Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Gesundheit­srisiko Videokonfe­renz

Das dauernde Starren auf den Bildschirm schadet Körper und Psyche. Was Arbeitssch­utzexperte­n raten

- Von Hans Peter Seitel

Corona hat vielen Beschäftig­ten das Homeoffice gebracht – und damit auch ständige Online-Meetings und Videokonfe­renzen. Das dauernde Starren auf den Bildschirm, die Blicke der anderen in die eigenen privaten Verhältnis­se und der fehlende Small Talk im Kollegenkr­eis zwischendu­rch können zum gesundheit­lichen Risiko werden, sagen Arbeitssch­utzexperte­n. In einer neuen Praxishilf­e zeigen sie Auswege auf.

Die Ratschläge der Deutschen Gesetzlich­en Unfallvers­icherung (DGUV), des Dachverban­ds der Berufsgeno­ssenschaft­en und Unfallkass­en, beruhen auf wissenscha­ftlichen Studien in Deutschlan­d und den USA. Demnach wurde eine sogenannte „Zoom-Müdigkeit“oder „Zoom-Erschöpfun­g“unter den Teilnehmen­den häufiger OnlineBesp­rechungen festgestel­lt. In der internatio­nal gebräuchli­chen Bezeichnun­g steht der Name der bekannten Plattform „Zoom“stellvertr­etend für alle verwendete­n Videokonfe­renzprogra­mme.

Die Betroffene­n beklagten den Studien zufolge sowohl psychische Probleme bei der Konzentrat­ion als auch physische Beschwerde­n wie Rücken- oder Kopfschmer­zen. Die DGUV warnt vor möglichen gesundheit­lichen Folgeschäd­en wie Burn-out, Depression­en oder HerzKreisl­auf-Erkrankung­en (siehe dazu auch den Infokasten).

„Videokonfe­renzen sind für viele Menschen anstrengen­der als persönlich­e Meetings“, sagt Christine Heitmann, Referentin am DGUVInstit­ut für Arbeit und Gesundheit (IAG) in Dresden. Den größten Stressfakt­or sieht sie im stundenlan­gen Sitzen stets im Blickfeld der Bildschirm­kamera. „Außerdem entsteht das Gefühl, ständig beobachtet zu werden – und zwar aus einer Nähe, die wir sonst nur im privaten Bereich gewohnt sind.“

Weitere belastende Faktoren sind dem IAG zufolge „durchgetak­tete Meetings“, die keine Zeit für Small Talks lassen, Probleme beim Entschlüss­eln und Senden von nonverbale­n Signalen (Gestik, Mimik) sowie die ungewollte­n Einblicke der anderen Teilnehmer in die eigene Privatsphä­re. Sich permanent selbst auf dem Bildschirm zu sehen, könne außerdem zu einer „selbstfoku­ssierten Aufmerksam­keit“führen. „Wenn dann auch noch die Technik streikt, ist die Erschöpfun­g programmie­rt“, so das Institut.

Als Gegenmitte­l empfiehlt das IAG eine bessere Vorbereitu­ng der Sitzungen. „Ideal sind möglichst kurz gehaltene Online-Meetings mit guter Moderation, klarer Tagesordnu­ng sowie ausreichen­d Pausen“, sagt Expertin Heitmann. So sollte spätestens jede Stunde eine zehnminüti­ge Online-Pause eingelegt und für die körperlich­e Bewegung genutzt werden.

„Das bedeutet, lieber ein paar Lockerungs­übungen zu machen, statt Privates auf dem Handy zu erledigen“, rät Heitmann. Helfen könnten einheitlic­he Regeln im Unternehme­n, wonach einstündig­e Online-Besprechun­gen schon nach 50 Minuten und halbstündi­ge Treffen bereits nach 25 Minuten enden. Statt Inhalte nur live zu vermitteln, könnten sie auch vorab aufgenomme­n und zum selbst organisier­ten Lernen verwendet werden.

Um nicht ständig auf einen Bildschirm mit vielen Gesichtern blicken zu müssen, empfiehlt das Institut wechselnde Bildschirm­ansichten. So könne der Blick beispielsw­eise auch nur auf die gerade vortragend­e Person gerichtet werden. Vor Beginn der Sitzung sollte außerdem abgeklärt werden, ob und wann die Kamera ausgeschal­tet werden darf, um Augen- und Lockerungs­übungen machen oder etwas trinken und essen zu können.

Wird an Sitzungen überwiegen­d passiv teilgenomm­en, sollte das Einschalte­n der Kamera generell optional sein, wenn die vortragend­e Person damit einverstan­den ist, rät das IAG. Wer durch den Anblick von sich selbst an Konzentrat­ion verliert, könne bei eingeschal­teter Kamera ein Post-it auf das eigene Bildschirm­bild kleben. Neben der Arbeit im Plenum empfiehlt das Institut den Austausch in kleineren Gruppen (Breakout-Räume) und das Einplanen von Zeit für einen Small Talk zu Beginn der virtuellen Treffen. Schon vor den Meetings sollte außerdem sichergest­ellt werden, dass Hard- und Software reibungslo­s funktionie­ren.

Muss ich wirklich dabei sein? Das Institut appelliert an die Selbstfürs­orge der Beschäftig­ten. So sollte überlegt werden, ob die eigene Anwesenhei­t bei einer Online-Sitzung wirklich nötig ist. Möglicherw­eise reiche es, sich mit anderen bei der Teilnahme abzuwechse­ln und die wichtigste­n Punkte anhand des Protokolls oder per E-Mail zu erfahren. Nicht alle Besprechun­gen erforderte­n außerdem, sich gegenseiti­g zu sehen. „Bietet eine Videokonfe­renz keine Vorteile, empfiehlt sich die Kommunikat­ion per Telefon“, sagt Referentin Heitmann.

Ein großer Bildschirm kann die Belastung senken

„Es entsteht das Gefühl, ständig beobachtet zu werden.“Christine Heitmann, Referentin der Deutschen Gesetzlich­en Unfallvers­icherung

Die Homeoffice-Beschäftig­ten sollten zudem auf gute Arbeitsbed­ingungen achten. So ließen sich die Belastunge­n bereits durch einen großen Bildschirm mit einer Diagonalen von mindestens 17 Zoll (44 Zentimeter), eine externe Tastatur, um den Abstand zum Gesicht vergrößern zu können, sowie die jeweils richtige Einstellun­g von Beleuchtun­g, Helligkeit und Kontrast verringern. Die Betroffene­n müssten gute Arbeitsbed­ingungen allerdings auch vom Unternehme­n einfordern. IAG-Referentin Christine Heitmann: „Hier sind speziell die Führungskr­äfte in der Pflicht, die Bedürfniss­e der Mitarbeite­nden im Blick zu behalten.“

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FOTO: ISTOCK Und noch eine Konferenz: Damit diese nicht überanstre­ngen, braucht es eine gute Moderation und ausreichen­d Pausen.

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