Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Thüringer Trios auf dem Podest
hätte die Diskrepanz gar nicht sein können. Fast 26 000 Zuschauer strömten bei optimalem Leichtathletik-Wetter zu den deutschen Meisterschaften ins Steigerwaldstadion. Angenehme Temperaturen und eben jene stimmungsvolle Kulisse lieferten den perfekten Rahmen, um die deutschen Stars einen Monat vor den Weltmeisterschaften in London zu bejubeln.
Und ja: Auch der spät auf den Weg gebrachte Umbau der einst maroden Tartanbahn in der umgebauten Arena kostete zwar im Frühjahr einige Nerven. Aber Julian Reus hat ja bewiesen, dass sie kein Hindernis darstellte, schnelle Zeiten zu laufen.
So schön nun die Meisterschaften auch gewesen sein mögen, beim Blick auf Thüringen macht sich Ernüchterung breit. Sechs Männer und fünf Frauen aus hiesigen Vereinen als Teilnehmer sind ein Negativrekord. Der sensationelle Aufstieg eines Thomas Röhler mag manche Schattenseiten überdecken. Dass Rekordsprinter Reus zwar seit vielen Jahren in Erfurt lebt und trainiert, aber hier nicht für einen Verein startet, ist jedoch bezeichnend.
Dass es immer schwerer fällt, Talente zu begeistern, darf keine Ausrede sein. Das ist in anderen Bundesländern nicht anders. Speerwurf-Olympiasieger Röhler ist ein Glücksfall für Thüringen. Er glänzt nicht nur mit Leistungen, sondern kümmert sich gemeinsam mit Trainer Harro Schwuchow auch konsequent um den Nachwuchs.
Dass die Leichtathletik lebt und durchaus eine Zukunft hat, haben die Titelkämpfe von Erfurt ja gezeigt. Fast 26 000 Zuschauer sind ein Beweis dafür. Erfurt. Gemeinsam stark: Die Startgemeinschaft des Erfurter LAC hat in den Staffel-Entscheidungen im Nachwuchs zwei Medaillen erobert. Franz Rott, Leopold Stefanski und Max Körner verpassten über die 3x1000 Meter in der Saisonbestleistung von 7:29,81 Minuten nur knapp hinter dem Dresdner SC (7:29,08) die Goldmedaille. „Wir hätten gerne gewonnen, aber Dresden war einen Tick stärker. Die Kulisse war überragend“, sagte Schlussläufer Körner, der sich wie seine Kollegen die Haare blau gefärbt hatte. „Wir wollten mal etwas Besonderes machen und auffallen“, sagte Stefanski.
Die weiblichen Teamkolleginnen eroberten indes ebenfalls das Treppchen. Über die 3x800 Meter erzielte Erfurt in der Besetzung Kira Reinhardt, Laura Hohenstein und Lena Posniak den dritten Platz. Die 6:41,97 Minuten bedeuteten beim Sieg der LG Dortmund (6:39,73) die Saisonbestzeit für das Trio, das um 0,14 Sekunden den Silberplatz verpasste. (alu)
„Als ich das letzte Mal in Erfurt war, hatte ich einen Irokesenschnitt; da hatte ich noch eigene Haare.“
Diskus-Star Robert Harting (32) aus Berlin, der sich 2015 einer Haartransplantation unterzog. Im Jahre 2007 gewann er in Erfurt seinen ersten deutschen Meistertitel. Erfurt. Es war eines der besten Rennen seiner Karriere, denn Julian Reus hatte beim Heimspiel in Erfurt dem Druck standgehalten. Dass er seinen fünften Meistertitel in Folge über 100 Meter feiern würde, war wahrscheinlich. Die WM-Norm für den Einzelstart in London von 10,12 Sekunden eine Herausforderung.
