Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Lia und Lenù werden Stars einer Fernsehserie
Der vierte und letzte Teil der Neapel-Saga von Elena Ferrante liegt auf Deutsch vor
Der vierte und letzte Teil der NeapelSaga von Elena Ferrante um die Freundschaft der Frauen Elena (Lenù) und Raffaela (Lina oder Lila) ist auf Deutsch erschienen. Schon der Titel „Die Geschichte des verlorenen Kindes“ist bemerkenswert. Der letzte Band ist der düsterste, spannendste und traurigste.
In Italien wissen die Leser schon seit Oktober 2014, wie die Geschichte der mehr als 60 Jahre umfassenden spannungsgeladenen Freundschaft endet, im englischsprachigen Raum immerhin seit 2015. Für die deutschen Leser wird die Frage, was aus Lila geworden ist, jetzt ein letztes Mal aufgeworfen, denn zur Erinnerung: Genau mit diesem Rätsel hat die Saga einst begonnen.
Rückblick: Lenù, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird, lebt in Turin, als sie einen Anruf von Lilas Sohn Rino bekommt. Er wisse nicht, wo seine Mutter stecke, all ihre Sachen seien verschwunden. Auch Lenù weiß nichts, aber sie erinnert sich an die jahrzehntelange Freundschaft zu Lila und all die widersprüchlichen Gefühle, die sie zu ihr hatte.
Diesen Erinnerungen widmet Ferrante mehr als 2000 Seiten: Elenas und Lilas Kindheit in einem heruntergekommenen, konfliktgeprägten Stadtteil Neapels, Lilas frühe Ehe, Elenas schulischer Erfolg, die Liebe beider zum rätselhaften Nino Sarratore, die harte Fabrikarbeit Lilas in Neapel, Elenas Intellektuellenleben in Pisa, die Schwangerschaften sowie das ständige Auseinanderdriften und Zusammenfinden der Freundinnen – all das bestimmt die ersten drei Bände. Der brutale Alltag im Neapel der 50er-Jahre und seine tradierten Rollenbilder begleiten die Geschichte dabei so wie die 60erund 70er-Jahre in Italien mit ihren permanenten Auseinandersetzungen zwischen Faschisten und Kommunisten.
Kritiker haben Ferrante für dieses breite Gesellschaftspanorama genauso gelobt wie für ihre raffinierte Schilderung einer höchst komplizierten Frauenfreundschaft, bei der man nicht weiß, wen man nun eigentlich mögen soll: die schüchterne Elena, die nie so recht sagt, was sie wirklich denkt, ständig Selbstzweifel hegt und sich von der Anerkennung anderer abhängig fühlt. Oder die verschlage- ne Lila, bei der stets unklar ist, was sie im Schilde führt? Auch im letzten Band wird die Beantwortung dieser Frage nicht einfacher.
Der Teil beginnt mit Elenas lang ersehntem Traum: endlich mit Nino zusammen zu sein – der einst auch Lilas Geliebter war. Am Ende des dritten Bandes lässt sie ihren Mann Pietro und die beiden Töchter Dede und Elsa sitzen, um mit Nino durchzubrennen. Im Laufe der 600 Seiten nimmt nicht nur die Beziehung zu Nino eine unerwartete Wendung – auch das Auf und Ab zwischen Lina und Elena sorgt immer wieder für Überraschungen. Die Leben der beiden Frauen könnten unterschiedlicher nicht sein – das ändert sich auch nicht, als Elena in das Stadtviertel zurückkehrt, in dem die Mädchen aufgewachsen sind. Elena konzentriert sich auf ihre Karriere als Schriftstel- lerin, die in der Welt herumkommt. Lila macht sich selbstständig und bekommt davon gar nichts mit.
Auch wenn die Saga mit dem letzten Teil nun endet – mit Lila und Lenù geht es weiter. Dieses Jahr soll eine Fernsehserie von Rai und dem US-Sender HBO an den Start gehen. Und Elena Ferrante hat begonnen, eine wöchentliche Kolumne für die Zeitung „Guardian“zu schreiben. Im Juni soll die Übersetzung eines Buchs von 2003 der Autorin auf Deutsch erscheinen.
Davon abgesehen dürften sich Leser weiter fragen, wer die Schriftstellerin ist: Elena Ferrante ist ein Pseudonym. Ihre wahre Identität will die Autorin nicht preisgeben. (dpa)
■ Elena Ferrante: Die Geschichte des verlorenen Kindes, Suhrkamp, Seiten, Euro