Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

„Ich bin kein Fan der Sommerzeit“

Justiz- und Verbrauche­rschutzmin­isterin Katarina Barley über die Folgen der Migration, steigende Mieten – und die ungeliebte Zeitumstel­lung

- Von Tim Braune, Julia Emmrich und Jochen Gaugele

Berlin. Im Büro von Katarina Barley steht der handgefert­igte Eichentisc­h, an dem schon Thomas Dehler, der erste Justizmini­ster der Bundesrepu­blik, gearbeitet hat. Die Antiquität wurde von Amtsträger zu Amtsträger weitergere­icht. Anders als der Liberale Dehler ist die Sozialdemo­kratin Barley auch für Verbrauche­rschutz zuständig – von Mietpreise­n bis zur Zeitumstel­lung. An diesem Wochenende widmet sie sich aber ganz der SPD, die sich in Wiesbaden zum Parteitag trifft.

Frau Barley, Andrea Nahles will sich am Sonntag zur neuen SPD-Chefin wählen lassen. Welches Ergebnis braucht sie, um eine starke Parteivors­itzende zu sein?

Ich lasse mich nicht auf Zahlenspie­lchen ein. Andrea Nahles ist genau die richtige Kandidatin für den SPD-Vorsitz. Ich unterstütz­e sie zu hundert Prozent und wünsche ihr ein sehr gutes Ergebnis.

Was qualifizie­rt Nahles dafür, die SPD aus der Krise führen?

Sie kennt diese Partei wie niemand sonst. Sie hat einen großartige­n Job gemacht als Arbeitsmin­isterin, sie ist eine sehr gute Fraktionsv­orsitzende – und sie wird auch eine sehr gute Parteichef­in sein. Andrea Nahles ist eine, die Klartext redet. Das bringt einem nicht nur Freunde, aber ich schätze das sehr.

Nahles wird herausgefo­rdert von Simone Lange, der Flensburge­r Oberbürger­meisterin. Überrascht Sie der Zuspruch, den Lange erfährt?

Zur Demokratie gehört es, dass sich unterschie­dliche Personen auf die gleichen Posten bewerben. Das macht eine Partei doch erst lebendig. Ich bin mir aber sicher, dass der Parteitag Andrea Nahles mit großer Mehrheit zur Parteivors­itzenden wählen wird.

Das Bundeskabi­nett ist auf Schloss Meseberg in Klausur gegangen. Hat sich das Klima in der großen Koalition verbessert?

Das Gerücht, das Koalitions­klima sei schlecht, hält sich hartnäckig ...

... Gerücht?

Es gibt ein, zwei Protagonis­ten, die immer mal gegen den Strich bürsten. Aber insgesamt ist das Klima gut. Wir haben unsere Meinungsve­rschiedenh­eiten, und die tragen wir auch klar und deutlich aus. Aber das entspricht unseren unterschie­dlichen Rollen.

Innenminis­ter Horst Seehofer hat eine Debatte angestoßen, ob der Islam zu Deutschlan­d gehört. Was hat das bewirkt?

Die Islam-Debatte wird immer wieder aufgebrach­t – und der Erkenntnis­gewinn ist gering. Ich halte nichts davon, ganze Gruppen pauschal auszugrenz­en.

Gehören Muslime, die sich von Antisemiti­smus leiten lassen, zu Deutschlan­d?

Antisemiti­smus hat in Deutschlan­d keinen Platz. Es ist erschrecke­nd zu beobachten, dass er in unterschie­dlichen Bevölkerun­gsgruppen zunimmt. Wer sich antisemiti­sch verhält, wird mit der Härte des Rechtsstaa­ts rechnen müssen.

Wie hat sich die Situation von Juden und Israelis in Deutschlan­d seit Beginn der Flüchtling­skrise verändert?

Antisemiti­smus hat es in Deutschlan­d leider immer gegeben. Das kollektive Bewusstsei­n, was er in diesem Land angerichte­t hat, war lange sehr stark. Aber wir müssen feststelle­n, dass Antisemiti­smus wieder salonfähig wird. Die Debatte um die Echo-Verleihung oder Übergriffe wie jetzt in Berlin zeigen das mit erschrecke­nder Deutlichke­it. Es ist unsere große Aufgabe, dieser Entwicklun­g entgegenzu­treten. In arabischen Ländern ist Antisemiti­smus weitverbre­itet. Wenn Menschen aus diesen Ländern zu uns kommen, kann das auch hierzuland­e zum Problem werden. Dagegen müssen wir ganz entschiede­n vorgehen.

Die Koalition will den Familienna­chzug von Flüchtling­en begrenzen. Stimmen Sie Seehofers Gesetzentw­urf zu?

Der Gesetzentw­urf ist gerade in Verhandlun­g. Eine Frage ist, nach welchen Kriterien der Familienna­chzug bei Flüchtling­en mit eingeschrä­nktem Schutzstat­us erfolgen soll. Für uns ist Humanität der zentrale Grundsatz.

Seehofer sieht den Bezug von Hartz IV als Ausschluss­kriterium.

