Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Vom Wachsen und Reifwerden
Es ist endlich Frühling geworden und nun warte ich darauf, dass sich mehr und mehr Grün zeigt. Wachstum ist angesagt. In den Pflanzsteinen, in die ich im Herbst neue Gewächse gesetzt habe, wächst und sprießt es jedoch nur sehr langsam. Manche Winternacht war einfach zu kalt. Und so freue ich mich über jedes neue Blättchen, das aufwächst.
Wachstum ist lebenswichtig. Das frische Grün produziert den Sauerstoff, den Mensch und Tier zum Leben brauchen. Und auch sonst steht das Wachstum in unserer Gesellschaft als Prinzip an oberster Stelle. Die Wirtschaft muss wachsen, damit unser System funktioniert. Da genügt es nicht allein, Gewinn zu machen. Es sollen jedes Jahr möglichst mehr Rendite abfallen. Ob das auf Dauer gut geht?
Die Natur zeigt uns, dass es mit dem Wachsen allein nicht getan ist. Was im Frühjahr wächst und blüht, das soll im Herbst reife Früchte tragen. Auch Kinder wachsen nicht ihr Leben lang, sondern sie werden hoffentlich einmal erwachsen sein. Als Erwachsene stehen sie vor einer anderen Herausforderung: Der Aufgabe, reif zu werden. Doch wer lässt sich heutzutage auf diesen Prozess ein?
Antoine de Saint-Exupéry hat in einem Gebet folgende Bitte an Gott formuliert: „Bewahre mich vor dem naiven Glauben, es müsste im Leben alles glatt gehen. Schenke mir die nüchterne Erkenntnis, dass Schwierigkeiten, Niederlagen, Misserfolge, Rückschläge eine selbstverständliche Zugabe zum Leben sind, durch die wir wachsen und reifen.“
Zum Wachsen gehört auch das Reifwerden. Das braucht Zeit, Geduld, Weisheit und die Bereitschaft, sich mit den Untiefen des Lebens auseinanderzusetzen. Unsere Welt braucht Menschen, die als gereifte Persönlichkeiten Verantwortung übernehmen, für ihr eigenes Leben und das der Gemeinschaft.
Sind Sie einer von ihnen?