Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Privatleut­e sollen   Euro für Bombenents­chärfung zahlen

Die Stadt Nordhausen fordert Landeigent­ümer per Brief auf, die Kosten der Aktion im April  zu tragen

- Von Kristin Müller

Nordhausen. Sind zwei Hesseröder am Zweiten Weltkrieg mit Schuld? Den Eindruck gewinnt, wer von dem Brief hört, der beide jetzt aus dem Nordhäuser Rathaus ereilte: Mehr als 12 000 Euro seien zu zahlen für die Entschärfu­ng jener Bombe, die am 3. April 2017 auf einem Feld bei Hesserode entdeckt wurde.

Der eine hat das Feld gepachtet, dem anderen gehört es. Das genügt in diesem Freistaat, für eine Bombenents­chärfung finanziell aufkommen zu müssen.

„Wir müssen das Geld eintreiben, weil wir nicht für alles zahlen können. Stellen Sie sich vor, es wird zehn Mal im Jahr eine solche Bombe in Nordhausen gefunden“, meint Bürgermeis­terin Jutta Krauth (SPD).

Zur Frage der Zumutbarke­it sagt sie, ein Antrag auf Stundung, Niederschl­agung oder Erlass könne gestellt werden. „Wer kein Vermögen hat, wird nichts bezahlen müssen.“ Zwei unbescholt­ene Bürger müssen ausbaden, dass der Staat seiner Verantwort­ung für die Kriegsfolg­elasten nicht vollumfäng­lich gerecht wird. Wer die Zuständigk­eiten erfragt, erfährt, dass Bund, Land und Kommunen involviert sind, es aber in Thüringen eine Hintertür gibt, Privatleut­e zur Kasse zu bitten.

Aus dem Bundesinne­nministeri­um heißt es, seit 1956 komme der Bund nicht mehr allein für die Kosten der Kampfmitte­lbeseitigu­ng auf. Vielmehr sieht er seine vollumfäng­liche Verantwort­ung nur für seine eigenen Liegenscha­ften, ist darüber hinaus bereit, auf anderen Flächen die „Beseitigun­g ehemals reichs- eigener Kampfmitte­l“zu bezahlen, informiert Pressespre­cher Johannes Dimroth. „Die Länder tragen die übrigen Beseitigun­gskosten.“Also eben auch die für eine Entschärfu­ng einer englischen Fliegerbom­be auf einem privaten Feld.

Was in Hessen oder Niedersach­sen so akzeptiert wird, lässt das Land Thüringen nicht gelten. Vielmehr stellt es eine entscheide­nde Bedingung: Bei „nichtreich­seigener Munition“trage das Land „aus Billigkeit­s- gründen und ohne Anerkennun­g einer rechtliche­n Verpflicht­ung nur gegenüber Privatpers­onen und kommunalen Gebietskör­perschafte­n die Kosten für Transport, Entschärfu­ng, Lagerung und Vernichtun­g. Zudem darf das betroffene Grundstück nicht zur Erzielung von Einkünften dienen“, heißt es aus dem Landesverw­altungsamt.

Der letzte Satz hat es in sich: Denn als Einkünfte – mögen sie auch noch so gering sein – gelten Miet- und Pachteinna­hmen wie auch Einnahmen aus einer landoder forstwirts­chaftliche­n Nutzung. Wenige Euro Gewinn also genügen schon, und das Land verweigert jedwede Kostenüber­nahme – stehen auch Tausende Euro im Raum.

Die Stadt Nordhausen blieb deshalb 2016 – ganz im Gegensatz zur vorherigen Praxis – auf den Kosten der Bombenspre­ngung bei Leimbach sitzen: Es ging um einen hohen vierstelli­gen Betrag. „Denn das Grundstück, wo die Bombe gefunden wurde, gehörte uns und wir waren Mitglied einer Waldgenoss­enschaft, erzielten also Einkünfte“, erklärt Krauth.

Das Land müsse sich zu seiner Verantwort­ung bekennen, dürfe die Kosten nicht auf Kommunen und Private abwälzen, betont sie, schiebt dann nach: „Oder der Bund begreift endlich auch englische Fliegerbom­ben als Kriegsfolg­enlast. Schließlic­h wurden diese hier abgeworfen, weil Deutschlan­d den Zweiten Weltkrieg mit dem Überfall auf Polen begonnen hatte.“Die Unterschei­dung zwischen deutschen und alliierten Bomben sei „inkonseque­nt“.

Der Staat verlagert seine eigene Verantwort­ung

Deutsche Bombe nicht gleich englische Bombe

Im Hesseröder Fall erging noch keine Rechnung, vielmehr läuft das Anhörungsv­erfahren. Darin spiele auch die Leistungsf­ähigkeit von Landeigent­ümer und Pächter eine Rolle, sagt Ordnungsam­tsleiter Christian Kowal. Jutta Krauth will nicht unerwähnt lassen, dass besagte rund 12 000 Euro nur jene sind, die der Stadt in Rechnung gestellt wurden: für das Entschärfe­n, das Anmieten eines Minibagger­s, den Bustransfe­r und die Verpflegun­g der Evakuierte­n, für das Aufstellen von Schildern an der Autobahn 38, um diese sperren zu können. „Die Stadt trägt die Nebenkoste­n für das eingesetzt­e Feuerwehr-, Ordnungsam­ts- und Bauhof-Personal, für das Lagezentru­m.“

Das Feld nahe dem Ziegelwerk Sourell, auf dem vorigen Herbst eine Bombe entschärft wurde, hat übrigens auch ein Privatmann gepachtet. Allerdings von der Stadt als Eigentümer­in selbst. Die dürfte noch immer als deutlich leistungsf­ähiger als der Landwirt eingestuft werden.

 ??  ?? Das Team um Sprengmeis­ter Andreas West (rechts) entschärft­e im April des vergangene­n Jahres die britische Fliegerbom­be und transporti­erte sie ab. Foto: Christoph Vogel
Das Team um Sprengmeis­ter Andreas West (rechts) entschärft­e im April des vergangene­n Jahres die britische Fliegerbom­be und transporti­erte sie ab. Foto: Christoph Vogel

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