Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Eine verbotene Liebe
Das Theaterhaus Jena eröffnet die Kulturarena sehr überzeugend mit Friedrich Hebbels „Judith“
Viel Volk. Es wimmelt als wären sie in Wallensteins Lager, nur, dass kaum jemand so aussieht wie die Gustl von Blasewitz. Kopftücher, Palmenwedel, Maschinenpistolen, ein deutscher Waffenbruder ist auch dabei. Kleine Rempeleien, zwei Frauen werden ausgesondert zu späterer Bestrafung, lange Messer werden gesegnet. Wind heult, Sand ist aufgeschüttet. Dann kommt der halbe Gott, sein Name ist Holofernes, und beturnt das Gerüst. Es wird angebetet und exekutiert, Feuer und Rauch. Das ist ein schönes Bild, aber es ist das Bild eines Spektakels. Ein Bild, das viel zeigt und wenig berührt.
Anders als die Schrift singt Friedrich Hebbel in seinem Erstling (1840) nicht das Hohe Lied des Gottvertrauens, und wo Goethe noch wusste, was gut und böse ist, da ist diese Sicherheit hier im Schwinden. Die schöne Jüdin, die ihr Volk rettet, indem sie den feindlichen Heerführer betört und ermordet, triumphiert hier nicht: Sie begreift, dass die Freiheit ihr nur zum Vorwand diente. Dieses Drama mit seinen reichlich zwanzig Rollen ist im Grunde ein Zwei-Personen-Stück mit dramaturgischem Hilfspersonal. Hier haben sie, außer dem schauspielerischen Hilfspersonal, noch beinahe 50 Statisten. Es ist eine große Bühne und die will gefüllt sein. Aber dann kommt sie. Tritt allein aus dem Nebel ins bengalische Licht. Und rechtfertigt mit dem ersten Ton den großen Auftritt. Erzählt von ihrer Brautnacht, in der sie unberührt blieb wie in allen folgenden Nächten, bis sie zur Witwe wurde. Ihr Mann wollte ihr das Geheimnis im Sterben nennen, der Tod verbot es ihm. Es war wohl, weil ein Gott ihm sagte, die Liebe dieser schönen Frau sei der Tod. Dann kommt Ephraim, der sie liebt, doch sie kann nur einen Helden lieben, einen, vielleicht, wie Holofernes. Und nachdem Klara Pfeiffer die große Bühne allein gefüllt und beherrscht hat, erzwingen Jonas Laux und sie eine erstaunliche Intensität. Die sich windenden Hebräer, eine Choreografie des Leidens (Zufit Simon), die Sängerin Rapahelle Brochet, die sehr viel tut für die Atmosphäre des Abends, klagt Wehmut und Trauer. Und die schöne jungfräuliche Witwe fleht, wo sie schon nicht sinnvoll leben kann, wenigstens so sterben zu dürfen.
Moritz Schönecker, dem Regisseur, gelingt in diesen zwei Stunden, was sonst eher selten gelang: Das Spektakel, das jährlich die Kulturarena eröffnet, zu verbinden mit tatsächlichem Theater. Hier markieren sich neben dem Gewimmel, das die große Bühne benötigt, neben den leuchtenden und rauchenden Effekten, die die Nacht benötigt, Schauspieler, die das Theater benötigt. Hier können, hier dürfen, die Darsteller Geschichten erzählen. Die Geschichte vor allem, von der Frau, die den Mann töten muss, den sie liebt, da er ihr Volk vernichten will, da er strahlend steht zwischen ihr und ihrem Gott. Und selbst die Tableaus haben hier eine erzählende Funktion: Gewimmel, ein wenig wie vom Räuberlager bei Holofernes, ein ruhiges, visuelles Erzählen vom Leiden bei den dürstenden Belagerten, die irre werden an ihrem Glauben.
Und immer wieder diese erstaunliche, bei dieser Gelegenheit früher nie gesehene Intensität des Partnerspiels, das große Format, das den Schauspielern zur Folie dient.
Klara Pfeiffer kann die Ambivalenz ihrer Figur, die sich selbst misstraut. Sie führt dem Holofernes ein Weibertheater auf, sie spielt mit ihm – und ist doch zugleich todernst in ihr eigenes Begehren verstrickt. Die Freiheit, das Volk, denen sie dienen will, dienen doch nur ihr zum Vorwand – und sind zugleich ernst gemeint, so ernst, dass sie töten muss, was sie doch lieben könnte. Das ist Hebbel, da wird der Einzelne dem Ganzen zum Opfer gebracht. „Nichts trieb mich“, bekennt sie, „als der Gedanke an mich selbst“– und erschrickt vor dieser Erkenntnis, die es ihr verwehrt, den Dank und die Verehrung des Volkes anzunehmen.
Leander Gerdes hat es da schwerer, sein Holofernes hat viel MachoZeug abzusondern. Gerdes ist nicht der Mann mit der breiten Brust. Der Schauspieler, eher schmal, eher ein Jüngling als ein Krieger, holt seine Ausstrahlung aus Stimme und Sprache. Er spricht gleichsam bleich, gelangweilt von all der Demut ringsum, dekadent aus Mangel an Widerpart. So ist er bereit für die dunkle Kraft dieses Weibes, so verfällt er ihr und so fällt sie ihn. Und geht, die Heldin, am Ende leise ab, der Jubel des geretteten Volkes hat nichts zu tun mit ihr.
So überzeugend sah ich noch nie eine Kulturarena eröffnet.
Der Einzelne wird dem Ganzen zum Opfer gebracht
Weitere Vorstellungen heute und morgen, jeweils . Uhr