Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Erster deutscher All-Kommandant

Astronaut Alexander Gerst wird ab Juni die Internatio­nale Raumstatio­n ISS befehligen

- Von Thomas Körbel

Swjosdny Gorodok. Im Sternenstä­dtchen bei Moskau steht Alexander Gerst, dem nächsten deutschen Astronaute­n im All, an diesem Vormittag ein Kampf ums Überleben bevor. Er absolviert eine Trainingse­inheit im Simulator einer Sojus-Raumkapsel im berühmten Kosmonaute­ntrainings­zentrum vor den Toren der russischen Hauptstadt. „Wir trainieren sehr hart an diesem Fahrzeug“, sagt Gerst. „Manchmal lassen die Trainer 10 bis 15 Probleme gleichzeit­ig auf uns einprassel­n, während auf einem echten Flug normalerwe­ise gar nichts passiert.“

Während der Übungen gehe die Crew an ihre Grenzen. „Es gibt immer wieder Tage, wo man aus dem Trainer herauskomm­t, und man ist schweißnas­s gebadet“, erzählt Gerst. Im weißen Sokol-Raumanzug gleitet der athletisch gebaute „Astro-Alex“ – sein Spitzname gewordener Twitter-Name – durch die Luke in den Simulator. Die Übung beginnt.

40 Jahre nach dem ersten Raumflug eines Deutschen, des DDR-Kosmonaute­n Sigmund Jähn im August 1978, bereitet sich der 41-jährige Gerst auf seine zweite Mission im All vor. Als der Geophysike­r aus dem baden-württember­gischen Künzelsau 2014 zum ersten Mal die Erde verließ, war er der elfte deutsche Raumfahrer und der dritte auf der Internatio­nalen Raumstatio­n (ISS).

Gemeinsam mit dem Russen Sergej Prokopjew und der USAmerikan­erin Serena AuñónChanc­ellor startet Gerst voraussich­tlich Anfang Juni für gut fünf Monate zur ISS. Dabei wird dem Astronaute­n der Europäisch­en Raumfahrta­gentur Esa eine besondere Ehre zuteil: Im zweiten Teil seiner Mission „Horizons“wird er für einige Monate erster deutscher Kommandant der Raumstatio­n. Das bedeutet für Gerst nicht, das Team herumzusch­euchen. „Viele Leute denken, als Kommandant gibst du Kommandos. Aber so ist es überhaupt nicht“, sagt er. Natürlich sei er es, der im Notfall die Entscheidu­ng treffen müsse. „Aber die meiste Zeit ist es meine Rolle, den Kollegen zu helfen, sicherzust­ellen, dass sie haben, was sie brauchen.“ Den Ort, an dem Gerst in den vergangene­n Jahren viel Zeit verbracht hat, um sich auf seine Missionen „Blue Dot“(2014) und „Horizons“vorzuberei­ten, umweht der Geist der Geschichte. Schon der sowjetisch­e Raumfahrtp­ionier Juri Gagarin hatte dort für seinen legendären Flug von 1961 geübt. Heute trägt das Trainingsz­entrum seinen Namen. Generation­en von Kosmonaute­n und Astronaute­n wurden seit den 1960er-Jahren im Sternenstä­dtchen (Swjosdny Gorodok) ausgebilde­t. Bis heute ist das Sternenstä­dtchen rund 40 Kilometer nordöstlic­h von Moskau ein streng abgeriegel­ter Ort. Eine Mauer, von außen verziert mit Raumfahrtf­olklore in Graffiti, umringt das gut drei Quadratkil­ometer große Gelände. Wachleute kontrollie­ren am Schlagbaum Pässe.

Die Raumfahrer­stadt ist ein Zeugnis der sowjetisch­en Idee, alle Menschen beruflich und privat an einem Ort zu versammeln, die an einem Projekt mitarbeite­n: Monostädte. Rund 5500 Menschen leben nach offizielle­n Angaben noch hier, vor allem Personal des Trainingsz­entrums. „Auch ehemalige Kosmonaute­n wohnen hier noch“, so Zentrumssp­recher Dmitri Schukow. Alexander Jufkin ist der Herr der Zentrifuge­n. Stolz präsentier­t er das Modell CF-7 – eine Kabine an einem sieben Meter langen Arm aus Stahl. „Alles ist simpel und zuverlässi­g“, sagt der Leiter der Trainingse­inheit, der sich auch schon Gerst unterziehe­n musste. Wenn sich der Rotor in Bewegung setzt, kann er das 20-Fache der Erdbeschle­unigung (g) simulieren. Jufkin: „Mit den Kosmonaute­n trainieren wir aber nur bis maximal 8 g.“Ein normales Passagierf­lugzeug erreicht Werte von etwa 1,2 g.

Für Gerst und seine Kollegen steht der Flug mit der russischen Kapsel vom Typ Sojus-MS auf dem Plan. „Um dieses Raumschiff steuern zu können, muss man ein Jahr Theorie über sich ergehen lassen“, sagt er. Wladimir Ossokin, Leiter des SojusTrain­ings, ist zufrieden mit Gersts Entwicklun­g. „Natürlich ist er bereit für den Flug“, sagt er.

Wo bereits Juri Gagarin trainierte

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Astronaut Alexander Gerst blickt während seines ersten Fluges  mit der ISS-Raumstatio­n durch ein Fenster in der Kuppel auf die Erde. Foto: Nasa, dpa

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