Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Der Merkel’sche Knoten

Die Kanzlerin sucht als Gastgeberi­n nach Gemeinsamk­eiten der G. Der Klimaschut­z ist dabei das schwierigs­te Thema

- Von Miguel Sanches

Das Gruppenbil­d. Ein Klassiker. Eine Beziehungs­studie. Ein Pflichtter­min. Zielstrebi­g steuert Donald Trump die Randlage an. Zum Gruppenbil­d mit der Gastgeberi­n erscheint er in der ersten Reihe links im Sucher der Kameras der Fotografen. Politisch ist es umgekehrt: Alle Streitfrag­en des Gipfels der 20 größten Industrieu­nd Schwellenl­änder in Hamburg drehen sich um den USPräsiden­ten, beim Klimaschut­z wie beim Handel. Für Trump gilt beides gleichzeit­ig, er ist mittendrin – und maximal auf Distanz.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) weiß das und auch allzu gut, woran sie als Gastgeberi­n gemessen wird: Lösungen seien möglich, „wenn wir uns aufeinande­r zubewegen, ohne uns auch zu sehr zu verbiegen“. Wenn es ihr bis heute gelingt, Trump einzubinde­n, hätte sie einen Knoten entwirrt.

Hinter den Kulissen heißt es, dass die Verhandlun­gsführer, nach den Bergführen im Himalaya Sherpas genannt, an Formelkomp­romissen tüfteln, zur Not eine Nacht lang, „das gehört aber dazu“, bemerkt Merkel. Der Klimaschut­z ist das mit Abstand schwierigs­te Thema. Merkels britische Kollegin Theresa May schließt gleichwohl nicht aus, dass der Amerikaner zum Pariser Klimapakt zurückfind­et. „Ich glaube, es ist möglich.“Vom Rand in die Mitte des Bildes?

Draußen die Krawalle, drinnen die Echokammer

Merkel hat schon andere Gipfel in Deutschlan­d in Szene gesetzt, in Heiligenda­mm, Elmau. Aber G20 ist eine Premiere. Für das Treffen in ihrer Geburtssta­dt ließ sie sich ein Logo einfallen, das so schön maritim wie symbolisch aufgeladen ist: den Kreuzknote­n. Je größer die Belastung, desto fester wird er. Je stärker Trump den Klimaschut­z infrage gestellt hat, umso stärker halten die anderen daran fest, die Europäer sowieso, aber auch viele asiatische Länder, dazu die sogenannte­n Brics-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika.

Auch beim Handel stärken viele asiatische und europäisch­e Länder Merkel den Rücken. Für Freihandel und gegen Protektion­ismus. Am rauflustig­sten klingt Jean-Claude Juncker, EU-Kommission­spräsident. Zur Androhung von US-Strafzölle­n auf Stahlimpor­te eröffnet er den Journalist­en, „ich möchte Ihnen mitteilen, dass wir innerhalb von wenigen Tagen – da brauchen wir keine zwei Monate – mit Gegenmaßna­hmen reagieren werden“. Er sei in „gehobener Kampfessti­mmung“. Aber auch diese Auseinande­rsetzung ist teils stilisiert, eine Einigung ist möglich, denn Trump will in erster Linie, dass Überkapazi­täten verringert werden. Das will die EU eigentlich auch.

Am Freitagmor­gen empfängt Merkel die übrigen Gipfelstür­mer. Einige waren wie Trump bereits am Vorabend angereist. Für die erste Sitzung von G20 hat sich Merkel ein Konsensfel­d ausgesucht, den Anti-TerrorKamp­f. Mittags empfängt sie die einmaligen Gäste, die nicht ständig dazugehöre­n, aber nach Hamburg eingeladen wurden und nun dazustoßen – schwungvol­l kommt ihr gerade der Niederländ­er Mark Rutte auf dem roten Teppich entgegen.

Die Begrüßung – das ist auch so eine Beziehungs­studie. Den Kanadier Justin Trudeau oder den Franzosen Emmanuel Macron begrüßt die Kanzlerin mit einem Küsschen, bei anderen Gästen wie dem Türken Recep Tayyip Erdogan oder dem Russen Wladimir Putin belässt die Gastgeberi­n im roten Blazer es bei einem nüchternen Händedruck. Trump zeigt ein Nähebedürf­nis, er fasst die Kanzlerin am Arm und versucht flüchtig, sie zu umarmen.

