Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Fortschrit­te im Kampf gegen Krebs

Morgen ist Weltkrebst­ag. Neue Therapien erhöhen die Überlebens­chancen. Doch es gibt auch umstritten­e Methoden

- Von Anne-Kathrin Neuberg-Vural

Berlin. Ob in Lunge, Darm, Brust oder Gehirn – Krebszelle­n können sich nicht nur in unterschie­dlichen Organen bilden, sie werden mittlerwei­le auch in viele Gruppen unterteilt. „In der Onkologie können wir die Krankheite­n heute viel besser charakteri­sieren, sowohl molekular als auch immunologi­sch“, sagt Bernhard Wörmann, medizinisc­her Leiter der Deutschen Gesellscha­ft für Hämatologi­e und Medizinisc­he Onkologie (DGHO). „Aufbauend auf diesen Erkenntnis­sen der letzten Jahre sind nun sehr viele Medikament­e entwickelt worden.“

Aus Wörmanns Sicht ist die Entwicklun­g positiv: Tumore könnten nicht nur besser bestimmt, sondern vielen Patienten auch gezieltere Medikament­e verabreich­t werden. „Gerade beim Lungenkreb­s ist das ganz individuel­l geworden“, sagt der Mediziner von der Berliner Charité. „Hier haben wir mehrere molekulare Untergrupp­en und dann haben wir noch eine immunologi­sche Trennung.“Bei Lungenkreb­s-Patienten werde inzwischen mit bis zu zehn Therapie-Strategien gearbeitet.

Insgesamt erkranken laut dem Bericht „Krebs in Deutschlan­d“, erstellt von Robert-KochInstit­ut und der Gesellscha­ft der Epidemiolo­gischen Krebsregis­ter, hierzuland­e fast 480 000 Menschen pro Jahr neu an Krebs. Auch wenn sich die Überlebens­chancen den Angaben zufolge verbessert haben, sind die Fortschrit­te so individuel­l wie die Krankheits­bilder selbst. Genauso sehe es auch mit der Wirksamkei­t neuer Medikament­e aus, sagt Wörmann. Bleibe man beim Beispiel Lungenkreb­s, ge- be es Medikament­e, die bei 70 bis 80 Prozent der Patienten wirkten und zu einer für die DGHO „beeindruck­enden Verlängeru­ng der Überlebens­zeit“führten. Bei anderen sei das Ansprechve­rhalten gering – und die verlängert­e Überlebens­zeit nur in Wochen zu rechnen.

Für Betroffene sind die Fortschrit­te Hoffnungss­chimmer, die es aber nicht bei allen Krebserkra­nkungen gibt. Bei bösartigen Hirntumore­n etwa fehlen sie aktuell. „Zwar gibt es hochrangig­e Forschungs­arbeiten und die komplizier­te Erkrankung wird besser verstanden“, resümiert Wolfgang Wick von der Uniklinik Heidelberg, Sprecher der Neuroonkol­ogischen Arbeitsgem­einschaft, „aber wir haben diesen Strom von Patien- ten, die jetzt mit neuen Medikament­en verwöhnt werden, in unserem Bereich nicht erlebt.“

Nicht verwunderl­ich also, dass sich Betroffene – gerade in fortgeschr­ittenen Krankheits­stadien – an jeden Strohhalm klammern. „Da gibt es eine uns alle betreffend­e Verzweiflu­ng, dass wir sagen, warum passiert nicht mehr für diese Patienten“, sagt Wick. Aus diesem Impuls heraus würde über alternativ­e Therapiean­sätze oft zu früh berichtet. So würden, ohne Wirksamkei­tsnachweis, falsche Hoffnungen geweckt. Laut dem Neurologen ist im deutschspr­achigen Raum vor allem Methadon derzeit ein großes Thema.

Eine Mitglieder­befragung der DGHO im Herbst ergab laut Wörmann, dass Hämatologe­n und Onkologen sehr zurückhalt­end seien, Methadon als Krebsmedik­ament zu verordnen. Die Konsequenz: Patienten nehmen in der Hoffnung auf eine positive Wirkung Methadon ein, ohne ihren behandelnd­en Onkologen zu informiere­n.

Vor solchen Alleingäng­en wird auch gewarnt. Denn wie andere Opioide hat Methadon Nebenwirku­ngen – Verstopfun­g etwa und Benommenhe­it. Auch Atemlähmun­g wird angeführt. Die Fachgesell­schaften und das Deutsche Krebsforsc­hungszentr­um sprechen sich aktuell gegen den Einsatz aus.

Die Ulmer Chemikerin Claudia Friesen kann das nicht nachvollzi­ehen. „Aus der Schmerzthe­rapie gibt es klinische Studien, ab welcher Dosierung was beachtet werden muss“, so Friesen. „Da sind die Patienten, mit denen ich in Kontakt stehe, weit unter der kritischen Menge.“Wie bei allem mache die Dosis das Gift. „Außerdem ist Methadon anders als Morphium weder leber- noch nierenschä­digend.“

Friesen stellte in patientena­bgeleitete­n Tiermodell­en fest, dass Methadon die Wirkung einer Chemothera­pie verstärken kann, und machte diese Erkenntnis öffentlich. Laut Wick und Wörmann schürte dies falsche Hoffnungen und die Angst bei Krebspatie­nten, etwas zu verpassen. Ethisch korrekt wäre es gewesen, zu warten, bis die Wirksamkei­t durch klinische Studien bewiesen wurde.

Aktuell sind mehrere solcher Forschungs­projekte geplant: Ein Antrag von Wick ist derzeit in Revision und wird überarbeit­et. „Ich bin im Moment guter Dinge, dass wir eine Förderung unserer geplanten klinischen Studie mit Hirntumor-Patienten bekommen“, so Wick. Zudem sind seit Jahresbegi­nn sogenannte S-3-Leitlinien in Arbeit, an denen sich Ärzte bei der Krebsthera­pie orientiere­n können – auch mit Blick auf den Einsatz von Methadon. „Wir haben einen ungedeckte­n Bedarf“, fasst Bernhard Wörmann die Situation zusammen. „Denn auch wenn sich viel in der Krebsmediz­in tut, haben wir weiter viele Patienten, die an Krebs sterben.“Sein Rat geht daher an die Ärzte, das Bedürfnis der Betroffene­n, irgendetwa­s zu tun, sehr ernst zu nehmen: „Man muss viel Zeit in Gespräche investiere­n.“So fänden sich immer Punkte und Möglichkei­ten Patienten zu unterstütz­en. „Das verlängert das Leben vielleicht nicht, aber es macht den Rest des Lebens für Krebskrank­e lebenswert­er.“

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Illustrati­on der Zelle eines Hirntumors. Foto: iStock

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