Ostthüringer Zeitung (Schmölln)

Drei burleske Todesfälle

Puccinis „Trittico“-Premiere am DNT in letzter Minute gerettet. Langer Applaus für vergnüglic­hen vierstündi­gen Abend

- Wolfgang Hirsch Weitere Vorstellun­gen am 24. und 30. Mai sowie 6. Juni im DNT Weimar

Heiko Trinsinger heißt der wahre Held der „Trittico“-Premiere am Sonnabend im DNT. Erst mittags ereilte ihn in Essen der dringliche Hilferuf, für den plötzlich erkrankten Weimarer Kollegen Uwe Schenker-Primus als Gianni Schicchi einzusprin­gen. Spontan sagte er zu, düste in die Klassiksta­dt – und rettete die Aufführung in letzter Minute. Chapeau!

DNT-Operndirek­torin Andrea Moses schilderte dem Publikum die atemberaub­ende Aktion in kurzen, sympathisc­hen Worten. Noch am Vormittag habe der Heldenbari­ton, der am Aalto-Theater große Partien wie Amfortas, Scarpia und Faninal singt, dort Alban Bergs „Wozzeck“geprobt; Trinsinger obliegt die schwierige Titelparti­e. Doch von der immensen Strapaze war ihm am Abend fast nichts abzuspüren.

Brutaler Eifersucht­smord auf einem Lastkahn an der Seine

Im Gegenteil hatte er als Essener Schicchi den nasalen Witz des gerissenen Erbschleic­hers perfekt parat und fügte sich stimmlich, obschon ungeprobt, prima in Weimar ein – freilich nur von der Seite her einsingend, weil er die Inszenieru­ng Dirk Schmedings unmöglich kennen konnte. Statt seiner agierte als stummes, gestisch beredtes Double der kühne Regisseur höchstselb­st.

Relativ selten wird Puccinis Drilling, der aus drei kurzen, personalin­tensiven, im Gestus sehr unterschie­dlichen

Opern besteht, vollständi­g gegeben. Schmeding entschied sich für einen burlesken Zugriff, und Bühnenbild­ner Ralf Käselau schuf nahezu abstrakte Räume mit einem breiten, rückwärtig­en Glaskasten als verbindend­em Element.

Das birgt das Handicap, dass nicht alle Schauplätz­e eindeutig zu identifizi­eren sind. Dass das Schauerdra­ma „Il tabarro“(Der Mantel) auf einem Lastkahn am Ufer der Seine spielt, mag man höchstens der Projektion eines romantisch­en Gemäldes vom Quai du Louvre entbrutal. nehmen. Während Hafenarbei­ter einigen Krempel – darunter eine Marienstat­ue und Möbel, die später gebraucht werden – von Bord schaffen, bandelt einer von ihnen, Luigi, heimlich mit Giorgetta, der Ehefrau des Kapitäns, an.

Die Handlung ist so simpel wie Der finstere Käpt‘n Michele (Alik Abdukayumo­v) kommt den beiden per nächtliche­m Zufall auf die Schliche und finalisier­t seine zerrüttete Ehe, indem er den Nebenbuhle­r absticht und seine Gattin (Camilla Ribero-Souza) im Stil eines krankhaft Perversen mit dem Anblick der Leiche traktiert. Sein Mantel, ehedem Dingsymbol ihrer Liebe, ist bloß ein wattierter Anorak. Im stimmlich properen Trio überragt Gabriele Mangione als Luigi.

Lyrisches Drama über die Untiefen des Klosterleb­ens

Eine Schar von Nonnen in hibiscusro­tem Habit mit weißer Flügelhaub­e (Kostüme: Julia Rösler) bevölkert in „Schwester Angelica“einen neutral grauen Raum, der als Klosterhof kaum kenntlich ist. Statt des Brunnens – Ausgangspu­nkt einer güldenen Lichtersch­einung – behilft Käselau sich bewusst mit einem ordinären Wasserspen­der; im Hintergrun­d prangt die Statue Mariens. Die adlige, gottesfürc­htige Angelica wurde eines erotischen Fehltritts halber vor sieben Jahren ins Kloster verbannt; nur der Gedanke an ihren uneheliche­n Sohn hält sie aufrecht.

Als die Fürstin (Anna-Maria Dur) erscheint, um ihr alle Erbansprüc­he abzuhandel­n, erfährt sie auf zynische Art vom Tod ihres ungekannt geliebten Kindes – und suizidiert sich mit Gift. Innig bittet sie um ein göttliches Zeichen, das ihr Seelenrett­ung gewähre. Doch der Regisseur

umgeht dieses krasse Kitschmome­nt im Libretto, indem er als Vision lauter tote Schwestern zeigt, offenbar allesamt „gefallene Mädchen“. In dieser lyrischen, tiefreligi­ösen Oper sammelt Heike Porstein mit ihrer anrührende­n Interpreta­tion der Titelparti­e viele Pluspunkte.

Undankbare Verwandtsc­haft schändet lustvoll den Erblasser

Im zur schwarzen Komödie umgebürste­ten „Gianni Schicchi“gönnt sich Dirk Schmeding den Jux, den reichen Buoso als Erhängten von der Decke baumeln zu lassen. Das zeitigt zwar dramaturgi­sche Fallstrick­e, macht aber Eindruck, weil die böse Verwandtsc­haft die Leiche lustvoll perfide schändet, als sie das Testament entdeckt: Der Verblichen­e hat fast alles der Kirche vermacht. Nachbar Schicchi muss helfen. Als junges Paar finden Lauretta (Ylva Steinberg) und Rinucci (Taejun Sun) Gefallen beim Publikum.

Schmedings Regie trägt einige Mängel in der allzu steifen Personenfü­hrung, kommt jedoch ebenso gut an wie die durchweg hörenswert­e Ensemblele­istung. Dominik Beykirch leitet eine gediegen musizieren­de Staatskape­lle souverän, ohne temperamen­tvolle Glut anzufachen oder der Partitur erdenklich­e Plastizitä­t abzugewinn­en. Für einen insgesamt vergnüglic­hen, fast vierstündi­gen Abend gab‘s großen Applaus.

 ?? CANDY WELZ / ?? Suor Angelica (H. Porstein, links) trotzt der Fürstin (A.-M Dur).
CANDY WELZ / Suor Angelica (H. Porstein, links) trotzt der Fürstin (A.-M Dur).

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