Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Fortschritte im Kampf gegen Krebs
Morgen ist Weltkrebstag. Neue Therapien erhöhen die Überlebenschancen. Doch es gibt auch umstrittene Methoden
Berlin. Ob in Lunge, Darm, Brust oder Gehirn – Krebszellen können sich nicht nur in unterschiedlichen Organen bilden, sie werden mittlerweile auch in viele Gruppen unterteilt. „In der Onkologie können wir die Krankheiten heute viel besser charakterisieren, sowohl molekular als auch immunologisch“, sagt Bernhard Wörmann, medizinischer Leiter der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO). „Aufbauend auf diesen Erkenntnissen der letzten Jahre sind nun sehr viele Medikamente entwickelt worden.“
Aus Wörmanns Sicht ist die Entwicklung positiv: Tumore könnten nicht nur besser bestimmt, sondern vielen Patienten auch gezieltere Medikamente verabreicht werden. „Gerade beim Lungenkrebs ist das ganz individuell geworden“, sagt der Mediziner von der Berliner Charité. „Hier haben wir mehrere molekulare Untergruppen und dann haben wir noch eine immunologische Trennung.“Bei Lungenkrebs-Patienten werde inzwischen mit bis zu zehn Therapie-Strategien gearbeitet.
Insgesamt erkranken laut dem Bericht „Krebs in Deutschland“, erstellt von Robert-KochInstitut und der Gesellschaft der Epidemiologischen Krebsregister, hierzulande fast 480 000 Menschen pro Jahr neu an Krebs. Auch wenn sich die Überlebenschancen den Angaben zufolge verbessert haben, sind die Fortschritte so individuell wie die Krankheitsbilder selbst. Genauso sehe es auch mit der Wirksamkeit neuer Medikamente aus, sagt Wörmann. Bleibe man beim Beispiel Lungenkrebs, ge- be es Medikamente, die bei 70 bis 80 Prozent der Patienten wirkten und zu einer für die DGHO „beeindruckenden Verlängerung der Überlebenszeit“führten. Bei anderen sei das Ansprechverhalten gering – und die verlängerte Überlebenszeit nur in Wochen zu rechnen.
Für Betroffene sind die Fortschritte Hoffnungsschimmer, die es aber nicht bei allen Krebserkrankungen gibt. Bei bösartigen Hirntumoren etwa fehlen sie aktuell. „Zwar gibt es hochrangige Forschungsarbeiten und die komplizierte Erkrankung wird besser verstanden“, resümiert Wolfgang Wick von der Uniklinik Heidelberg, Sprecher der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft, „aber wir haben diesen Strom von Patien- ten, die jetzt mit neuen Medikamenten verwöhnt werden, in unserem Bereich nicht erlebt.“
Nicht verwunderlich also, dass sich Betroffene – gerade in fortgeschrittenen Krankheitsstadien – an jeden Strohhalm klammern. „Da gibt es eine uns alle betreffende Verzweiflung, dass wir sagen, warum passiert nicht mehr für diese Patienten“, sagt Wick. Aus diesem Impuls heraus würde über alternative Therapieansätze oft zu früh berichtet. So würden, ohne Wirksamkeitsnachweis, falsche Hoffnungen geweckt. Laut dem Neurologen ist im deutschsprachigen Raum vor allem Methadon derzeit ein großes Thema.
Eine Mitgliederbefragung der DGHO im Herbst ergab laut Wörmann, dass Hämatologen und Onkologen sehr zurückhaltend seien, Methadon als Krebsmedikament zu verordnen. Die Konsequenz: Patienten nehmen in der Hoffnung auf eine positive Wirkung Methadon ein, ohne ihren behandelnden Onkologen zu informieren.
Vor solchen Alleingängen wird auch gewarnt. Denn wie andere Opioide hat Methadon Nebenwirkungen – Verstopfung etwa und Benommenheit. Auch Atemlähmung wird angeführt. Die Fachgesellschaften und das Deutsche Krebsforschungszentrum sprechen sich aktuell gegen den Einsatz aus.
Die Ulmer Chemikerin Claudia Friesen kann das nicht nachvollziehen. „Aus der Schmerztherapie gibt es klinische Studien, ab welcher Dosierung was beachtet werden muss“, so Friesen. „Da sind die Patienten, mit denen ich in Kontakt stehe, weit unter der kritischen Menge.“Wie bei allem mache die Dosis das Gift. „Außerdem ist Methadon anders als Morphium weder leber- noch nierenschädigend.“
Friesen stellte in patientenabgeleiteten Tiermodellen fest, dass Methadon die Wirkung einer Chemotherapie verstärken kann, und machte diese Erkenntnis öffentlich. Laut Wick und Wörmann schürte dies falsche Hoffnungen und die Angst bei Krebspatienten, etwas zu verpassen. Ethisch korrekt wäre es gewesen, zu warten, bis die Wirksamkeit durch klinische Studien bewiesen wurde.
Aktuell sind mehrere solcher Forschungsprojekte geplant: Ein Antrag von Wick ist derzeit in Revision und wird überarbeitet. „Ich bin im Moment guter Dinge, dass wir eine Förderung unserer geplanten klinischen Studie mit Hirntumor-Patienten bekommen“, so Wick. Zudem sind seit Jahresbeginn sogenannte S-3-Leitlinien in Arbeit, an denen sich Ärzte bei der Krebstherapie orientieren können – auch mit Blick auf den Einsatz von Methadon. „Wir haben einen ungedeckten Bedarf“, fasst Bernhard Wörmann die Situation zusammen. „Denn auch wenn sich viel in der Krebsmedizin tut, haben wir weiter viele Patienten, die an Krebs sterben.“Sein Rat geht daher an die Ärzte, das Bedürfnis der Betroffenen, irgendetwas zu tun, sehr ernst zu nehmen: „Man muss viel Zeit in Gespräche investieren.“So fänden sich immer Punkte und Möglichkeiten Patienten zu unterstützen. „Das verlängert das Leben vielleicht nicht, aber es macht den Rest des Lebens für Krebskranke lebenswerter.“