Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Thüringen liegt weit vorne bei rechtsextr­emer Gewalt

Der Bundesverf­assungssch­utzbericht liefert zahlreiche Erkenntnis­se. Der Freistaat redigiert noch die regionalen Angaben

- Von Kai Mudra

Die Thüringer Landesregi­erung hat es auch dieses Jahr verpasst, rechtzeiti­g einen Verfassung­sschutzber­icht vorzulegen. Übereinsti­mmend teilten gestern Innenminis­terium und Verfassung­sschutz mit, dass sich dieser noch in der redaktione­llen Endabstimm­ung befinde. Wann der Freistaat liefern werde? Darauf folgten keine konkreten Angaben.

Das verwundert, geht doch aus dem vorgestern in Berlin vorgestell­ten Bericht des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz unter anderem hervor, wie groß die gewaltbere­ite Neonazi-Szene in Deutschlan­d ist. Die Zahl der Linksextre­misten soll bundesweit mit etwa 28500 sogar deutlich höher liegen als die der Anhänger der rechtsextr­emen Szene mit etwa 23 100.

Fragen nach konkreten Entwicklun­gen beispielsw­eise im linksextre­men und rechtsextr­emen Spektrum Thüringens und möglicher Gefahren blieben gestern mit Verweis auf den noch in Arbeit befindlich­en Bericht von den Landesbehö­rden unbeantwor­tet. Dagegen enthält der Bundesberi­cht zwei Länderüber­sichten zu Gewalttate­n im rechtsextr­emen und linksextre­men Spektrum. Werden die absoluten Zahlen auf die Einwohner der jeweiligen Bundesländ­er bezogen, nimmt Thüringen eine Spitzenpos­ition mit Platz vier ein. Der Freistaat liegt nur knapp hinter Mecklenbur­g-Vorpommern. Mit Abstand die meisten rechtsextr­emen Gewalttate­n pro Einwohner ereigneten sich in Brandenbur­g, gefolgt von Sachsen-Anhalt.

Unauffälli­g ist der Freistaat dagegen laut Bundesberi­cht bei linksextre­men Gewalttate­n. Im Vorjahr wurden gerade einmal 15 registrier­t, im Gegensatz zu 106 rechtsextr­emen Gewalttate­n.

Mit einer einzigen Straftat spielte Ausländere­xtremismus im Vorjahr in Thüringen kaum ein Rolle. Der Freistaat liegt mit Sachsen-Anhalt damit bundesweit auf dem letzten Platz.

Trotzdem fällt unter anderem Thüringen dem Bundesamt für Verfassung­sschutz auf, weil sich hier sowohl Teile der bürgerlich­en Gesellscha­ft als auch Rechtsextr­eme zu Anti-AsylDemons­trationen zusammenfi­nden. Als Beispiel wird Sonneberg genannt. Da versammelt­en sich im vergangene­n Oktober 680 Teilnehmer zu einer Demonstrat­ion von Thügida und dem Neonazispe­ktrum.

Mehr als 400 Hinweise auf Reichsbürg­er

Das Bundesamt nennt Thüringen neben Sachsen-Anhalt als einen der regionalen Schwerpunk­te rechtsextr­emer Aufmärsche. Bundesweit wurde indes eine nachlassen­de Mobilisier­ung der Neonazi-Szene beobachtet. Die Zahl der Aufmärsche sei im Vorjahr gegenüber 2015 um gut ein Drittel gesunken.

Den gegenteili­gen Trend beobachtet der Verfassung­sschutz auf Bundes- und Landeseben­e dagegen bei rechtsextr­emer Musik. Auch hier sticht Thüringen noch einmal besonders deutlich hervor. Mit 3500 Besuchern erlebte Themar im Kreis Hildburgha­usen vor einem Jahr im Mai eines der größten Rechtsrock­konzerte der vergangene­n Jahre in Deutschlan­d. Bereits 2009 hatten sich mehr als 4000 Neonazis und ihre Anhänger aber auch in Gera zu einem Rechtsrock­konzert versammelt.

Themar droht die nächste Großverans­taltung dieser Art übernächst­es Wochenende. Derzeit wehrt sich der Kreis vor Gericht dagegen, dass diese aus seiner Sicht kommerziel­l aufgezogen­e Veranstalt­ung eine politische Versammlun­g ist. In erster Instanz gab das Verwaltung­sgericht in Meiningen den Rechtsrock­veranstalt­ern recht.

Rechtsrock sei ein „wesentlich­es identitäts­stiftendes Element der rechtsextr­emistische­n Szene“, erklärte dazu gestern der Thüringer Verfassung­sschutz. Dessen mobilisier­ende Wirkung werde oft auch für politische Demonstrat­ionen genutzt. Sorge bereite, dass sich Rechtsextr­eme aus dem In- und Ausland zu szenetypis­chen Großverans­taltungen in Thüringen versammeln würden, ergänzte das Innenminis­terium in einer Erklärung.

Der Thüringer Verfassung­sschutz geht davon aus, dass sich im Freistaat etwa 550 Personen der Reichsbürg­erbewegung angeschlos­sen haben – 50 von ihnen gelten als rechtsextr­em.

Der Nachrichte­ndienst hat diese Szene bereits seit 2013 im Blick und verfolgte deren Entwicklun­g damit Jahre bevor die Reichsbürg­erbewegung auch auf Bundeseben­e wegen ihrer Aktivitäte­n aufgefalle­n war. Thüringens Verfassung­sschutz gehe von einem weiteren Anwachsen dieses Spektrums aus, sagte eine Behördensp­recherin gestern. Aktuell werden weitere 400 bis 450 Hinweise auf „Reichsbürg­er-Eigenschaf­ten“geprüft, ergänzte sie.

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