschöpfung“unter den Teilnehmenden häufiger OnlineBesprechungen festgestellt. In der international gebräuchlichen Bezeichnung steht der Name der bekannten Plattform „Zoom“stellvertretend für alle verwendeten Videokonferenzprogramme.
Die Betroffenen beklagten den Studien zufolge sowohl psychische Probleme bei der Konzentration als auch physische Beschwerden wie Rücken- oder Kopfschmerzen. Die DGUV warnt vor möglichen gesundheitlichen Folgeschäden wie Burn-out, Depressionen oder HerzKreislauf-Erkrankungen (siehe dazu auch den Infokasten).
„Videokonferenzen sind für viele Menschen anstrengender als persönliche Meetings“, sagt Christine Heitmann, Referentin am DGUVInstitut für Arbeit und Gesundheit (IAG) in Dresden. Den größten Stressfaktor sieht sie im stundenlangen Sitzen stets im Blickfeld der Bildschirmkamera. „Außerdem entsteht das Gefühl, ständig beobachtet zu werden – und zwar aus einer Nähe, die wir sonst nur im privaten Bereich gewohnt sind.“
Weitere belastende Faktoren sind dem IAG zufolge „durchgetaktete Meetings“, die keine Zeit für Small Talks lassen, Probleme beim Entschlüsseln und Senden von nonverbalen Signalen (Gestik, Mimik) sowie die ungewollten Einblicke der anderen Teilnehmer in die eigene Privatsphäre. Sich permanent selbst auf dem Bildschirm zu sehen, könne außerdem zu einer „selbstfokussierten Aufmerksamkeit“führen. „Wenn dann auch noch die Technik streikt, ist die Erschöpfung programmiert“, so das Institut.
Als Gegenmittel empfiehlt das IAG eine bessere Vorbereitung der Sitzungen. „Ideal sind möglichst kurz gehaltene Online-Meetings mit guter Moderation, klarer Tagesordnung sowie ausreichend Pausen“, sagt Expertin Heitmann. So sollte spätestens jede Stunde eine zehnminütige Online-Pause eingelegt und für die körperliche Bewegung genutzt werden.
„Das bedeutet, lieber ein paar Lockerungsübungen zu machen, statt Privates auf dem Handy zu erledigen“, rät Heitmann. Helfen könnten einheitliche Regeln im Unternehmen, wonach einstündige Online-Besprechungen schon nach 50 Minuten und halbstündige Treffen bereits nach 25 Minuten enden. Statt Inhalte nur live zu vermitteln, könnten sie auch vorab aufgenommen und zum selbst organisierten Lernen verwendet werden.
Um nicht ständig auf einen Bildschirm mit vielen Gesichtern blicken zu müssen, empfiehlt das Institut wechselnde Bildschirmansichten. So könne der Blick beispielsweise auch nur auf die gerade vortragende Person gerichtet werden. Vor Beginn der Sitzung sollte außerdem abgeklärt werden, ob und wann die Kamera ausgeschaltet werden darf, um Augen- und Lockerungsübungen machen oder etwas trinken und essen zu können.
Wird an Sitzungen überwiegend passiv teilgenommen, sollte das Einschalten der Kamera generell optional sein, wenn die vortragende Person damit einverstanden ist, rät das IAG. Wer durch den Anblick von sich selbst an Konzentration verliert, könne bei eingeschalteter Kamera ein Post-it auf das eigene Bildschirmbild kleben. Neben der Arbeit im Plenum empfiehlt das Institut den Austausch in kleineren Gruppen (Breakout-Räume) und das Einplanen von Zeit für einen Small Talk zu Beginn der virtuellen Treffen. Schon vor den Meetings sollte außerdem sichergestellt werden, dass Hard- und Software reibungslos funktionieren.
Muss ich wirklich dabei sein? Das Institut appelliert an die Selbstfürsorge der Beschäftigten. So sollte überlegt werden, ob die eigene Anwesenheit bei einer Online-Sitzung wirklich nötig ist. Möglicherweise reiche es, sich mit anderen bei der Teilnahme abzuwechseln und die wichtigsten Punkte anhand des Protokolls oder per E-Mail zu erfahren. Nicht alle Besprechungen erforderten außerdem, sich gegenseitig zu sehen. „Bietet eine Videokonferenz keine Vorteile, empfiehlt sich die Kommunikation per Telefon“, sagt Referentin Heitmann.
Ein großer Bildschirm kann die Belastung senken
„Es entsteht das Gefühl, ständig beobachtet zu werden.“Christine Heitmann, Referentin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung
Die Homeoffice-Beschäftigten sollten zudem auf gute Arbeitsbedingungen achten. So ließen sich die Belastungen bereits durch einen großen Bildschirm mit einer Diagonalen von mindestens 17 Zoll (44 Zentimeter), eine externe Tastatur, um den Abstand zum Gesicht vergrößern zu können, sowie die jeweils richtige Einstellung von Beleuchtung, Helligkeit und Kontrast verringern. Die Betroffenen müssten gute Arbeitsbedingungen allerdings auch vom Unternehmen einfordern. IAG-Referentin Christine Heitmann: „Hier sind speziell die Führungskräfte in der Pflicht, die Bedürfnisse der Mitarbeitenden im Blick zu behalten.“