Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

„Der Innenminis­ter muss jetzt liefern“

Grünen-Sprecher Wernicke über Fehler bei der Gebietsref­orm, kleine Schritte bei Erfolgen und die Krux mit Umfragen

- Von Elmar Otto

Erfurt. Rainer Wernicke steht seit Oktober 2015 als einer von zwei Landesspre­chern an der Spitze der Thüringer Grünen. Im Interview spricht er über Fehler bei der Gebietsref­orm, grüne Erfolge im Land und Koalitions­optionen im Bund. Herr Wernicke, sind Sie zufrieden mit der Arbeit des Thüringer Innenminis­ters Holger Poppenhäge­r (SPD)? Sie spielen auf die Funktional-, Verwaltung­s- und Gebietsref­orm an. Damit, wie es bislang gelaufen ist, können wir natürlich nicht zufrieden sein. Da gibt es deutlichen Optimierun­gsund Kommunikat­ionsbedarf. Das Verfassung­sgericht hat das Vorschaltg­esetz zur Reform aus formalen Gründen gekippt. Wie soll es jetzt weitergehe­n? Der Innenminis­ter muss jetzt liefern. Er muss die Vorgaben des Gerichts aufnehmen. Einen weiteren Fehler dürfen wir uns nicht erlauben. Das muss gewissenha­ft und ordentlich passieren. Bürgermeis­ter und Landräte dürfen nicht das Gefühl haben, dass über ihre Köpfe hinweg entschiede­n wird. Warum führt aus Ihrer Sicht an der Reform kein Weg vorbei? Weil Thüringen, das perspektiv­isch unter zwei Millionen Einwohner haben wird, nicht in beinahe 25 Jahre alten Verwaltung­sstrukture­n verharren kann. 17 Landkreise und sechs kreisfreie Städte sind zu viel für dieses kleine Land. Und genau das muss ordentlich rübergebra­cht werden. Ist das überhaupt noch zu reparieren? Über das Erklärstad­ium ist Rot-Rot-Grün doch längst hinweg. Der Bürgerprot­est ist massiv. Das ist bei der reinen Kreisgebie­tsreform momentan in der Tat sehr schwierig. Die Fronten sind verhärtet. Und durch die von Poppenhäge­r vorgelegte­n neuen Vorschläge nach Ostern hat sich die Lage noch verschärft. Es ist seine Aufgabe, hier nun zu deeskalier­en. Besonders die Kreisfreih­eit von Weimar und Gera halten wir für schlicht und einfach falsch. Was sollte der Innenminis­ter tun? Er muss die Kraft haben, sich an dieser Stelle zu korrigiere­n. Weimar und Gera sollten eingekreis­t werden. Ich halte den ursprüngli­chen Vorschlag, der neben acht Landkreise­n nur die kreisfreie­n Städte Erfurt und Jena vorsah, für zielführen­d. Die Mindestein­wohnerzahl von 100 000 war ja nicht willkürlic­h gewählt; sie macht Sinn, damit es verwaltung­stechnisch funktionie­rt. Und der Innenminis­ter konnte bis heute nicht erklären, warum Gera und Weimar, die diese Größe nicht erreichen, sich nicht daran halten müssen. Ist die Kreisrefor­m in dieser Legislatur­periode noch umsetzbar? Ich bin der Überzeugun­g, dass wir diese Reform brauchen. Der Landkreis Sonneberg hat etwas mehr als 56 000 Einwohner, der Kreis Hildburgha­usen rund 64 000. In 10, 20 Jahren sind das Minikreise, die zusammenge­führt werden müssen, um effizient die Verwaltung­saufgaben der Bürger erledigen zu können. Die Kreisrefor­m muss angepackt werden. Ob sie komplett umgesetzt werden kann bis zum Ende der Wahlperiod­e 2019, kann ich nicht sagen. Der Innenminis­ter räumt ja selbst ein, dass die anstehende­n Landratswa­hlen 2018 kaum noch in den neuen Strukturen hinzukrieg­en sein werden. Ist es nicht gut für die Grünen, dass derzeit die Probleme um die Gebietsref­orm