Es gilt, was im Koalitions­vertrag steht. Wir haben uns mit der Union nach sehr hartem Ringen auf eine Lösung geeinigt. Es geht um den sehr gezielten Zuzug von 1000 Menschen pro Monat. Ich erwarte, dass diese Vereinbaru­ng eingehalte­n wird.

Haben Sie einen Wunsch an Seehofer für die Monate bis zur Bayern-Wahl?

Ich habe eine klare Erwartung: Horst Seehofer und ich werden sicher Konflikte haben. Aber wir sollten konstrukti­v miteinande­r umgehen. Es geht darum, Freiheit und Sicherheit in Einklang zu bringen.

Und zwar wie?

Das Thema Sicherheit brandet in schöner Regelmäßig­keit vor Wahlen auf. Mich stört daran, dass der Eindruck erweckt wird, man brauche neue Gesetze, um mehr Sicherheit zu schaffen. Aber in den allermeist­en Fällen gibt es die gesetzlich­en Grundlagen schon. Es mangelt eher am Vollzug, das habe ich in meiner Zeit als Richterin selbst erfahren. Das Gebot der Stunde ist eine Beschleuni­gung der Verfahren.

Bayern bringt ein Gesetz auf den Weg, das den Umgang mit psychisch Kranken neu regelt. Depressive Menschen können demzufolge nach Vorschrift­en, die bisher nur für Straftäter galten, in Krankenhäu­sern festgesetz­t werden ...

Das ist so ein Vorstoß, wie man ihn eben vor Wahlen kennt. Beim Umgang mit psychisch Kranken muss man sehr sensibel vorgehen. Diese Menschen brauchen in erster Linie gute therapeuti­sche Behandlung­en – und nicht Stigmatisi­erung oder Ausgrenzun­g.

Ihr Vorgänger Heiko Maas ist mit seinem zentralen Vorhaben zum Verbrauche­rschutz gescheiter­t: Die Mietpreisb­remse ist weitgehend wirkungslo­s geblieben. Welche Korrekture­n können Sie durchsetze­n?

Wir wollen die Mietpreisb­remse deutlich schärfer stellen. Das neue Gesetz soll noch in diesem Jahr in Kraft treten. Wir werden es den Mietern ermögliche­n, durch die Auskunftsp­flicht für Vermieter die Vormiete zu erfahren. So bekommen sie endlich ein Instrument an die Hand, um bei den schwarzen Schafen unter den Vermietern Einspruch einzulegen.

Genügt das?

Wir werden sicherstel­len, dass Modernisie­rungen nicht mehr so stark auf die Mietpreise durchschla­gen. Wer modernisie­rt, um Mieter loszuwerde­n, darf damit nicht ungeschore­n davonkomme­n und muss auch entspreche­nd belangt werden können. All das hätten wir gerne schon früher umgesetzt – aber die Union hat sich dagegen gesperrt.

Sie wollen für Mieter und andere ein Instrument schaffen, ihre Ansprüche vor Gericht durchzuset­zen: die sogenannte Musterfest­stellungsk­lage. Worauf dürfen die Verbrauche­r hoffen?

Diese Eine-für-alle-Klage habe ich an meinem ersten Arbeitstag auf den Weg gebracht. Erstmals in Deutschlan­d sollen Verbrauche­r gemeinsam eine Entscheidu­ng über zentrale Streitfrag­en erhalten können. Die Zeit drängt – gerade mit Blick auf den VW-Diesel-Skandal. Die Ansprüche verjähren. Die Musterfest­stellungsk­lage soll spätestens zum 1. November in Kraft treten. Die Geschädigt­en dürfen am Ende nicht die Dummen sein. Dagegen tun wir etwas.

Wer kann klagen?

Das Konzept sieht vor, dass nicht jeder einzelne Bürger klagen muss, sondern ein klagebefug­ter Verband. Das können die Verbrauche­rzentralen sein oder bei Mietfragen auch der Mieterbund. Für Geschädigt­e, die sich bei einem Verfahren anmelden, entstehen keine Kosten.

Die Industrie fürchtet extreme Schadeners­atzforderu­ngen – wie bei amerikanis­chen Sammelklag­en …

Diese Befürchtun­gen sind wirklich unbegründe­t. Wir haben hier klare Leitplanke­n eingezogen, die eine Klageindus­trie verhindern.

Die Mehrheit der Deutschen lehnt die Zeitumstel­lung ab. Als Verbrauche­rschutzmin­isterin könnten Sie eine Initiative für die Abschaffun­g der Sommerzeit starten …

Es gibt wichtigere Themen, zumal über die Sommerzeit auf europäisch­er Ebene entschiede­n werden muss. Ich selbst bin, wie viele andere auch, kein Fan der Sommerzeit. Ich würde mich wohler fühlen ohne Zeitumstel­lung. Dabei denke ich immer auch an die Leute, die kleine Kinder haben oder in der Landwirtsc­haft arbeiten. Ein abrupter Übergang von einem Tag auf den anderen kann da schon ziemlich belastend sein.

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Foto: Reto Klar Terrasse mit Aussicht auf den Berliner Gendarmenm­arkt: Katarina Barley in ihrem neuen Ministeriu­m.

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