Reus meisterte sie nervenstark unter dem Jubel der 12 300 Zuschauer im Steigerwaldstadion. 10,10 Sekunden standen auf der Uhr, als der 28-Jährige über die Ziellinie flog. Der sonst eher coole Reus machte einen kleinen Luftsprung und steckte den Daumen in den Mund. Der frisch gebackene Papa grüßte Erfurt. Thomas Röhler saß am Montagmorgen schon wieder im Flieger nach Luzern, wo er am Dienstag seinen nächsten internationalen Härtetest bestehen muss. „Vor zwei Wochen hat die Vorbereitung auf die WM begonnen. Das wird in London ein heißer Kampf. Um zu gewinnen, muss man dort mindestens 90 Meter werfen“, sagte der Speerwurf-Olympiasieger vom LC Jena, der sich zum Finale der deutschen Meisterschaften in Erfurt mit 85,24 Meter mit Rang zwei begnügen musste.
Röhler, der im Mai den deutschen Rekord auf 93,90 Meter schraubte und die Jahresweltbestensliste anführt, präsentierte sich als fairer Verlierer. „Johannes hat verdient gewonnen, er hat sehr stabil geworfen“, sagte der 25-Jährige, der zuletzt fünf deutsche Meistertitel in Serie gewonnen hatte. Johannes Vetter von der LG Offenburg eroberte zum ersten Mal in seiner Karriere den deutschen Meistertitel.
Vetter, der in der Weltjahresbestenliste hinter Röhler auf dem zweiten Platz geführt wird, schockte gleich im ersten mit dem „Schnuller“seine Frau Anne und ihr kleines Mädchen.
Kälte, Rücken- und Gegenwind hatten Reus auf seiner Jagd nach der London-Norm bis Erfurt gebremst. „Das ist schon eine knackige Zeit, die noch nicht so viele Deutsche schon mal gelaufen sind“, ordnete Reus die geforderten 10,12 Sekunden ein. „Aber ich wusste, ich kann diese Zeit laufen. Im Finale habe ich dann mit dem leichten Rückenwind auch etwas Glück gehabt“, sagte Reus.
Im Vorlauf bei 1,8 m/s Gegenwind und 10,46 Sekunden schien sich Rasmus gegen den Thüringer, der mit elf Jahren aus Hanau nach Erfurt an die Sportschule kam, regelrecht verschworen. Doch Reus blieb gelassen, zeigte im Halbfinale mit 10,16 Sekunden seine Stärke, obwohl ihm der Wind von Erfurt immer noch leicht ins Gesicht blies. Im Endlauf passte dann alles – die 10,10 Sekunden gingen im Jubel der Fans unter.
Auch die weiteren Thüringer Staffelanwärter für die WM in Durchgang die Konkurrenz, als er den Speer auf 89,35 Meter schleuderte. Im vorletzten Versuch schob sich unterdessen der Thüringer mit seinem Wurf auf 85,24 Meter auf den zweiten Platz. Röhler aber kam mit der neuen Tartanbahn im Erfurter London platzierten sich mit Roy Schmidt (3./10,28) und Robert Hering (beide Jena/4./10,38.) sehr aussichtsreich.
Über 200 Meter machte Reus gestern Abend das erhoffte Meister-Double perfekt. In 20,29 Sekunden pulversierte der Sportsoldat die London-Norm von 20,40. So schnell wie in Erfurt war Reus noch nie in seinem Steigerwaldstadion überhaupt nicht zurecht. Gewohnt schnell wollte er den Anlauf gestalten, fand dabei aber überhaupt keinen richtigen Halt. „Das waren schon fast ungesunde Bedingungen. Es hat sich richtig matschig angefühlt“, sagte Röhler. Leben die 200 Meter gerannt. „Ich habe den Kampf hier angenommen. Der Mut wurde belohnt. Jetzt bin ich aber auch k.o.“, meinte Reus befreit.
Auf dem Weg nach London braucht Reus nun erst einmal ein bisschen Erholung. „Das war schon ein hartes Wochenende mit sechs Starts“, freut sich der Erfurter auf seine kleine Familie.
