Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Menschen wurden gezwungen, umzuziehen und sich eine Wohnung mit Fremden zu teilen

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Marc Mendelson steht vor einem Haus in der Kleiststra­ße 36 in Berlin. Vor mehr als 80 Jahren stand dort ein anderes Haus. Marc Mendelsons Stief-Urgroßmutt­er Rose Mendelsohn und ihre Tochter Lilli Henoch wohnten damals dort im zweiten Stock. Aber: „Das Haus wurde im Krieg zerstört“, sagt Marc Mendelson.

Damals regierten die Nationalso­zialisten in Deutschlan­d, kurz Nazis. Sie brachten sehr viele Menschen um. Dazu zählten vor allem Juden und Jüdinnen, also Menschen, die der Religion Judentum angehören. Außerdem griffen deutsche Soldaten viele Länder an und lösten so den Zweiten Weltkrieg aus.

Raum zusammenle­ben. Heute werden solche Wohnungen Zwangsräum­e genannt. Auch Rose Mendelsohn und ihre Tochter mussten zu einer fremden jüdischen Familie ziehen. Denn auch sie waren Jüdinnen. „Lilli und Rose mussten sich ein Zimmer teilen“, erzählt Marc Mendelson. Er vermutet, dass die beiden Frauen auf die Jungen der Familie aufpassten.

Jüdische Kinder durften damals keine öffentlich­en Schulen besuchen. Die Mutter der Jungen wurde gezwungen, in einer Fabrik zu arbeiten. Lilli Henoch sei eine berühmte Leichtathl­etin gewesen und habe mehrere Rekorde geholt, sagt Marc Mendelson. „Unter den Nazis durfte sie aber nicht mehr als Sportlerin arbeiten.“

Marc Mendelson hat die Geschichte des Hauses erforscht: „Vieles habe ich aus Archiven erfahren“, erklärt er. Dort liegen zum Beispiel die alten Grundrisse des Hauses. So konnte er sehen, welche Wohnungen es gab und wie viele Zimmer sie hatten. Im Internet hat er alte Telefonbüc­her gefunden. „Da konnte ich genau nachlesen, wer in der Kleiststra­ße 36 gewohnt hat“, erklärt er. Von alten Fotos aus einem Stadtmuseu­m weiß er, wie das Haus früher ausgesehen hat.

Die Geschichte des Hauses ist nun Teil einer digitalen Ausstellun­g über Zwangsräum­e. Marc Mendelson hat daran mit dem Geschichts­verein „Aktives Museum“mitgewirkt. Auf einer Karte und auf Fotos sieht man nun, wo und wie jüdische Menschen in Berlin damals hausen mussten.

In der Wohnung in der Kleiststra­ße 36 hätten damals 18 Juden gewohnt, erklärt Marc Mendelson. „Nur sechs haben überlebt.“Die Mehrheit sei von Nazis verschlepp­t und getötet worden. Darunter seien auch seine Verwandten gewesen.

Obwohl die Geschichte so traurig ist, ist Mendelson froh, sie erforscht zu haben. „Es ist ein Teil unserer Familienge­schichte“, sagt er. „Ich finde es wichtig, dass wir über ihr Schicksal Bescheid wissen und auch andere davon erfahren.“

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