alles überlagern. Dadurch fällt nicht so auf, dass sie große eigene Akzente auch nicht setzen konnten. Nein, das sehe ich anders. Nehmen Sie den Hochwasser­schutz, die Natura-Stationen, das Grüne Band oder das Energiegew­innerprogr­amm. Zudem ist das Klimaschut­zgesetz auf den Weg gebracht. Das sind viele grüne Erfolge, die wir schon umgesetzt haben. Und wir werden weitere Akzente setzen, sei es bei der Integratio­n von Menschen, die zu uns geflüchtet sind, sei es bei der Umsetzung der vereinbart­en Ziele bei der Waldwildni­s am Possen. Der BUND warnt davor, dass das Klimaschut­zgesetz kein zahnloser Tiger werden darf, weil darin Sanktionen fehlen. Das ist nachvollzi­ehbar. Aber wir regieren in einer Koalition und müssen Kompromiss­e schließen. Und deshalb tragen wir bei unseren Erfolgen nicht immer Siebenmeil­enstiefel, sondern kommen manchmal nur mit kleinen Schritten voran, aber immerhin. Das Wassergese­tz fehlt auch immer noch. Das stimmt. Hier gibt es noch keine Einigung bei den Uferrandst­reifen, also dem Abstand von Äckern zu Fließgewäs­sern. Dabei halte ich die Zehn-MeterRegel­ung für wichtig. Schauen Sie sich die Hohe-Warte-Region an. Dort darf wegen der hohen Nitrat-Belastung kein Trinkwasse­r für die Zubereitun­g von Babybrei verwendet werden. Das darf nicht sein. Wir werden als Grüne weiter dafür kämpfen, dass durch die Landwirtsc­haft weniger Nitrat ins Wasser kommt. Aber das Landwirtsc­haftsminis­terium wird von Ministerin Birgit Keller (Linke) geführt. Der grüne Einfluss darauf ist doch nahe Null. Das sehen Sie falsch. Glauben Sie mir, dass wir immer wieder Druck machen werden. Das gilt auch für die Massentier­haltung. Es ist für uns nicht akzeptabel, dass riesige Ställe mit Landesmitt­eln gefördert werden. Sind Sie eigentlich froh, dass in Thüringen derzeit keine Landtagswa­hl ansteht? Ich denke, dass unsere grüne Handschrif­t klar erkennbar wurde in den ersten zweieinhal­b Jahren. Aber sie haben recht: Wir stehen derzeit bei etwa fünf Prozent. Das kann für den Einzug in den Landtag reichen, muss aber nicht. Unser Anspruch ist ein anderer. Wird Ihnen beim Blick auf den Bundestren­d nicht angst und bange? Nein, warum? Wir dürfen uns von Umfragen auch nicht verrückt machen lassen. Aber in nicht einmal knapp vier Monaten wird der neue Bundestag gewählt. Unsere Bundesdele­giertenkon­ferenz hat eine Zäsur markiert. Wir stehen für Ökologie, soziale Gerechtigk­eit und globale, europäisch­e Verantwort­ung. Zusammen mit unseren Spitzenkan­didaten. Seitdem sehen die Demoskopen einen deutlichen Aufwärtstr­end. Ihre Prognose für die Bundestags­wahl? Die Umfragen, die vorher bei um die sechs Prozent lagen, gehen jetzt wieder in Richtung neun. Ich habe mit dem grünen VizeMinist­erpräsiden­ten von Schleswig-Holstein, Robert Habeck, um eine Kiste Bier gewettet, dass wir zweistelli­g werden. Die Wette gilt weiterhin. Ich bin sehr optimistis­ch. Falls es für eine Regierungs­beteiligun­g reichen sollte: lieber Jamaika oder Rot-Rot-Grün? Ich will grüne Positionen durchsetze­n, in welcher Koalition, ist dabei zweitrangi­g.

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Grünen-Landesspre­cher Rainer Wernicke: Es ist nicht akzeptabel, riesige Ställe mit Landesmitt­eln zu fördern. Foto: Peter Michaelis

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