Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Trari, trara, die Post war da!
Der Briefkasten ist unser Fenster zur Außenwelt — und bleibt ein Ort für Überraschungen: Was verbirgt sich morgen hinter der Klappe?
„Ein Briefkasten ist tatsächlich das Heiligtum
menschlichen Gedankenaustausches.“Gilbert Keith Chesterton,
Schriftsteller
Wir hören Schritte im Flur oder im Garten, eine Blechklappe scheppert, vielleicht knurrt oder bellt auch der Hund: Die Post ist da! Doch selbst wenn man den Briefträger verpasst, der Gang zum Briefkasten gehört seit jeher zu den täglichen Ritualen.
Ob offizielle Schreiben vom Finanzamt im braunen Umschlag, kritzelige und bunt bebriefmarkte Urlaubspostkarten aus aller Welt, anonyme Postwurfsendungen („An alle Haushalte“) oder die Tageszeitung — auch im E-Mail-Zeitalter hat die ganz konkrete „Schnittstelle“zwischen der Welt und unserer Wohnung Bestand.
1 Bürger, baut Briefkästen!
Mit anonymen Briefen soll im Italien des 16. Jahrhundets auch alles angefangen haben: Als Vorgänger des Hausbriefkastens gilt die „Bocca della Verità“, also der „Mund der Wahrheit“. Ein Holzkasten mit Einwurfschlitz, der in Stadtrepubliken wie Florenz oder Genua dazu einlud, staatsgefährdende Verbrechen bei der Regierung anzuzeigen oder auch schlicht den Nachbarn zu denunzieren.
Als im 18. Jahrhundert das Briefeschreiben so richtig in Mode kam — man nennt es auch das „Jahrhundert der Briefe“— tauchten in Paris an großen Stadtvillen die ersten Hausbriefkästen auf, da nicht mehr jeder Brief dem Empfänger persönlich übergeben werden konnte. Gerade in Frankreich hielt sich aber auch lange die Mode, Briefe beim „Portier“(auf Französisch: „Concierge“) abzugeben. Das eigentliche Jahrhundert des Briefkastens war das 19. Jahrhundert. Nationale Postdienste, wie die britische Royal Mail, gestresst durch Vermassungseffekte wie die neu erfundene Postkarte, baten seit etwa 1850 die Bevölkerung um Mithilfe: Baut Briefkästen an eure Häuser! Und genau das passierte auch.
2 Briefkastennormung
Inzwischen regelt, wie könnte es anders sein, das vereinigte Europa auch die Mindestanforderungen für Hausbriefkästen mit einer eigenen Euro-Norm. Ist Ihr Briefkasten EU-konform? Machen Sie den Test: Passt ein Umschlag mit 3 Zentimetern Dicke und 23 Zentimetern Breite nicht hinein, könnte die Bürokratiemaschinerie ins Stottern kommen, weil sie Ihnen keinen Stapel mit ungefalteten DIN-A4Blättern zustellen kann. Darüber hinaus möchte die Normierung auch den Schutz gegen Korrosion und eindringendes Wasser garantieren – und zu guter Letzt verhindert eine Entnahmesicherung das unbefugte Herausklauben der Post.
Ganz ernst nehmen muss man diese Mindestanforderungen allerdings nicht: Denn anders als in anderen Ländern besteht in Deutschland keine Verpflichtung, einen Briefkasten zu besitzen. Es reicht schon aus, eine Anschrift zu haben und seinen Wohnsitz ordnungsgemäß beim Einwohnermeldeamt zu melden. Wer keinen Briefkasten besitzt, muss laut geltender Rechtsprechung aber trotzdem (außer sonntags) täglich nach möglicher Post Ausschau halten, wo auch immer die abgelegt wird.
3 Mausgraue Landbriefkästen
Eigentlich ist der private Hausbriefkasten ein „Stadtbriefkasten“. Auf dem Land geht oft nämlich alles etwas anders zu: Wer mehr als 100 Meter von einer öffentlichen Straße entfernt wohnt, hat Anspruch auf einen von der Post betriebenen „Landbriefkasten“. Die ursprünglich nur im Farbton Mausgrau angebotenen Kästen besitzen zwei Funktionen: Sie dienen zum Ablegen von eingehender wie auch ausgehender Post. Dafür besitzen sie einen „Einlegeanzeiger“, der dem (Land-)Briefträger anzeigt, dass es etwas abzuholen gibt. Diese Eigenschaft macht den mausgrauen Plastikkasten zu einem entfernten Verwandten der berühmten „Joroleman Mailbox“aus den USA. Die schon vor mehr als 100 Jahren von Postingenieur Roy J. Joroleman entworfene Blechröhre, dank Massenproduktion millionenfach verbreitet, besitzt nämlich eine hochklappbare rote Blechfahne. Auch sie signalisiert abzuholende Post. 4 Mit Rechtsfolgen „Die Uhr steht still! Sie schweigt wie Mitternacht. Der Zeiger fällt. Es ist vollbracht!“An Nachtbriefkästen scheiden sich um Mitternacht die Geister des heutigen und des morgigen Tages — vor allem bei Behörden und Gerichten, wenn Fristen durch rechtzeitigen Einwurf eines Schreibens gewahrt werden sollen. Laut Bürgerlichem Gesetzbuch endet eine Frist erst mit Ablauf der letzten Stunde des betreffenden Tages. In der Regel wird um 23:59 Uhr und 59 Sekunden bei diesen Last-minute-Briefkästen ein Mechanismus ausgelöst, durch den eine Klappe auf die bereits eingeworfene Post fällt. Alle Umschläge darunter werden am nächsten Morgen mit dem Eingangsstempel des Vortages versehen.
5 Toter Briefkasten
Manchmal möchte man nicht Fristen wahren, sondern seine Identität, zum Beispiel als Whistleblower, der brisante Informationen an einen Journalisten weitergeben will. Oder als Spion im Dienst einer fremden Macht. Dann braucht man einen geheimen Ort, an dem unbeobachtet Dokumente deponiert werden können, die jemand anderes zu einem späteren Zeitpunkt abholt. Die Methode ist als „toter Briefkasten“auch aus Spionage-Thrillern bekannt. Das klassische Versteck reicht vom Astloch in der morschen Eiche über den losen Ziegelstein einer Brandmauer bis zur Buchattrappe im Bibliotheksregal. Dazu kann ein geheimes Abholzeichen vereinbart werden, etwa eine Zeitung auf einer Parkbank oder ein farbiges Handtuch am Balkon. Ein amerikanischrussischer Doppelagent nutzte in Washington vor einigen Jahren eine ganz besondere Methode: Er hinterließ kurzerhand Kreidemarkierungen an einem öffentlichen Briefkasten des US Postal Service.