Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Wie Lehrer über Migranten denken

Studie: Pädagogen trauen türkischst­ämmigen Schülern weniger zu

- Von Julia Emmrich

Sind Marie und Paul bessere Schüler als Mehmet und Yasemin? Nimmt man nur die Schulnoten, stimmt das häufig: Kinder aus Zuwanderer­familien schneiden in der Schule oft schlechter ab als ihre deutschstä­mmigen Klassenkam­eraden. Alle Jahre wieder mahnen Schulstudi­en, dass Bildungser­folg in Deutschlan­d noch immer eine Frage der Herkunft ist. Doch welche Rolle spielen dabei die Lehrer und deren Einstellun­gen? Migrations­forscher beklagen, dass in heutigen Klassenzim­mern pädagogisc­he Erwartungs­muster und Denkschabl­onen dazu beitragen, dass Kinder nicht die gleichen Lernchance­n haben. Sprich: Viele Lehrer trauen Mehmet und Yasemin von vornherein weniger zu als Marie und Paul.

Umfragen zeigten zwar, dass die meisten Lehrer Zuwanderer­n gegenüber offener eingestell­t seien als der Durchschni­tt der Deutschen. Dennoch seien viele der Ansicht, dass etwa Muslime weniger bildungsor­ientiert seien als die Mehrheitsg­esellschaf­t, erklärte die Berliner Migrations­forscherin Naika Foroutan am Donnerstag in Berlin. Bildungsfo­rscherin Petra Stanat hat zudem herausgefu­nden, dass manche Lehrer gerade bei türkischst­ämmigen Kindern schwächere Leistungen erwarten, selbst dann, wenn sich die Schüler in ihren bisherigen Ergebnisse­n und ihrem sozioökono­mischen Status nicht von deutschen Kindern unterschei­den. Für ihre Studie „Vielfalt im Klassenzim­mer. Wie Lehrkräfte gute Leistung fördern können“haben die beiden Professori­nnen des Berliner Instituts für Integratio­nsund Migrations­forschung (BIM) zusammen mit den Forschern des Sachverstä­ndigenrats deutscher Stiftungen für Integratio­n und Migration (SVR) Umfragen und Schulexper­imente ausgewerte­t.

Die Ergebnisse betreffen nicht nur eine Minderheit: Jeder dritte Schüler hat ausländisc­he Wurzeln, Vielfalt ist längst Alltag in deutschen Klassenzim­mern. „Wir wissen“, sagt Stanat, „dass Stereotype unser Denken und Handeln beeinfluss­en können, selbst wenn wir diese Vorannahme­n nicht glauben. Unsere Studie zeigt, dass dies auch in der Schule vorkommen kann.“Und zwar nicht nur dann, wenn Lehrer einem Kind automatisc­h weniger zutrauen, weil es einen türkischen Namen hat. Sondern auch dann, wenn die Pädagogen besonders hohen Lerneifer erwarten, weil ein Kind aus einer asiatische­n Familie kommt, oder besonders gute Mathenoten, weil es aus einer russischen Familie stammt.

Um den pädagogisc­hen Vorurteile­n auf die Spur zu kommen, haben Stanat und ihre Mitarbeite­r bei einem Schulversu­ch mit 68 Grundschul­klassen im Ruhrgebiet das Verhalten der Lehrer über einen längeren Zeitraum beobachtet: Erstklässl­er, denen die Pädagogen den Wechsel zum Gymnasium zutrauten, wurden häufiger aufgerufen, die Lehrer beschäftig­ten sich auch länger mit ihnen. Weil viele Pädagogen trotz gleicher Ausgangsle­istungen Kindern mit türkischem Hintergrun­d weniger Chancen aufs Gymnasium ausrechnet­en, bekamen sie auch weniger Aufmerksam­keit als die Kinder mit osteuropäi­schen oder deutschen Wurzeln, so das Fazit der Forscherin. Problemati­sch sei zudem, dass viele Kinder das Stereotyp vom schwachen Schüler verinnerli­chen würden – das Vorurteil werde so zu einer selbsterfü­llenden Prophezeiu­ng.

Nicht beantworte­n kann die Studie die Frage, wo genau das Vorurteil der schwächere­n Leistungsf­ähigkeit beginnt – und wo Lehrer nach Jahren der Praxis bei ihren Erwartunge­n schlicht auf Erfahrungs­werte zurückgrei­fen. Denn: Viele türkische Eltern haben zwar einen hohen Bildungsan­spruch, unterstütz­en ihre Kinder oft aber nicht so stark, wie es in anderen Familien üblich und möglich ist. Das hat viele Gründe – unter anderem Sprachprob­leme, Probleme mit dem deutschen Schulsyste­m, eigene Bildungsde­fizite.

Unterstütz­ung brauchen jedoch nicht nur die Schüler, sondern auch die Lehrer: „Lehrkräfte haben wie alle anderen Menschen auch Denkmuster und Vorurteile“, sagte Marlis Tepe, Vorsitzend­e der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW), dieser Zeitung. Um Denkschabl­onen abzulegen, müssten sowohl angehende als auch erfahrene Lehrer besser unterstütz­t werden: „In der Ausund Fortbildun­g der Lehrer müssen wir ein Bewusstsei­n für die Vielfalt in den Klassenzim­mern fördern und weg von der Betrachtun­g der Fehler hin zu einer Stärkung der Stärken kommen.“

Tepe forderte die Lehrer aber auch auf, kritisch mit sich selbst zu sein: „Wir müssen immer wieder unsere eigene Haltung reflektier­en.“Dazu müsse der Staat aber deutlich mehr Ressourcen bereitstel­len.

„Lehrkräfte haben wie alle anderen Menschen auch Denkmuster und Vorurteile.“ Malis Tepe, Vorsitzend­e der Lehrergewe­rkschft GEW

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Lehrer trauen Schülern mit osteuropäi­schen Wurzeln bessere Leistungen zu als türkischst­ämmigen Kindern, heißt es in einer neuen Studie. Foto: dpa pa

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