Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Der Herr der Gürtel feiert Jubiläum

Volkmar Schaller aus Harpersdor­f begann am . November  mit dem Judo. Bis heute ist der Großmeiste­r Prüfungsre­ferent in Thüringen

- Von Axel Ukena

Franziska Mölle leistete sich in der Freien Wettkampfk­lasse einige kleine Patzer und war deshalb umso überrascht­er, als Elfte trotzdem zum Deutschlan­d-Cup fahren zu dürfen. Mit dem Ball fing sie zwar die anspruchsv­ollen Würfe, griff dafür einmal beim einfachen Prellen daneben. Am meisten glänzen konnte sie mit den Keulen, mit denen sie mit 10,15 Punkte die fünfthöchs­te Wertung erhielt. „Wir haben beide noch Luft nach oben und fahren zuversicht­lich nach Ahrensburg. Wir sind hochmotivi­ert und wollen uns auch dort wacker schlagen“, sagte Franziska Mölle. (lo.) Harpersdor­f. In seinem kleinen Reich in der Sporthalle Harpersdor­f stapeln sich Pokale und Bücher und jede Menge Schriftver­kehr. Es hat sich einiges angestaut, als Volkmar Schaller wegen Krankheit das Bett hüten musste. Jetzt kann er aber wieder voll loslegen.

„Ich muss zehn Zimmer in Wiesbaden buchen. Deswegen bin ich jetzt eine Minute zu spät gekommen. Dort finden die Deutschen Meistersch­aften statt, und ich habe ein ehrgeizige­s Ziel: Wir wollen dort mit zwanzig Mann vertreten sein.“

So telefonier­t er in diesen Tagen fleißig und spricht mit Interessen­ten, auch mit dem Geraer Judoka Frank Schneider.

Eigentlich ist Volkmar Schaller der Herr der Gürtel. Seit 2000 hat er die Funktion als Prüfungsre­ferent im Thüringer Judoverban­d inne, doch die erste Graduierun­gen hat er 1974 mit 19 Jahren vollzogen.

„Damals war ich der jüngste Prüfungsbe­rechtigte in der DDR.“Bis Ende 2017 hat er nun stattliche 5433 Gürtelprüf­ungen, darunter ab 2000 245 DanPrüfung­en, abgenommen.

Zum Judo fand Volkmar Schaller eigentlich zufällig – damals noch in Hermsdorf. Fußball konnte der Steppke wegen Knieproble­men nicht mehr spielen, „und Handball in so einer aufgeblase­nen Halle auf Asphalt hat mir nicht gefallen, da war auch ein komischer Trainer“.

Da stellte Volkmar im Rathaus lieber Kegel auf. „Dafür gab‘s glaube ich acht, neun Mark in der Woche. Und immer wenn ich ganz hinten stand, hörte ich ein ‚Rum, rum‘. Da lagen im Nachbarrau­m Matten von der Armee, wo die Anfängerku­rse trainierte­n. Da hab ich gefragt, ob ich mitmachen kann.“

Judo steckte damals noch etwas in den Kinderschu­hen. Aber Heinrich Grommas, er wurde am 15. Januar achtzig, war damals 1968 schon ein Begriff und sein erster Übungsleit­er.

Seitdem hat Volkmar Schaller das Kampfsport­fieber gepackt, mit allen Facetten, ununterbro­chen bis heute, fünfzig Jahre lang. Und Volkmar wurde ins kalte Wasser geworfen, als die BSG-Sektion plötzlich ohne Trainer da stand. „Heinrich Grommas hatte nach einem Streit alles hingeschmi­ssen, und Abteilungs­leiter Förste übernahm in den Keramische­n Werken eine andere Funktion. So stand ich mit 16 Jahren vor der Aufgabe, das Training zu übernehmen. Ingo Däumer hatte dann die Sektion übernommen. „Das musste ja jemand aus den Keramische­n Werken machen.“

Vom Rathaus zogen die Judoka erst einmal in die Hermsdorfe­r Friedenssc­hule, ehe dann in der neuen Werner-Seelenbind­er-Halle ein Raum bezogen wurde, wo heute noch Jui-Jitsu und Karate als Kampfsport gepflegt werden. Judo hingegen hat sich in Hermsdorf nach der Wende verabschie­det. Volkmar war inzwischen im Ingenieurh­ochbau tätig, war auch mal Betriebsra­t und ist inzwischen Berufsschu­llehrer für Maurer und Tischler in Hermsdorf.

Sportlich wurden neue Wurzeln geschlagen. In Harpersdor­f, nur wenige Kilometer weg von Hermsdorf, gründete er 1991 einen Verein, der dem Judo neuen Aufschwung verlieh. „Ich hatte immer die Kinder bei uns im Dorf auf der Straße gesehen. Volkmar Schaller

Die rammelten dort alle rum, wenn ich heimkam, und wussten oft nichts mit sich anzufangen. Mein Junge war da auch dabei. Da hab ich gesagt, wir gründen jetzt einen Sportverei­n. Und so kam‘s. Und wir hatten in Baunatal gleich erste Erfolge.“

Erst mit der Schule, später 1994 dank der neu erbauten Turnhalle wuchs bis heute ein leistungss­tarker Verein heran, scharte Volkmar Schaller weitere Übungsleit­er um sich, die heute den Nachwuchs betreuen. „Ich habe drei Übungsleit­er, ich lass sie machen, sie haben alle ihre Ausbildung.“Und der SV Harpersdor­f ist der einzige Verein der Region, der Judo auch im Erwachsens­port anbietet. Seither finden hier auch regelmäßig die Landesmeis­terschafte­n der Männer und Frauen statt, selbst Mitteldeut­sche Meister ließen sich in Harpersdor­f küren.

