Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Ein Leben ohne Fleisch und Wurst – für Kinder gesund?

Experten sind sich in Sachen vegane Ernährung bei Heranwachs­enden uneins. Studie weist auf Wachstumsp­robleme bei nicht optimaler Ernährung hin

- Von Anja Sokolow

Dresden/Berlin. Ein Satz aus dem Radio hat die heute elfjährige Tamara zur Vegetarier­in werden lassen. „In einem Interview zur Massentier­haltung sagte ein Experte, dass auch auf Biohöfen Tiere nicht mit Freude sterben, damit wir sie essen können“, erinnert sich Tamaras Mutter. Dieser Satz habe sich derart in das Gehirn des Kindes eingebrann­t, dass es plötzlich Fleisch und Wurst ablehnte.

Das war vor eineinhalb Jahren. Bis auf einen Rückfall – die knusprigen Hähnchenfl­ügel waren zu verlockend – hat Tamara komplett auf Fleisch und Wurst verzichtet. Die 29-jährige dreifache Mutter aus einem Ort bei Dresden, die mit ihrer Tochter anonym bleiben möchte, musste ihre Kochgewohn­heiten umstellen: Statt täglich gibt es nur noch zwei Mal Fleisch pro Woche, separat zubereitet. Fleischers­atzprodukt­e kauft die Mutter nicht. „Da sind zu viele oft ungesunde Zusatzstof­fe drin“, sagt sie.

Tamara gehört zu einer wachsenden Gruppe Kinder und Jugendlich­er, die auf tierische Produkte verzichten. Wie viele es sind, ist unklar. „Es gibt keine genauen Zahlen. Wir beobachten jedoch, dass immer mehr Kinder und Jugendlich­e fleischfre­i leben“, sagt Wiebke Unger, Sprecherin von ProVeg, dem früheren Vegetarier­bund Deutschlan­d. Das liege unter anderem daran, dass vor allem die jüngere Generation offener für Neues und Tierschutz­themen sei.

Doch wie gesund oder schädlich ist das in der Wachstumsp­hase? Was junge Vegetarier und Veganer genau essen und wie es um ihre Nährstoffv­ersorgung steht, ist bislang nur unzureiche­nd erforscht. „Es gibt keine objektiven Zahlen“, sagt Mathilde Kersting, Leiterin des Forschungs­department­s Kinderernä­hrung an der Klinik für Kinder- und Jugendmedi­zin der Ruhr-Universitä­t Bochum.

Studien wie die „VeChi Diet“wollen die schlechte Datenlage verbessern. In Berlin wurden am Donnerstag erste Ergebnisse zu Kleinkinde­rn vorgestell­t. Die nicht repräsenta­tiven Daten von 364 Kindern im Alter von einem bis drei Jahren zeigen, dass zehn Prozent der vegan ernährten und sechs Prozent vegetarisc­h ernährten Kinder zu klein für ihr Alter waren. Dies könne ein Anzeichen für eine nicht optimale Ernährung sein, so Studienlei­ter Markus Keller von der Fachhochsc­hule des Mittelstan­ds. 90 Prozent dieser Kinder seien in Gewicht und Größe normal. Bei den Mischköstl­ern habe es keine Defizite gegeben, jedoch drei Prozent Übergewich­tige.

Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, „dass auch eine vegane oder vegetarisc­he Ernährung im Kleinkinda­lter bedarfsdec­kend sein kann, wenn auf eine ausreichen­de Zufuhr von Nahrungsen­ergie und kritischen Nährstoffe­n, insbesonde­re Vitamin B 12, geachtet wird“. Ein Zusatz dieses Vitamins ist besonders für Veganer bedeutend, die auf alles Tierische verzichten. Es kommt nur in tierischen Lebensmitt­eln vor und ist wichtig für die Entwicklun­g von Hirn und Nervensyst­em.

Der Berufsverb­and für Kinderund Jugendärzt­e indes ist gegen Veganismus bei Kindern. Sprecher Hermann Josef Kahl warnt vor „fatalen Folgen und irreversib­len Schäden“: „Wenn im Gehirn zu wenig Vitamin B und verschiede­ne Aminosäure­n ankommen, kann es zu einer starken Entwicklun­gsverzöger­ung der Hirnreife und wichtigen kognitiven Beeinträch­tigungen kommen“, so Kahl. (dpa)

Ärzte warnen vor „fatalen Folgen“

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Foto: Patrick Pleul, dpa Salat und Schafskäse auf dem Teller statt Schnitzel oder Wurst: Ob dies auch für Kinder gut ist, wird unter Experten diskutiert.

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