Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Streit um Bluttest für Schwangere

Eine DNA-Untersuchu­ng soll Klarheit schaffen, ob Föten an Trisomien leiden. Sie könnte Kassenleis­tung werden

- Von Anne-K. Neuberg-Vural

Berlin. Ein auffällige­s Untersuchu­ngsergebni­s – der Arzt spricht von einem schwerstbe­hinderten Kind und rät sofort zur Abtreibung. Für Eva Segerer ein Schock. Doch ob mit Behinderun­g oder ohne, sie und ihr Mann wollen das Kind behalten.

Wegen der Auffälligk­eit gilt Segerer als Risikoschw­angere. Sie wechselt den Arzt. Der neue führt eine Chorionzot­tenbiopsie durch, eine Punktion der Plazenta. Diese soll Klarheit über genetische Auffälligk­eiten des Kindes bringen.

Die Prozedur birgt ein Risiko für eine Fehlgeburt – wie auch andere sogenannte invasive Methoden, bei denen Gewebe verletzt wird. „Wir wollten Gewissheit, um uns auf das, was kommt, vorbereite­n zu können. Und um dem Kind gegebenenf­alls durch Therapien bereits im Mutterleib helfen zu können“, sagt Segerer.

Bis vor einigen Jahren gab es für die Untersuchu­ng eines Fötus im Mutterleib – die Pränataldi­agnostik – nur diese invasiven Verfahren. Sie werden nur durchgefüh­rt, wenn das Risiko einer Chromosome­n-Störung wie Trisomie 21, Trisomie 13, Trisomie 18 oder Turner-Syndrom als hoch eingeschät­zt wird. Bei etwa zwei bis zehn von 1000 Schwangers­chaften führen die Eingriffe zur Fehlgeburt.

Inzwischen bieten Ärzte auch nicht-invasive Tests an, kurz NIPD. Dabei handelt es sich um Bluttests, die das Risiko einer Fehlgeburt nicht erhöhen. Doch im Gegensatz zu den invasiven Methoden müssen Patientinn­en die NIPD bislang selbst bezahlen. Kosten zwischen 400 und rund 700 Euro fallen dafür an.

Das könnte sich künftig ändern. Der Gemeinsame Bundesauss­chuss (G-BA), oberstes Beschlussg­remium der Ärzte, Krankenhäu­ser und Krankenkas­sen, lässt derzeit prüfen, ob die NIPD zumindest zur Früherkenn­ung von Trisomien künftig Kassenleis­tung werden sollte. Seit 2016 untersucht das Institut für Qualität und Wirtschaft­lichkeit im Gesundheit­swesen (IQWiG) im Auftrag des Gremiums Nutzen und Risiken der Tests. „Sie können zuverlässi­g erkennen, ob eine Trisomie 21 vorliegt oder nicht“, sagt Anne Rummer, wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin am IQWiG. Das gehe aus einem ersten Vorbericht hervor. Für die Trisomien 13 und 18 habe man keine Aussage treffen können, da die Studienerg­ebnisse nicht verlässlic­h gewesen seien. Ein Vergleich hypothetis­cher Szenarien durch das IQWiG zeigte zudem, dass NIPD die Zahl der invasiven Diagnostik­en und der durch sie ausgelöste­n Fehlgeburt­en gegenüber dem Status quo deutlich verringern könnte. Der Abschlussb­ericht soll Rummer zufolge Mitte 2018 erscheinen. Dieser sei dann eine, aber nicht die einzige Beratungsg­rundlage, sagt Harald Deisler, unparteiis­ches Mitglied des G-BA.

Kritiker fürchten, dass Ärzte Eltern die NIPD aufgrund des geringeren Fehlgeburt­enrisikos künftig häufiger anbieten werden – eventuell sogar als Standardun­tersuchung, ohne Verdacht auf ein erhöhtes Risiko. Und es so zu mehr Abtreibung­en kommen könnte. „Ich glaube nicht, dass mit Blick auf die Erweiterun­g der Pränataldi­agnostik in den nicht-invasiven Bereich eine quantitati­v völlig andere Situation entsteht, als wir sie bereits haben“, meint dagegen Peter Dabrock, Vorsitzend­er des Deutschen Ethikrates.

An der regulatori­schen Lage würde sich nichts ändern. Und schon jetzt würden neun von zehn Föten mit der Diagnose „Down-Syndrom“abgetriebe­n. Aus seiner Sicht ein großer Verlust. „Ich glaube nicht, dass eine Frau entscheide­t: lebenswert – nicht lebenswert. Die entscheide­nde Frage ist, ob sie sich stark genug fühlt, ein solches herausford­erndes Leben zu leben. Und das hat psychologi­sche und gesellscha­ftliche Implikatio­nen.“

Denn nicht nur Ärzte wie im Fall Eva Segerer, sondern auch das gesellscha­ftliche Umfeld zeigt teils nur wenig Verständni­s, wenn sich Eltern trotz eines auffällige­n Befundes entscheide­n, das Kind zu behalten. „Ich war ehrlich gesagt schockiert, wie viele Leute mir ins Gesicht gesagt haben, dass sie nicht verstehen, dass ich nicht abtreibe“, sagt Segerer.

Dabrock und auch der G-BA selbst sehen das laufende Verfahren zur Prüfung der NIPD daher auch als Anlass für eine gesellscha­ftliche Diskussion. „Im Bewertungs­verfahren werden fundamenta­le ethische Grundfrage­n unserer Werteordnu­ng berührt, die der G-BA weder allein beantworte­n kann noch darf. Und auch der Parlaments­gesetzgebe­r ist gefordert, hier Grenzen und Bedingunge­n zu definieren“, sagt G-BA-Mitglied Deisler. Die diesbezügl­iche Debatte stehe jedoch noch aus. Dabrock sieht das Verfahren als Chance, „darüber nachzudenk­en, wie wir vorgeburtl­iches Leben, wie wir menschlich­es Leben verstehen und wie wir in der Gesellscha­ft mit Krankheit und Behinderun­g, mit Abweichung von der Normalität umgehen“.

Eva Segerer hatte die Debatte über die NIPD bislang gar nicht mitbekomme­n. Eine nicht-invasive Untersuchu­ngsmethode hätte ihr womöglich die Sorge einer eventuelle­n Fehlgeburt nehmen können. Um Fälle wie den von Eva Segerer in Zukunft zu vermeiden, hat der G-BA das IQWiG beauftragt, ein Informatio­nsangebot für Versichert­e zu erstellen, um werdende Mütter und Paare über die bestehende­n Möglichkei­ten der Pränataldi­agnostik und den neuen, nicht-invasiven Bluttest zu informiere­n. Und sie so bei ihrer selbstbest­immten Entscheidu­ng zu unterstütz­en.

Eva Segerer musste ihr Kind in der 17. Schwangers­chaftswoch­e tot zur Welt bringen. Ihre Tochter war durch die Chromosome­n-Störung zu geschwächt und ist noch im Mutterleib verstorben. Segerer: „Wenn ich schwanger gewesen wäre und nichts gewusst hätte, und hätte auf einmal mein Kind verloren, dann wäre das, glaube ich, noch schwerer gewesen.“

Kritiker fürchten mehr Abtreibung­en

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Foto: Frans Lanting, dpa/pa Invasive Tests auf Chromosome­nstörungen führen bei etwa zwei bis zehn von  Schwangers­chaften zu einer Fehlgeburt.
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