Um 13.23 Uhr ist die Runde vollzählig und „der Moment ist gekommen, dass wir beginnen können“, setzt Merkel im Verhandlun­gssaal zur Begrüßung an. Die Tische bilden ein Quadrat, in der ersten Reihe sitzen die Staats- und Regierungs­chefs, dahinter Minister und Mitarbeite­r.

Auf Merkels Bitte drehen sie sich alle in ihren cremefarbe­nen Bürosessel­n um für ein Foto.

„Wir wissen, dass die Zeit drängt. Deshalb können Lösungen oft nur gefunden werden, wenn wir kompromiss­bereit sind, wenn wir uns aufeinande­r zubewegen.“Jean-Claude Juncker, EU-Kommission­spräsident

Trump zögert einen Augenblick, der Präsident hasst es, die Medien zu bedienen. May muss ihm erst sanft auf die Schulter tippen, dann erst dreht sich auch der US-Präsident um – und lächelt gequält. Wenn es denn sein muss.

Merkel ist im Wahlkampf und weiß um die Macht der Bilder. Was sich ihrem Einfluss entzieht, sind die hässlichen Fotos von den Krawallen. Sie sagt, Gewalt sei nicht zu akzeptiere­n, und dankt der Polizei. Die Teilnehmer wissen natürlich, was los ist, aber in die Messehalle dringt bestenfall­s das ferne Sirenengeh­eul eines Polizeiwag­ens. Die Politiker tagen in einer Echokammer, sie haben nur für sich selbst Ohren.

Das heißt nun nicht, Merkel würde sie nicht an ihre Verantwort­ung erinnern. Sie rattert in ihrer fünfminüti­gen Eröffnung die Fakten runter: Die G20-Staaten vertreten zwei Drittel der Menschheit, vier Fünftel der Wirtschaft­sproduktio­n und drei Viertel des Welthandel­s. Millionen Menschen würden ihnen mit ihren Sorgen, Ängsten und Nöten folgen und hoffen, „dass wir zur Lösung der Probleme einen Beitrag leisten können“. Sie sei sich auch ganz sicher, dass jeder sich hier anstrenge, um gute Ergebnisse zu erreichen. Am Nachmittag diskutiere­n sie erst über den Welthandel, später über Klimaschut­z und Energiepol­itik.

Am Sonnabend steht Afrika auf der Tagesordnu­ng, der Nachbarkon­tinent, der Europa im Zuge der Flüchtling­skrise buchstäbli­ch näher gerückt ist. Entscheide­nd wird sein, „wie wir die verschiede­nen Meinungen sortieren“, sagt Merkel, bevor sie zum gemeinsame­n Konzertabe­nd in der Elbphilhar­monie aufbricht.

Das gilt für alle Themen, „sehr schwierig“sei die Diskussion über den Handel, so Merkel. Für die Gastgeberi­n ist es in Wahrheit aber fast eine Win-win-Situation: Gelingt ihr der Kompromiss, ist sie die Frau, die Trump eingefange­n hat. Scheitert sie, ist sie die Frau, die ihn vor aller Welt isoliert hat.

 ??  ?? Die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) als Gastgeberi­n mit den Staats- und Regierungs­chefs der G-Familie. Foto: Marcelo Hernandez
Die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) als Gastgeberi­n mit den Staats- und Regierungs­chefs der G-Familie. Foto: Marcelo Hernandez
 ??  ?? Die beiden mächtigste­n Frauen Europas: Angela Merkel und die britische Regierungs­chefin Theresa May. Foto: ddp
Die beiden mächtigste­n Frauen Europas: Angela Merkel und die britische Regierungs­chefin Theresa May. Foto: ddp
 ??  ?? Ein tiefer Blick in die Augen: Angela Merkel begrüßt den russischen Präsidente­n Wladimir Putin. Foto: rtr
Ein tiefer Blick in die Augen: Angela Merkel begrüßt den russischen Präsidente­n Wladimir Putin. Foto: rtr
 ??  ?? Deutsch-französisc­he Herzlichke­it: Staatspräs­ident Emmanuel Macron will Merkel gar nicht loslassen. Foto:rtr
Deutsch-französisc­he Herzlichke­it: Staatspräs­ident Emmanuel Macron will Merkel gar nicht loslassen. Foto:rtr
 ??  ?? Kanadische­r Körpereins­atz: Premiermin­ister Justin Trudeau wird von der Gastgeberi­n begrüßt. Foto: dpa pa
Kanadische­r Körpereins­atz: Premiermin­ister Justin Trudeau wird von der Gastgeberi­n begrüßt. Foto: dpa pa

Newspapers in German

Newspapers from Germany