Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Sitzt, wackelt und hat Luft
Lange Zeit wurden Faszien unterschätzt. Dabei geben sie nicht nur unserem Körper Halt und Form, sondern sind ein wichtiges Wahrnehmungsorgan. Wir sollten den Strukturen, die unsere Muskeln umhüllen, mehr Beachtung schenken
Das weiße Bindegewebe, das Muskeln und Organe umschließt, nennt man Faszien. „Man kann sich das ähnlich vorstellen wie die dünne Zellophanhülle einer Leberwurst“, sagt Robert Schleip, Humanbiologe und Faszienforscher. Lang konnte man mit dem Thema in der Schulmedizin wenig anfangen, sagt Schleip, der auch das Fascia Research Project an der Universität Ulm leitet.
Das hauchdünne Bindegewebe galt meist als reine Verpackung. Erst in den letzten 15 Jahren, auch dank technischer Neuerungen in der Ultraschalldiagnostik, beschäftigen sich Wissenschaftler intensiver mit dem elastischen Gewebe. Mit erstaunlichen Ergebnissen: Die an den meisten Stellen nur knapp einen Millimeter dünnen Faszien sind eines unserer wichtigsten Sinnesorgane. Über 100 Millionen Nervenenden befinden sich in diesem kollagenen Gewebenetz. Sie fühlen Kraft, Dehnung und Bewegung der einzelnen Körperteile. Dank ihnen können wir uns auch mit geschlossenen Augen durch einen Raum bewegen. Sie nehmen aber auch Schmerzen wahr und sind für die Kraftübertragung zwischen Muskeln zuständig. „Faszien formen und stützen unseren Körper – und es gibt Hinweise darauf, dass sie bei vielen Rückenschmerzen eine wesentliche Rolle spielen“, sagt Schleip.
Verfilzte und verklebte Fasern
Gesunde Faszien haben häufig eine scherengitterartige Struktur und sind damit elastisch und flexibel. Bei älteren oder untrainierten Menschen, aber auch nach einer Sportverletzung, können die Fasern jedoch verfilzen und verkleben. Wir fühlen uns steif und unbeweglich und haben Verspannungen. Mit bestimmten Übungen hält man sein Bindegewebe geschmeidig und kann verklebte Faszien lösen. Einen Trainer braucht man dazu nicht zwingend, sagt Schleip. „Wie Nordic Walking kann man das zuerst selbst ausprobieren und eine professionelle Anleitung eventuell dann einfügen, wenn man Lust hat, es regelmäßig zu machen.“Wie oft man trainiert, hängt davon ab, ob man Bindegewebe regenerieren oder aufbauen will, sagt Schleip. Kollagenaufbau braucht eine Nachwirkungszeit, hier reichen zwei bis drei Einheiten pro Woche. Faszientraining ersetzt aber Muskel-, Herz-, Kreislauf- oder Koordinationstraining nicht, gibt der Experte zu bedenken. „Das kann nur eine Ergänzung sein.“Die beste Art, Bindegewebe zu trainieren, sei immer noch, sich regelmäßig und vielseitig zu bewegen.