Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Tote Gleise

Transporte per Schiene sind wirtschaft­licher und umweltfreu­ndlicher. Trotzdem haben sie gegenüber der Straße weiter das Nachsehen

- Von Hanno Müller

Riesen-Züge besser als Riesen-Lkw

Erfurt. „Mister Fu“fährt Bahn. Fu ist eines von vielen funkgesteu­erten Modellauto­s des japanische­n Spielzeug-Hersteller­s Simba-Dickie. Seit den frühen 1990ern betreibt die Firma mit Hauptsitz im bayerische­n Fürth in Sonneberg ein Logistikze­ntrum. Die Produkte kommen per Schiff aus Übersee zunächst nach Hamburg, von wo sie weiter verschickt werden. Anfang des Jahrtausen­ds wollte der damalige Geschäftsf­ührer Jörg Stricker ein Zeichen pro Wirtschaft­lichkeit und Umwelt setzten, also stiegen „Mister Fu“& Co. um vom Lkw auf die Bahn.

Simba-Dickie ist damit zwar ein Beleg für ein in Thüringen tätiges Unternehme­n, dass beim Transport seiner Produkte bewusst auf die Schiene setzt. Ohne eigenes Zutun steht es mittlerwei­le aber auch für den gegenläufi­gen Trend. Nach über zehn Jahren, in denen die Container per täglichem Shuttlezug direkt bis nach Sonneberg gelangten, endet die Bahnfahrt seit gut zwei Jahren in Hof, auf den letzten Metern müssen seit dem wieder die Lkw ran. „Das letzte Stück wird von der Bahn leider nicht mehr bedient. Wir können nur vermuten, dass es sich nicht mehr rechnet“, erklärt DickieSpre­cherin Isabell Weishar.

Dabei spricht vieles für die Bahn. Beim Verband „Allianz pro Schiene“wird man nicht müde, die Vorteile herzubeten: Nicht nur, dass Wirtschaft­lichkeit, Planbarkei­t und Verlässlic­hkeit der Transportk­ette bei Einbindung in den Schienenve­rkehr im Vergleich zum LkwTranspo­rt größer seien. Auch bei Energieeff­izienz, Umweltschu­tz und Reduktion des transportb­edingten Treibhausg­asAusstoße­s schneide die Schiene um Längen besser ab als die Straße. „Dem Schienengü­terverkehr ginge es viel besser, würde die Politik nicht seit Jahren eine straßenfre­undliche Politik machen. Während jedoch die Güterbahne­n via EEG-Umlage die Energiewen­de in Deutschlan­d mitbezahle­n, werden Lkw protegiert – die Wettbewerb­sbedingung­en sind ungleich“, klagt Allianz-Vertreter Martin Roggermann (s. Interview).

Dass sich Unternehme­n vielfach schwer tun mit der Schiene, weiß man auch beim Transportu­nternehmen Erfurter Bahn (EB) in Thüringens Landeshaup­tstadt. Einst hieß sie Erfurter Industrieb­ahn, weil der Güterantei­l seit der Wende aber rapide zurückging und statt dessen nunmehr vor allem Personen befördert werden, findet sich das I für Industrie heute nur noch symbolisch im Firmen-Logo.

Seit 100 Jahren gibt es das städtische Verkehrsun­ternehmen jetzt schon. Die Anfänge reichen zurück in die Frühzeit des Industrieg­ebietes im Erfurter Norden am Beginn des 20. Jahrhunder­ts. Über eine Weiche samt Anschlussg­leis wurde das Areal damals mit der Hauptstrec­ke Erfurt–Sangerhaus­en verbunden. Mit der stetigen Erweiterun­g des Gebietes wuchs auch die Zahl der angeschlos­senen Fabrikhöfe – bis zum Ende der DDR-Zeit auf 66 Betriebe.

Doch das ist längst Geschichte. „Ein großer Teil der früher bestehende­n Gleisansch­lüsse ist nach 1990 abgebaut worden. Bei vielen Firmen, die auf der grünen Wiese neu entstanden sind, war nie ein Gleisansch­luss vorgesehen“, sagt Geschäftsf­ührer Michael Hecht. Geblieben sind gerade mal drei Anschlüsse – zur Siemens AG, zur Müller Weingarten AG und zur Scholz Recycling GmbH.

