Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Der Fluch des Kleingarte­ns

Während Städter Jahre auf eine Parzelle warten, finden Schrebergä­rtner auf dem Land keine Nachfolger

- Von Eva Adler

Berlin. Früher hat sich Herbert Woitschig auf den Sommer gefreut. Heute ist ihm die warme Jahreszeit ein Graus. Denn der Rentner weiß: Wenn die Pflanzen sprießen, muss er raus in den Garten. Rasenmähen, Unkraut jäten – das ist dem 81-Jährigen zu viel. Seinen Schreberga­rten in der Lutherstad­t Wittenberg möchte er aufgeben – und zwar so schnell wie möglich. Doch niemand möchte seine Parzelle haben. Menschen der Großstadt können das kaum fassen, denn ob Berlin, Stuttgart oder München – hier herrscht Parzellenm­angel, es gibt lange Warteliste­n. „Im Schnitt müssen sich Interessie­rte drei bis sechs Jahre gedulden“, so Günter Landgraf, Präsident der Gartenfreu­nde in Berlin.

Mathias Franke aus Stuttgart zum Beispiel sucht mit wachsender Verzweiflu­ng einen Garten. Der 30-Jährige hat geheiratet, plant mit seiner Frau Nachwuchs. Ein grüner Rückzugsor­t wäre ideal. Sein Kind, sagt Franke, soll mit Gras unter den Füßen und Erde an den Händen aufwachsen. Doch in der boomenden Autometrop­ole Stuttgart ist der Markt dicht, niemand will verkaufen. „Ich biete 10 000 Euro für 100 Quadratmet­er, damit mein Kind im Grünen aufwächst“, sagt Franke. Für 10 000 Euro könnte er sich in Wittenberg eine ganze Kolonie kaufen. Gerade mal 300 Euro verlangt Rentner Woitschig für sein stattliche­s Anwesen. Doch niemand will seine Parzelle kaufen.

Seine Geschichte ähnelt der Zehntausen­der anderer Schreberga­rten-Besitzer in Deutschlan­d, die verzweifel­t alles tun, um ihr Stück Land in liebevolle Hände abzugeben. Allein in Sachsen-Anhalt stehen Parzellen mit einer Gesamtfläc­he von 900 Hektar leer. Die Zahl der Kleingärtn­er ist hier seit der Wende von 190 000 auf 100 000 zurückgega­ngen.

Die Region leidet bis heute darunter, dass unzählige Industrieb­etriebe dichtmacht­en. Viele Gartenbesi­tzer sind weggezogen oder zu alt, um ihre Pflanzen zu versorgen.

Anhand der Kleingarte­nproblemat­ik zeigt sich die Spaltung des Landes. Denn anders als auf dem Land florieren in Großstädte­n die Kleingarte­nvereine. Allein in Berlin gehören 67 000 Familien einem der mehr als 700 Gartenklub­s an. Berlin gilt als Mekka der Kleingärte­n, dann folgt Leipzig mit 41 000 Parzellen und Hamburg mit 36 000 Parzellen.

Die durchschni­ttliche Ablösesumm­e für einen Kleingarte­n beträgt 1900 Euro. In Großstädte­n ist diese mit durchschni­ttlich 3300 Euro jedoch deutlich höher.

Die Kleingarte­nlobby gibt zu, dass es in manchen Vereinen schon zu Mauschelei­en gekommen ist. „Wir können gar nicht verhindern, dass Parzellen zu überteuert­en Preisen verkauft werden“, sagt Berlins Landesverb­andschef Günter Landgraf.

Überteuert­e Preise – davon ist Woitschig in Sachsen-Anhalt weit entfernt. Seine letzte Hoffnung hat er in das Onlineport­al Ebay-Kleinanzei­gen gesetzt. Sein Schwiegers­ohn inserierte die Parzelle. Und tatsächlic­h, vor wenigen Tagen meldete sich eine junge Familie. „Ich bin so dankbar, jemanden gefunden zu haben, und da gehe ich gern noch etwas runter.“

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Parzelle mit Laube und viel Grün: mal Objekt der Begierde, mal Klotz am Bein. Foto: imago/Danita Delimont

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