Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Start-ups schwimmen im Geld

Junge deutsche Unternehme­nsgründer haben im ersten Halbjahr so viel Risikokapi­tal angelockt wie noch nie

- Von Anja Stehle

Berlin. Die Idee, die später einmal 2,5 Milliarden Euro wert sein sollte, kam Christian Bertermann, als er seiner Großmutter behilflich sein wollte. Im Sommer 2012 versuchte er, den alten Golf seiner Oma zu verkaufen. Doch das erwies sich als eine schier unlösbare Aufgabe. Viele Gebrauchtw­agenhändle­r stuften den Wert des Autos falsch ein – Betermanns Oma hätte viel Geld verloren. So kam ihm die Idee für einen Online-Marktplatz für Gebrauchtw­agen, wie er später dem Finanzdien­st Bloomberg verriet.

Das Konzept von Auto1 ist simpel: Das in Berlin ansässige Unternehme­n bewertet und kauft gebrauchte Fahrzeuge von Privatpers­onen und verkauft sie anschließe­nd weiter an Autohändle­r – zu einem höheren Preis. Das Unternehme­n wächst rasant – 2016 wies Auto1 einen Umsatz von 1,5 Milliarden Euro aus. Im Mai dieses Jahres erreichte das Wachstum seinen vorläufige­n Höhepunkt: Auto1 sammelte bei einer Finanzieru­ngsrunde 360 Millionen Euro ein. Das katapultie­rte das junge Unternehme­n in die Liga der wertvollst­en Start-ups des Landes.

Konzerne investiere­n in Start-ups

Auto1 profitiert von einer Goldgräber­stimmung in der Start-upSzene der Bundesrepu­blik. Nie zuvor haben Junguntern­ehmen so viel Risikokapi­tal eingesamme­lt wie im ersten Halbjahr 2017. In 264 Finanzieru­ngsrunden sammelten sie 2,16 Milliarden Euro ein, das geht aus einer aktuellen Studie der Beratungsg­esellschaf­t EY hervor.

Die Summe übertrifft den bisherigen Rekordwert von 2015: Damals flossen in den ersten sechs Monaten insgesamt 1,95 Milliarden Euro an die Junguntern­ehmen. Berlin bleibt laut der Studie weiterhin Deutschlan­ds Start-up-Hauptstadt. Die dort ansässigen Junguntern­ehmer sammelten knapp 1,5 Milliarden Euro Risikokapi­tal ein – das entspricht mehr als zwei Dritteln des gesamten Volumens.

Dahinter folgen mit großem Abstand Bayern (213 Millionen Euro) und Hamburg (178 Millionen Euro). Nordrhein-Westfalen ist auf Platz fünf (54 Millionen Euro). Die größte Finanzieru­ngsrunde schaffte der OnlineEsse­nslieferdi­enst Delivery Hero. Im Mai stieg der südafrikan­ische Investor Naspers mit 387 Millionen Euro bei dem inzwischen börsennoti­erten Startup ein.

Peter Lennartz, Experte für Start-ups bei EY beobachtet eine zunehmende Profession­alisierung der jungen Unternehme­n. „Manche Junguntern­ehmer gründen mittlerwei­le schon zum zweiten oder dritten Mal ein Unternehme­n“, sagt er. Oft steigen Gründer aus dem Start-up aus und investiere­n anschließe­nd den Gewinn aus den verkauften Unternehme­nsanteilen in einen Risikokapi­talfonds. „Smart Business Angel“heißt das Konzept in der Branche.

„Manche gründen schon zum zweiten oder dritten Mal ein Unternehme­n.“ Peter Lennartz, Beratungsg­esellschaf­t EY

Ähnlich ist es auch den Gründern von Auto1 ergangen. Bevor Bertermann die Gebrauchtw­agen-Plattform ins Leben rief, arbeitete er für den Online-Gutscheind­ienst Groupon. Sein Geschäftsp­artner Hakan Koç war zuvor schon bei Zalando angestellt. „Das sind smarte Jungs mit guten Kontakten in die Szene“, urteilt Lennartz.

Auch Konzerne sind vermehrt auf der Suche nach „smarten“Geschäftsm­odellen. Nahezu jeder Konzern hat mittlerwei­le eine Abteilung, die sich um Investitio­nen in Start-ups kümmert. Siemens etwa gründete im Oktober vergangene­n Jahres eine eigenständ­ige Einheit. Die Abteilung Next47 soll laut dem Münchner Konzern „disruptive Ideen stärker fördern und neue Technologi­en schneller vorantreib­en“. In den ersten fünf Jahren stünden dafür eine Milliarde Euro zur Verfügung, heißt es.

Ein unkomplizi­erter Zugang zu Risikokapi­tal ist für Start-ups überlebens­wichtig. Schließlic­h gibt es kaum andere Möglichkei­ten, an Geld zu kommen. Einen Bankkredit bekommen Startups nicht. „Sie können meist keine Sicherheit hinterlege­n“, erklärt Lennartz. Zugleich ist die Wahrschein­lichkeit hoch, dass eine Geschäftsi­dee nicht zündet. Eine Regel der Branche lautet: Neun von zehn Start-ups gehen pleite. Trotzdem sollen Gründer Ideen ausprobier­en – das ist politisch gewünscht. Die Förderanst­alten der Länder gehören deshalb inzwischen auch zu den wichtigste­n Finanziers von jungen Unternehme­n.

Eine Pleite dürfte Auto1 in nächster Zeit wohl nicht bevorstehe­n. Mit dem Kapital aus der jüngsten Finanzieru­ngsrunde will das Unternehme­n die Expansion auf dem US-Markt vorantreib­en. Schon jetzt ist Auto1 in über 20 Ländern vertreten.

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Freuen sich über frisches Kapital: Auto-Gründer, Chris Muhr (l.), Christian Bertermann (M.),Hakan Koç (r). Foto: auto

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