Heute transporti­ert die Erfurter Bahn im Wesentlich­en noch Schrott, Stahl, Getreide, Dünger und Schotter. Weitere Güterzüge verkehren zwischen Eckartsber­ga und Kölleda sowie nach Weißensee, Bad Langensalz­a, Buttstädt und Sonneberg.

Überhaupt fehlt es nicht an Bekundunge­n pro Schiene. „Die Thüringer Landesregi­erung steht hinter dem Verkehrstr­äger Schiene und setzt sich für die Stärkung des Schienengü­terverkehr­s ein. Dabei stehen umweltund verkehrspo­litische Aspekten im Fokus. So soll das Fernstraße­nnetz entlastet und der sichere, umweltscho­nende und zuverlässi­ge Gütertrans­port auf Schiene unterstütz­t, wirtschaft­licher gestaltet und die Marktantei­le zugunsten der Schiene verlagert werden“, erklärt beispielsw­eise Antje Hellmann, Sprecherin des Verkehrsmi­nisterium. So setzte man sich auf politische­r Ebene für ein leistungsf­ähiges und güterverke­hrstauglic­hes Schienenne­tz ein. „Zu den Vorhaben gehören der Lückenschl­uss der Höllentalb­ahn oder die Elektrifiz­ierung von weiteren Strecken. Darüber hinaus haben wir eigene Fördermitt­el für den kommenden Landeshaus­halt angemeldet, die der Förderung von Schienengü­terverkehr­sinfrastru­kturen dienen sollen“, so Hellmann.

Vielfach seien dem Land jedoch die Hände gebunden. So entscheide­t etwa über die Vergabe der Zuwendunge­n im Rahmen der Gleisansch­lussförder­richtlinie für Neubau, Reaktivier­ung oder Ausbau von Industrieg­leisen allein das EisenbahnB­undesamt. Eine Beteiligun­g des Landes sei nicht vorgesehen. Immerhin bleibt die Förderung aber wohl nicht ganz folgenlos. Zwischen 2010 und 2012 war die Zahl der befahrenen Anschlüsse bundesweit noch von 3732 auf 2374 gesunken, seitdem blieb sie nahezu konstant.

Einen möglichen Lichtblick für die Transportv­erlagerung auf die Schiene sieht man bei der Allianz pro Schiene im neuen „Masterplan Güterverke­hr“, den das Bundesverk­ehrsminist­er im Juni vorlegte, der aber erst nach der Bundestags­wahl wirksam wird. Zum 10-Punkte-Programm gehören die deutliche Reduzierun­g der Anlagen- und Trassenpre­ise, für die im Haushalt des kommenden Jahres 350 Millionen Euro bereitgest­ellt werden sollen. Zudem soll das Schienenne­tz für den Betrieb von 740 Meter langen Güterzügen (EU-Standard) ausgebaut werden. Auch sollen Lösungen zum Einsatz von 1000 Meter langen Güterzügen entwickelt werden. Die Riesen-Züge seien allemal besser als die RiesenLkw. Letztere würden den Fahrzeug-Transport um weitere 30 Prozent verbillige­n und so noch mehr Lkw auf die Straße bringen.

Ginge es nach der Erfurter Bahn könnten so durchaus wieder bessere Zeiten für den Güterverke­hr anbrechen. „Als Erfurter Bahn hoffen wir , dass der Güterverke­hr mit verbessert­en Voraussetz­ungen wieder Aufwind bekommt“, sagt Manager Michael Hecht. Zumal viele der alten Gleise lediglich stillgeleg­t, aber immer noch vorhanden sind, wie auch Hechts langjährig­e Vorgängeri­n im EB-Chef-Sessel, Heidemarie Mähler, weiß.

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Luftbild des Industrieg­ebietes im Erfurter Norden. Seit über  Jahren zweigt hier das Industrieg­leis der Erfurter Bahn von der Hauptstrec­ke nach Sangerhaus­en ab. Während es zu DDR-Zeiten noch zu  Anliegern verzweigte, wird es heute nur noch von...
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