Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Korruption in Asyl-Behörde?
Leitende Mitarbeiterin des Migrationsamts soll Asyl in Hunderten Fällen zu Unrecht gewährt haben
Berlin. Bremen ist eine gute Stadt für Flüchtlinge. Das ist seit Jahren bekannt, statistisch belegt und wissenschaftlich erforscht. Die Schutzquote von Flüchtlingen aus dem Irak ist dort mit 96,4 Prozent fast doppelt so hoch wie in Berlin (50,3). Die Linke-Abgeordnete Ulla Jelpke, die im vergangenen Herbst dazu eine parlamentarische Anfrage gestellt und darauf aufmerksam gemacht hatte, vermisste eine plausible Erklärung für die unterschiedlichen Quoten. Seit Freitag dürfte Jelpke schlauer sein.
Die Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Bremen steht im Verdacht, Anträge im großen Stil ohne Prüfung genehmigt zu haben – obgleich die Außenstelle nicht zuständig war. Es geht um bis zu 2000 Fälle seit 2013. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Der Vorwurf lautet auf Bestechlichkeit und bandenmäßige Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung. Die Leiterin der Außenstelle wurde suspendiert.
Mit Bussen kamen die Flüchtlinge nach Bremen
Die Vorteile, die im Raum stehen, klingen zunächst läppisch für einen Korruptionsfall: Restauranteinladungen. Unzweifelhaft ist, dass die Amtsleiterin ein großes Herz für die Jesiden hatte, für die religiöse kurdische Minderheit aus dem Irak, Syrien, der Türkei und dem Iran. Wer ihren Twitter-Account liest, spürt ihre Sympathie und merkt, wie tief sie sich der jesidischen Gemeinde verbunden fühlte. Sie war gut vernetzt.
Mit Hilfe von drei Anwälten aus Bremen, Oldenburg und Hildesheim reisten Jesiden aus vielen Bundesländern an, um in der Hansestadt Asyl zu beantragen. Einer der Anwälte war der ehemalige Lebensgefährte der 57jährigen Amtsleiterin, wie aus einer internen Polizeimeldung hervorgeht, die unserer Zeitung vorliegt. Die Menschen kamen demnach überwiegend aus Niedersachsen und NordrheinWestfalen. Der Anwalt aus Hildesheim hat sie teils mit gecharterten Bussen nach Bremen gefahren. In den meisten Fällen ging es um Jesiden aus Syrien und dem Irak. Ihre Anerkennung war reine Formsache. Zum einen war ihnen die Amtsleiterin wohlgesinnt, zum anderen eine Kontrolle schwer bis unmöglich.
Anders als in vielen Bundesländern war es in Bremen üblich, dass die Anhörung eines Flüchtlings und die Entscheidung über seinen Antrag in einer Hand lagen. Für die Jesiden praktischerweise bei der Amtschefin. Das Bamf war nach Informationen unserer Zeitung örtlich nur für 98 Anträge zuständig. Neben der Kompetenzfrage soll es „zahlreiche weitere Rechtsverstöße“gegeben haben, die systematisch verschleiert wurden. So wurden Asylbewerber nicht erkennungsdienstlich behandelt und Anträge verschleppt, bis europäische Fristen verstrichen waren und die Menschen nicht abgeschoben werden durften.
Der Missbrauch konnte auf Dauer nicht unbemerkt bleiben. Die Bremer Quoten fielen auf, erst dem niedersächsischen Innenministerium, in der Folge der internen Revision. In Hannover hatten die Behörden im Zusammenhang mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung um einen Asylantrag Unregelmäßigkeiten bei der Bewilligung festgestellt und weitere Anträge aus Bremen geprüft. Daraufhin schlug der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) schon im September 2016 in einem Schreiben an den damaligen Bamf-Chef Frank-Jürgen Weise Alarm.
Das Bamf erstattete Strafanzeige und suspendierte die Beamtin. Monatelang wurde ermittelt, diese Woche ließ die Staatsanwaltschaft acht Objekte in Bremen und Niedersachsen durchsuchen, darunter die drei Rechtsanwaltskanzleien. Wie die Bremer Staatsanwältin Claudia Kück mitteilte, geht man gegen sechs Personen vor, darunter auch einen Dolmetscher. Unklar ist, ob Geld geflossen ist. Bei einer Verurteilung wegen Bestechlichkeit drohen den Beschuldigten zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Haft, nur in minder schweren Fällen bloß Geldstrafen.
Das Besondere an diesem Fall ist, dass die Jesiden eine trickreiche Umgehung nicht nötig haben. Gewöhnlich werden ihre Anträge genehmigt. Wer sich in der jesidischen Gemeinde umhört, erfährt eine plausible Erklärung für das Vorgehen: den Familiennachzug. Nur anerkannte Asylbewerber und Flüchtlinge dürfen ihre Familien nachholen. Wer es eilig hatte, ging nach Bremen – die Außenstelle wirkte wie ein Verfahrensbeschleuniger. Asylbescheide werden normalerweise alle drei Jahre überprüft. Nun veranlasste das Bamf Regel- und Widerrufsprüfungen. Sind die Bescheide der Jesiden bald ungültig?
„Es geht jetzt darum, die Verdachtsmomente aufzuklären“, mahnt Regierungssprecher Steffen Seibert. Behördenchefin Jutta Cordt steht unter Druck. Noch hallt der letzte Skandal nach. 2017 hatte ein Bundeswehroffizier sich als Syrier ausgegeben, das Bamf genarrt und um Finanzhilfen geprellt.
Die unterschiedlichen Schutzquoten sind indes bekannt. Wissenschaftler der Universität Konstanz hatten schon für die Zeit vor der Flüchtlingskrise 2015 festgestellt, dass das Schicksal der Antragsteller stark von der Zuteilung zu einem bestimmten Bundesland abhänge. Schon damals fiel Bremen auf, es wies zusammen mit dem Saarland die höchsten Quoten auf.