Zu den Gewinnern des Wettbewerbs gehörte auch Bernhard Seifert vom SC Potsdam, der auf dem dritten Platz landete. Angetrieben von der Stimmung im Erfurter Stadion schleuderte der aus Hildburghausen stammende Athlet den Speer auf eine neue Vor der WM wird er noch zweimal die Form bei Meetings testen und in Kienbaum die Feinabstimmung mit den Staffelkollegen suchen. Bei der WM hofft Reus dann auf seine beste Form, damit ein Einzel-Halbfinale oder gar eine Staffelmedaille Wirklichkeit werden.
Ein große Show zog auch Gina Lückenkemper ab. Im Halbfinale wäre die extrovertierte Dortmunderin erstmals seit Katrin Krabbe fast unter der 11-Sekunden-Marke geblieben. 11,01 Sekunden bei leichtem Gegenwind. Nicht nur Lückenkemper fand das unglaublich. Beim Finalsieg gelangen der 20-Jährigen trotz Start-Stolperers 11,10 Sekunden. Die Frohnatur hatte auch gleich Erklärungen für ihre Leistungsexplosion parat. „Die neue Bahn ist toll, wenn man sie trifft und ich habe vorher eine Thüringer Bratwurst gegessen. Die sind hier wirklich gut. Richtige Sprinterwürste“, lachte sie. persönliche Bestweite von 84,62 Meter und erfüllte damit sogar die Norm für die Weltmeisterschaft. „Diese Leistung hat mich etwas überrascht. Ich bin froh, dass ich meine vier Jahre alte Bestleistung endlich verbessern konnte“, sagte Seifert, der sich in der gesamten Saison mit Fußproblemen herumplagte. „Endlich konnte ich das mal ausblenden“, sagte Seifert, der lange Jahre in Jena trainierte, bevor er im Oktober 2014 mit seinem Trainer Burkhard Looks nach Potsdam wechselte.
Weil aber bereits fünf andere deutsche Speerwerfer die WMNorm geknackt haben und in der Rangliste vor ihm stehen, gilt ein WM-Start von Seifert als eher unwahrscheinlich. Dessen großes internationales Ziel in dieser Saison ist die Universiade in Taipei (19. bis 30. August).
Sein Jenaer Ex-Trainingskollege verabschiedete sich trotz aller Probleme beim Anlauf aus dem Erfurter Stadion aber völlig entspannt und zufrieden. „Ich bin happy, ein Thüringer zu sein. Das waren hier richtig tolle Meisterschaften“, sagte Röhler. Erfurt. Die stimmungsvollen deutschen Meisterschaften im Erfurter Steigerwaldstadion mit 25 900 Zuschauern an zwei Tagen haben den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) ermuntert, sich mit dem Thüringer Standort erneut um ein internationales Großereignis zu bewerben. „Ich habe festgestellt, dass es großes Interesse gibt, hier auch eine Meisterschaft von internationalem Format zu veranstalten“, sagte DLV-Präsident Clemens Prokop (Foto) unserer Zeitung nach Gesprächen mit Oberbürgermeister Andreas Bausewein und Ministerpräsident Bodo Ramelow.
Zuletzt war das Steigerwaldstadion im Juli 2005 der Austragungsort einer solchen internationalen Meisterschaft, als hier die U 23-EM ausgetragen wurde. „Eine solche Veranstaltung wäre ideal für Erfurt“, sagte DLVChef Prokop, der aber noch keinen Zeitrahmen für eine mögliche Bewerbung nannte.
Positiv bewertete Prokop derweil auch das Interesse der Zuschauer am nationalen Leichtathletik-Höhepunkt. „Mit fast 26 000 Zuschauern sind wir absolut zufrieden. Und die LiveÜbertragung am Samstag in der ARD mit einem Marktanteil von 11,4 Prozent ist für eine Sportübertragung abseits des Fußballs ein sehr guter Wert“, sagte Prokop. (alu)