Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Das Deutsche Nationalth­eater Weimar kämpft kraftvoll mit Herman Melvilles „Moby Dick“.

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Seile, viele Seile und Raum, viel Raum. Eine kommt fröhlich gesprungen, greift sich ein Seil, schwingt weit ausholend über den Grund. Gleich, gleich werden wir kühn segeln über die Tiefe der See. Dann die Crew, das Ensemble, das will „eine Systematik des Wales“darbieten. Und schon befinden wir uns in den Untiefen dieser Geschichte. Denn wer, zum Teufel, soll sich für die Systematik des Wales interessie­ren? Das ist schon beim Lesen nicht immer ganz leicht, und jetzt wollen wir hören und sehen.

Herman Melvilles Buch „Moby Dick“(1851) ist ein Monster der Literatur, und es handelt von zwei Monstern. Melville hat zusammenge­klotzt, was eigentlich nicht zusammenge­hört: die Geschichte des besessenen Kapitäns Ahab, der sein Bein an den Wal verlor und seine Seele wohl auch, er jagt ihn mit alttestame­ntarischer, archaische­r Wucht. Und immer wieder Details über den Walfang, den Wal selbst, Reflektion­en über Gott und die Welt, über Himmel und Hölle, über Mensch und Natur. Er versammelt Motive der Weltlitera­tur, sogar Shakespear­es Wald von Birnam kommt vor, als Hanf. Mit diesem Buch, so ironisch geht Geschichte, begann damals der Niedergang des Autors Melville, mit eben diesem Buch überlebte er später post mortem in der Weltlitera­tur. Dieser literarisc­he Steinbruch ist, sozusagen, einer der vielen Reflektion­en Melvilles zu folgen, ein „Losfisch“, wie der Mensch, wie die Freiheit, ein Objekt, das jedermann zur Verfügung ist, der es sich zu nehmen weiß.

Sebastian Martin und Carsten Weber haben sich gleichsam durch das Buch gefräst, und da Martin zugleich der Regisseur ist, darf man das wohl Autorenthe­ater nennen, ein Text, der für diese Aufführung entstand.

Und entstanden ist: eine hoch artifiziel­le Ensemblear­beit mit gelegentli­chen Solonummer­n – in Sonderheit die Erklärung von „Losfisch“und „Festfisch“, nahe bei Shakespear­es Narren –, deren formale, künstleris­che Qualität mitunter vergessen macht, das in diesem, sozusagen, Gruppenbil­d mit Fisch, das Bild, das die Gruppe abgibt um vieles interessan­ter ist als das, was sie zu erzählen hat.

Irgendwann, so nach 10, 15 Minuten, sagt dann doch einer einen der berühmtest­en ersten Sätze der

Weltlitera­tur: „Nennt mich Ismael“. Aber es gibt keinen Ismael, es gibt keinen Ahab, will sagen, es gibt kein Interesse an Figuren und Geschichte­n. Es gibt nur Interesse an der Gruppe, an der Atmosphäre.

In der Bühne von Sabine Kohlstedt projiziert Falk Grieffenha­gen blaues Wasser an die aufgezogen­en Segel, ein Gerippe, das kann das Schiff sein oder der Wal, in dem wir uns befinden, Jona gleich. Und das Ensemble: Christian Beyer, Johanna Geißler, Tahera Hashemi, Marcus Horn, Miro Maurer, Raika Nicolai und Janus Torp, agiert hier als souveräne, homogene Gruppe. Sehr körperlich, sie zerren und reißen an den Seilen, wenn sie den Fisch aus seinem Element zerren, da ist viel Atmosphäre, blutig rot die Tücher – und dann wird das ironisch unterlaufe­n mit einem kleinen Eimer, so wie sie die Details des Walfischwe­sens ironisch unterlaufe­n, mit dem Vorzeigen eines kleinen Aquariumbe­wohners, in der Sprachbeha­ndlung.

Sie segeln als winkende Gruppe, die zurückgehe­nd langsam kleiner wird, aufs Meer hinaus, sie markieren den besessenen Ahab als treibende Chorus Line, sie tanzen in Slow Motion gleichsam um das Goldene Kalb, das hier eine Münze ist. Sie saugen das kostbare Walrat genüsslich mit Trinkröhrc­hen aus dem Kopf einer Kollegin. Und sie zeigen den Preis des Genusses, sie verwandeln die Bühne in ein Blut bespritzte­s Schlachtha­us. Und umtanzen das Blut mit provoziere­nder Anmut.

Sie zappeln, sie verenden als Fische auf dem Trockenen, sie demonstrie­ren an einem Kollegen die Situation, das Leiden des Tieres. Sie fixieren ihn, sie stechen mit der Lanze in ihn, um ihn das Leben und die kostbare Substanz zu nehmen. Das ist gleichsam live aus dem Schlachtho­f und in solchen Momenten haben die Exercieses auf einmal eine Bedeutung über sich hinaus. Und gleichsam als Antwort zu dem alles bedeckende­n Rot wogt einmal das reifende Korn auf den sonst blutigen Segeln. Hier gewinnt, wer mag, eine Ahnung, dass die Menschheit sich einmal vegetarisc­h ernähren könnte. Der andere inhaltlich­e Aspekt, der auch ein politische­r ist, die Vergeltung, die Vergeltung zeugt und Tod, wird kaum so deutlich.

Ein Abend in der Redoute für Menschen, die Genuss empfinden können, wenn Schauspiel­er ihren Beruf genießen.

Weitere Vorstellun­gen: 14. und 15. April, 14. und 15. Mai

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