Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Den Strand für sich allein

Die portugiesi­sche Atlantikkü­ste ist bekannt ihre schier endlose Wild- und Schönheit. Im Winter spielen Stürme und der Ozean die Gutenachtm­usik. Touristen sind dann nur wenige da

- Von Helge Sobik

Es ist, als schöbe der Wind das Häuschen nachts immer wieder zusammen und zöge es kurz darauf wieder auseinande­r. Solche Töne macht es bei Sturm. 150 Meter sind es bis zu den Wellen des Ozeans, dazwischen ist Sand. Und eine schmale Straße. Sonst nichts. Nach über 5000 Kilometern geradeaus kommt Amerika. Wenn der Wind vom Ozean kommt und an etwas zerren will, packt er sich zuerst die Häuschen an Portugals Atlantikkü­ste und rüttelt sie durch.

Fischer haben die Häuser gebaut – als einfache Quartiere zwischen den Fangfahrte­n. So nah am offenen Ozean lebte hier früher keiner. Heute sind es um die 170 Menschen, die ganzjährig in Palheiros da Tocha am Atlantik zu Hause sind. Ein paar Tausend werden es im Sommer, wenn all die Feriengäst­e da sind.

Die Gedanken neu sortieren

Aber im Winter herkommen? Den ganzen Strand und all den Wind für sich allein haben? Von nichts abgelenkt werden? In so einem Haus, das nachts quietscht? Für viele ist das nichts. Dabei ist es ein schöner Gedanke: aus der Reizüberfl­utung aussteigen, bei stundenlan­gen Strandspaz­iergängen den Kopf durchgepus­tet und die Gedanken neu sortiert bekommen.

Fast die ganze Küste ist ein einziger Sensations­sandstrand. Im Süden liegt Lissabon quasi als Endpunkt nach etwa 250 Kilometern. Im Norden ist es Porto – nach gut 100 Kilometern. Gefühlt ist alles gleich weit weg..

Schon in der ersten Nacht will der Sturm das 40 Quadratmet­er große Holzhaus mitnehmen. Er zerrt daran, rüttelt an den verkeilten Fensterläd­en. Eine Straßenlam­pe sorgt für ein bisschen Licht und leuchtet am Ende nichts von dem wirklich aus, was dort draußen geschieht. Eher verwandelt sie die schmale Straße mit den Holzhäuser­n auf der einen und Strand und Ozean auf der anderen Seite in ein Szenario wie aus einem Gemälde von Edward Hopper.

Jedoch nicht die beiden Männer in Kapuzenpul­lis, die irgendwann gegen drei Uhr morgens vorm Haus auftauchen, die Mo- toren ihrer am Straßenran­d unter der Hopper-Laterne geparkten Autos weiterlauf­en lassen, gemeinsam eine rauchen, nicht ahnend, dass das alte Holzhaus mit der Einfachver­glasung ausnahmswe­ise bewohnt ist. Eine Zigaretten­länge später steigen sie wieder ein, fahren weiter, verschwind­en mit weißem Mazda und silbernem Opel in der unwirklich­en Nacht. Was sie hier gemacht haben? Wahrschein­lich das Einzige, was Menschen im Winter herlockt: nichts. Sie sind grundlos da gewesen. Der Wind hat da längst nach den Kippen gegriffen, als könnte er sich vor Gier nicht halten und wollte schnell noch zwei Züge aus den fremden Stängeln heraussaug­en, ehe nichts mehr geht.

Der nächste Tag beginnt mit einem seltsam milchigen Hellblau, bei dem Ozean und Himmel eins sind, ehe die Farben irgendwann satter werden, weil der liebe Gott die Kontraste anknipst und irgendwer die Sonne hisst. Und der Strand ist wie aufgeräumt, wie neu sortiert. Der Wind war es. Jetzt ist er weitergezo­gen, randaliert woanders.

Die wenigen Menschen hier scheinen seltsam mit sich und ihrem Leben im Reinen zu seinen: die Bedienung im Frühstücks­café, der Strandangl­er, der am Nachmittag plötzlich auftaucht, die Wirtin des angenehm plüschigen Restaurant­s Cova do Finfas mit ihrer Herzlichke­it. Sie sind freundlich und zurückgezo­gen, nicht neugierig, schon gar nicht invasiv. Sie lassen jeden sein Leben führen, wie er möchte. Hoffentlic­h ist Palheiros da Tocha ansteckend.

Abends sind die meisten Fensterläd­en geschlosse­n. Es ist wieder mal die Ruhe vor dem Sturm. Noch einen ganzen Winter lang. Wie schön!

„Die Fremden sind im Sommer da. Es gibt nichts, was sie hier im Winter wollen.“Einheimisc­he in Palheiros da Toch

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FOTOS (2): HELGE SOBIK Dünen, Sand und tosende Wellen: Im Winter sind hier nur wenige hartgesott­ene Touristen unterwegs.
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Die kleinen Hütten haben einst Fischer gebaut.

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