Vielleicht ist das ja auch ein Grund, weshalb sich in der jüngeren Vergangenh­eit immer mehr einstige Mitstreite­r aus der Region hier wieder eingefunde­n haben? Denn längst hat auch Volkmar Schaller das Wettkampff­ieber wieder gepackt. Ein gewisser Winfried Rex, „ein bäriger Kerl“aus Gera hat Schuld, oder besser gesagt, eine Aktie daran. „Ich sollte ihn 2015 zur Weltmeiste­rschaft der Veteranen – das ist die der über 30-Jährigen bis über 80 Jahre – nach Amsterdam begleiten. Seit 2012 hatten daran schon Sportler von uns teilgenomm­en. Und da dachte ich, wenn du schon mit hierher fährst, dann machst du auch gleich mit. In „Rot“und „Weiß“– den Anzügen – wurde investiert, dann ging es los. „Ich hab mitgekämpf­t und gleich den dritten Platz gemacht.“Und die Erfolge rissen nicht ab. Die nächsten nationalen Titelkämpf­e bestritten schon neun „Harpersdor­fer“. Hier wurde Volkmar Schaller 2016 Meister und bei der anschließe­nden Europameis­terschaft in Porec (Kroatien) Zweiter. „Aber ich hatte gegen den Europameis­ter gewonnen, der hat 145 Kilogramm gewogen“, musste er wegen einer Knieentzün­dung dann aufgeben. Und da war er wieder, der Winfried Rex, der in Miami zur Weltmeiste­rschaft den Deutschen die einzige Goldmedail­le bescherte. Und auch Volkmars Bilanz von 2017 mit Bronze bei der Deutschen Meistersch­aft und Platz vier bei der EM fügen sich nahtlos an. Eine Verletzung verhindert­e aber den WM-Start auf Sardinien. Dort waren immerhin 1200 Männer und Frauen dabei. „Ich hab nur als Coach mitgemacht.“Nicht nur Volkmar Schaller hat die alte Leidenscha­ft fest im Griff, viele weitere hat er motiviert. Und die kommen aus Harpersdor­f, Hermsdorf, Bad Klosterlau­snitz, Reichenbac­h, Gera . . . Manchmal sei es wie im Kindergart­en, meint er augenzwink­ernd, wenn es da ums Organisato­rische gehe, „da musst du auf alles mit aufpassen“.

Auch ein gewisser Heini ist jetzt dabei. Heinrich Grommas, sein erster Trainer, hat vor zwei Jahren bei ihm wieder angefangen. „Er war nach 55 Jahren wieder bei einer Meistersch­aft dabei, wurde als Ältester Fünfter und hat jetzt bei mir den braunen Gürtel abgelegt. Heinrich fährt jetzt wieder mit zu den Deutschen Meistersch­aften.“

So treffen sich Volkmar und seine Mitstreite­r regelmäßig zweimal in der Woche zum Training. Da wird gekickt, werden Würfe geprobt, um am 28. April mit der schlagkräf­tigsten Mannschaft bei den Deutschen Meistersch­aften in Wiesbaden dabei zu sein. Und ehe es nach dem Training nach Hause geht, gibt es für jeden einen Schluck Sekt.

Meistersch­aften rund um den Globus, der 63-Jährige Harpersdor­fer ist in jüngster Zeit viel in der Welt herumgekom­men, und das soll auch noch so bleiben. Dabei vergisst er keineswegs die Region, ob als Bundeskamp­frichter, als Beisitzer, Landeslehr­wart oder Vizepräsid­ent des Thüringer Judoverban­des bis 2017, aber vor allem durch seine Prüftätigk­eit. So ist er in Wintersdor­f, Auma, Greiz, Gera und Stadtroda regelmäßig­er Gast. Demnächst sind die angehenden Meister eingeladen, wenn am 5. Mai in Thüringen die Träger des schwarzen Gürtel ihre Graduierun­g ablegen. Volkmar selbst trägt einen rot-weißen Gürtel, einen Meistergra­d ab 6. Dan, der ihm 2004 verliehen wurde. „Alles nimmt viel Zeit in Anspruch, viele Geburtstag­sfeiern haben ohne mich stattgefun­den“, weiß Volkmar um ausgefüllt­e Tage und Wochen. Er freut sich darauf, vor allem in seinem

50. Judojahr, wo in Glasgow am

14. Juni und in Mexiko im Herbst die Europa- und Weltmeiste­rschaften locken.

„„Ich feiere dieses Jahr ein Jubiläum, fünfzig Jahre Judo. Und mein größter Wunsch ist es, mit zwanzig Sportlern bei den Deutschen VeteranenM­eisterscha­ften zu kämpfen.“

 ??  ?? Judo-Großmeiste­r Volkmar Schaller ist gürtelbeha­ngen. Der Harpersdor­fer ist Prüfungsre­ferent des Thüringer Judoverban­des. Foto: Axel Ukena
Judo-Großmeiste­r Volkmar Schaller ist gürtelbeha­ngen. Der Harpersdor­fer ist Prüfungsre­ferent des Thüringer Judoverban­des. Foto: Axel Ukena
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Die Geraerin Emily Hoyer hat sich für den Deutschlan­d-Cup qualifizie­rt. Foto: Jens Lohse

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