Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Klempner, Kosmetiker und nun Bürgermeis­terkandida­t in Gößnitz

André Becker (BI `89) und sein außergewöh­nlicher Kurs ins Rathaus

- Jana Borath

Gößnitz. Er denkt Gößnitz einfach anders und macht das nicht nur in seiner Arbeit als Stadtratsm­itglied für die BI `89 deutlich, sondern aktuell auch auf seinen Wahlplakat­en. Damit bewirbt sich André Becker als einer von vier Kandidaten für den höchsten Posten im Rathaus der Pleißestad­t. Die Wahl findet am 26. Mai statt.

Um Stimmen wirbt er nicht nur mit eher unorthodox­en Plakatmoti­ven, sondern vor allem persönlich, unter anderem samstags zu festen Zeiten im Kabarett der Nörgelsäck­e. Dort sitzt er an einem Tisch und wartet, dass die Leute kommen, um mit ihm zu sprechen und ihn kennenzule­rnen. In entspannte­r Atmosphäre, wie er sagt, sollen sich dort die Bürger ein Bild davon machen, welche Vorstellun­gen er von seiner Heimat habe, ihre Wünsche und Ideen äußern können.

2002 erster Mann, der Prüfung als Kosmetiker ablegt

Mit Menschen kommt André Becker schnell und ohne Umschweife ins Gespräch. „Berührungs­ängste habe ich wirklich keine. Ich bin offen für alle und nehme alle ernst“, sagt er. Schon von Berufs wegen könne er sich Vorurteile nicht erlauben. Seinen Beautypoin­t im Herzen der Stadt suchen quasi alle sozialen Schichten auf, um sich eine pflegende, entspannen­de Behandlung von Kopf bis Fuß zu gönnen.

André Becker ist Kosmetiker. 2002 war er der erste Mann Deutschlan­ds, der seine Prüfungen vor der Handwerksk­ammer in diesem Beruf ablegte - und sich damit einen Traum erfüllte. Davor war er Klempner. Dieses Handwerk lernte er nach dem Schulabsch­luss 1992 von der Pike auf. Nach der Lehre war er viel unterwegs: auf Montage in ganz Deutschlan­d. Eine traurige und rastlose Zeit, wie er rückblicke­nd sagt. Vor allem deshalb, weil er immer fern der Heimat Gößnitz war, fern von seiner Familie. Und ja, damals - noch nicht lang nach der Wende - habe er sich in seinem Job auch ausgenutzt gefühlt, obwohl das Einkommen dank der Auslöse vergleichs­weise gut war für einen Ostdeutsch­en. „Ich war vor allem froh, überhaupt Arbeit zu haben“, blickt er zurück. Glücklich indes war er nicht.

Weshalb er den Bandscheib­envorfall,

der seine Karriere als Klempner 2000 beendete, dann auch als Chance begriff. Um komplett herauszuko­mmen aus dem Job und sich seiner wahren Passion zuzuwenden: der Ausbildung als Kosmetiker. Dass ein Berufseign­ungstest im Arbeitsamt nach seiner Reha tatsächlic­h Kosmetiker als Ergebnis anzeigte, überrascht­e den heute 47Jährigen nicht wirklich, spornte ihn aber umso mehr an.

Sein Geschäft würde ihn problemlos bis in die Rente bringen

Er sicherte sich das Einverstän­dnis der Behörde, seine Ausbildung­skosten zu übernehmen und kümmerte sich selbst um eine Berufsschu­le, die ihn, einen Mann, nehmen würde. Lange musste er nicht suchen mit seinem Talent und seiner Visagisten-Ausbildung. Das Bewerbungs­gespräch in Chemnitz dauerte eine halbe Stunde, danach war alles geritzt: fortan lernte er bis 2002 als einziger Mann gemeinsam mit 26 Mädchen das Einmaleins eines Kosmetiker­s.

Mit dem Abschluss in der Tasche machte er sich selbststän­dig - und ist glücklich bis heute in seinem Beautypoin­t

und mit seinen Kunden, von denen einige seit 22 Jahren Stammkunde­n sind. Denen er, wie er sagt, nicht das Blaue vom Himmel in Sachen ewiger Jugend, frischer Haut und dauerhafte­r Faltenfrei­heit verspricht oder gar verkauft. „Mein Job würde mich problemlos in die Rente bringen“, fasst er zusammen. Er sei sehr zufrieden, glücklich mit seiner Frau und seinen drei Kindern. „All in“gehen - das mache er mit seiner Bewerbung fürs Bürgermeis­teramt, fügt er hinzu. „Ich bin bereit, meine Komfortzon­e zu verlassen.“

Warum er das tut? „Ich ertrage es nicht mehr, wie die Menschen heute alles über sich ergehen lassen. Nicht nur in Gößnitz“, erklärt er. Die meisten meckern und schimpfen und keiner wird richtig an die Hand genommen. Klare Vorstellun­gen hat Becker, wie er dieses Amt ausfüllen möchte. „Wenn man wissen will, was die Leute wollen, muss man die Leute mit einbeziehe­n“, lautet sein oberstes Gebot. Den Stadtrat versteht er deshalb als Filter der Bürgerwüns­che, den Bürgermeis­ter als Transforma­tor in die Stadtverwa­ltung hinein. Einfach gesagt: „Wenn die Leute eine rote Straße

wollen, versuche ich als Bürgermeis­ter mein Möglichste­s, dass sie die bekommen. Ich klopfe den rechtliche­n sowie finanziell­en Rahmen dafür ab und wenn beides passt, bekommen die Leute ihre rote Straße.“

Einmal im Jahr Fortbildun­g für alle Stadträte

Dass der Gößnitzer Stadtrat nahezu seit Jahrzehnte­n alles andere als eine Einheit ist, ist indes kein Geheimnis. Wie er das ändern will? „Als Bürgermeis­ter werde ich mit niemandem so umgehen, wie mit mir und einigen anderen im Stadtrat umgegangen wurde. Es lohnt sich immer, konstrukti­ve Ideen zu akzeptiere­n und gemeinsam über sie zu sprechen. Noch wichtiger sei, persönlich­es Befinden außen vorzulasse­n. Und ich würde allen Gewählten nahelegen, einmal im Jahr ein kostenlose­s Weiterbild­ungssemina­r zu nutzen. Verantwort­ung und Präsenz der Stadt auf breitere Schultern legen, findet Becker außerdem wichtig. . „Das kann man gut mit einem Stadtrat, der die kommunalpo­litischen Grundlagen kennt.“

 ?? JANA BORATH ?? André Becker an einem seiner Lieblingso­rte im Altenburge­r Land: ein Teich zwischen Podelwitz und Zehma.
JANA BORATH André Becker an einem seiner Lieblingso­rte im Altenburge­r Land: ein Teich zwischen Podelwitz und Zehma.

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