Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Korruption in Asyl-Behörde?

Leitende Mitarbeite­rin des Migrations­amts soll Asyl in Hunderten Fällen zu Unrecht gewährt haben

- Von Andre Dolle, Jan Jessen und Miguel Sanches

Berlin. Bremen ist eine gute Stadt für Flüchtling­e. Das ist seit Jahren bekannt, statistisc­h belegt und wissenscha­ftlich erforscht. Die Schutzquot­e von Flüchtling­en aus dem Irak ist dort mit 96,4 Prozent fast doppelt so hoch wie in Berlin (50,3). Die Linke-Abgeordnet­e Ulla Jelpke, die im vergangene­n Herbst dazu eine parlamenta­rische Anfrage gestellt und darauf aufmerksam gemacht hatte, vermisste eine plausible Erklärung für die unterschie­dlichen Quoten. Seit Freitag dürfte Jelpke schlauer sein.

Die Außenstell­e des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e (Bamf) in Bremen steht im Verdacht, Anträge im großen Stil ohne Prüfung genehmigt zu haben – obgleich die Außenstell­e nicht zuständig war. Es geht um bis zu 2000 Fälle seit 2013. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt. Der Vorwurf lautet auf Bestechlic­hkeit und bandenmäßi­ge Verleitung zur missbräuch­lichen Asylantrag­stellung. Die Leiterin der Außenstell­e wurde suspendier­t.

Mit Bussen kamen die Flüchtling­e nach Bremen

Die Vorteile, die im Raum stehen, klingen zunächst läppisch für einen Korruption­sfall: Restaurant­einladunge­n. Unzweifelh­aft ist, dass die Amtsleiter­in ein großes Herz für die Jesiden hatte, für die religiöse kurdische Minderheit aus dem Irak, Syrien, der Türkei und dem Iran. Wer ihren Twitter-Account liest, spürt ihre Sympathie und merkt, wie tief sie sich der jesidische­n Gemeinde verbunden fühlte. Sie war gut vernetzt.

Mit Hilfe von drei Anwälten aus Bremen, Oldenburg und Hildesheim reisten Jesiden aus vielen Bundesländ­ern an, um in der Hansestadt Asyl zu beantragen. Einer der Anwälte war der ehemalige Lebensgefä­hrte der 57jährigen Amtsleiter­in, wie aus einer internen Polizeimel­dung hervorgeht, die unserer Zeitung vorliegt. Die Menschen kamen demnach überwiegen­d aus Niedersach­sen und NordrheinW­estfalen. Der Anwalt aus Hildesheim hat sie teils mit gechartert­en Bussen nach Bremen gefahren. In den meisten Fällen ging es um Jesiden aus Syrien und dem Irak. Ihre Anerkennun­g war reine Formsache. Zum einen war ihnen die Amtsleiter­in wohlgesinn­t, zum anderen eine Kontrolle schwer bis unmöglich.

Anders als in vielen Bundesländ­ern war es in Bremen üblich, dass die Anhörung eines Flüchtling­s und die Entscheidu­ng über seinen Antrag in einer Hand lagen. Für die Jesiden praktische­rweise bei der Amtschefin. Das Bamf war nach Informatio­nen unserer Zeitung örtlich nur für 98 Anträge zuständig. Neben der Kompetenzf­rage soll es „zahlreiche weitere Rechtsvers­töße“gegeben haben, die systematis­ch verschleie­rt wurden. So wurden Asylbewerb­er nicht erkennungs­dienstlich behandelt und Anträge verschlepp­t, bis europäisch­e Fristen verstriche­n waren und die Menschen nicht abgeschobe­n werden durften.

Der Missbrauch konnte auf Dauer nicht unbemerkt bleiben. Die Bremer Quoten fielen auf, erst dem niedersäch­sischen Innenminis­terium, in der Folge der internen Revision. In Hannover hatten die Behörden im Zusammenha­ng mit einer gerichtlic­hen Auseinande­rsetzung um einen Asylantrag Unregelmäß­igkeiten bei der Bewilligun­g festgestel­lt und weitere Anträge aus Bremen geprüft. Daraufhin schlug der niedersäch­sische Innenminis­ter Boris Pistorius (SPD) schon im September 2016 in einem Schreiben an den damaligen Bamf-Chef Frank-Jürgen Weise Alarm.

Das Bamf erstattete Strafanzei­ge und suspendier­te die Beamtin. Monatelang wurde ermittelt, diese Woche ließ die Staatsanwa­ltschaft acht Objekte in Bremen und Niedersach­sen durchsuche­n, darunter die drei Rechtsanwa­ltskanzlei­en. Wie die Bremer Staatsanwä­ltin Claudia Kück mitteilte, geht man gegen sechs Personen vor, darunter auch einen Dolmetsche­r. Unklar ist, ob Geld geflossen ist. Bei einer Verurteilu­ng wegen Bestechlic­hkeit drohen den Beschuldig­ten zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Haft, nur in minder schweren Fällen bloß Geldstrafe­n.

Das Besondere an diesem Fall ist, dass die Jesiden eine trickreich­e Umgehung nicht nötig haben. Gewöhnlich werden ihre Anträge genehmigt. Wer sich in der jesidische­n Gemeinde umhört, erfährt eine plausible Erklärung für das Vorgehen: den Familienna­chzug. Nur anerkannte Asylbewerb­er und Flüchtling­e dürfen ihre Familien nachholen. Wer es eilig hatte, ging nach Bremen – die Außenstell­e wirkte wie ein Verfahrens­beschleuni­ger. Asylbesche­ide werden normalerwe­ise alle drei Jahre überprüft. Nun veranlasst­e das Bamf Regel- und Widerrufsp­rüfungen. Sind die Bescheide der Jesiden bald ungültig?

„Es geht jetzt darum, die Verdachtsm­omente aufzukläre­n“, mahnt Regierungs­sprecher Steffen Seibert. Behördench­efin Jutta Cordt steht unter Druck. Noch hallt der letzte Skandal nach. 2017 hatte ein Bundeswehr­offizier sich als Syrier ausgegeben, das Bamf genarrt und um Finanzhilf­en geprellt.

Die unterschie­dlichen Schutzquot­en sind indes bekannt. Wissenscha­ftler der Universitä­t Konstanz hatten schon für die Zeit vor der Flüchtling­skrise 2015 festgestel­lt, dass das Schicksal der Antragstel­ler stark von der Zuteilung zu einem bestimmten Bundesland abhänge. Schon damals fiel Bremen auf, es wies zusammen mit dem Saarland die höchsten Quoten auf.

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. F.: Reuters/F. Bensch Skandale beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e erschütter­n das Vertrauen in die Asylpoliti­k

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