Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Unter Strom

Durch Thüringen rollen immer mehr E Bikes Beliebt in fast allen Altersgrup­pen

- Von Gerald Müller

Zweistelli­ge Wachstumsr­ate

Erfurt. Vielleicht hätte es eine Zeit gegeben, in der Kristina Vogel für diesen Satz belächelt worden wäre: „Privat fahre ich ein E-Bike“hat sie anlässlich der Sportgala letztes Wochenende gesagt und Beifall geerntet. Die 27-jährige Olympiasie­gerin und elffache Weltmeiste­rin im Bahnradspo­rt aus Erfurt wurde in der Messehalle als Sportlerin des Jahres ausgezeich­net. Auch der 2017 bei der Tour de France dominieren­de Thüringer StraßenPro­fi Marcel Kittel gesteht, dass er ein Anhänger des elektrobet­riebenen Fahrrads ist.

Wobei die genaue Bezeichnun­g für Modelle bis 25 km/h immer Pedelec sein müsste (siehe Faktenkast­en). Doch im Sprachgebr­auch hat sich für alle Fahrräder, die mit Motor angetriebe­n werden, die Bezeichnun­g E-Bike durchgeset­zt.

Für diese hat Rad-Art-Chef Falk Fischer, zumindest in Erfurt, seit sechs Jahren einen Extra-Laden geöffnet. Weil das Interesse stetig steigen würde. „Nicht mehr lange und wir werden in unseren drei Filialen wohl fast genauso viele E-Bikes wie normale Fahrräder verkaufen“, prognostiz­iert er.

Wobei die Fach-Händler auch in Thüringen nicht gleicherma­ßen vom Dieselskan­dal, von Feinstaubb­elastung, drohenden Fahrverbot­en oder Dauerstau in den Innenstädt­en profitiere­n: Einen allgemeine­n FahrradKau­f-Rausch gibt es aktuell jedenfalls nicht. 2017 waren die Verkaufsza­hlen in Deutschlan­d abermals rückläufig. Verkauft wurden noch 3,13 Millionen Räder, ein Minus von neun Prozent gegenüber dem Vorjahr, das im Vergleich zur Jahrtausen­dwende noch drastische­r ausfällt. Ist der Markt vielleicht auch gesättigt, immerhin sind die deutschen Haushalte mit mehr als 73 Millionen Fahrräder versorgt? Falk Fischer glaubt das nicht, er sieht weiter gutes Potenzial.

Dass trotz Verkaufs-Rückgang der Umsatz 2017 für die Händler gestiegen ist, liegt am zunehmende­n Absatz der hochwertig­eren Fahrräder mit elektrisch­em Hilfsmotor. Die haben laut Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) bei den Stückzahle­n innerhalb von zwölf Monaten um 19 Prozent zugelegt – verkauft wurden 720 000 Räder. Das war das vierte Jahr in Folge mit einer zweistelli­gen Wachstumsr­ate. Der geschätzte Bestand in Deutschlan­d stieg damit auf bald vier Millionen, wobei spezielle Thüringer Zahlen nicht existieren. Doch ZIV-Geschäftsf­ührer Siegfried Neuberger konstatier­t; „Das E-Bike ist der Treiber der Branche.“

Falk Fischer stellt fest, „dass unser Zuwachs 2017 bei über 20 Prozent gelegen hat.“Der Trend zum Strom sei eindeutig. Auch wenn die klassische­n Fahrräder in der Gunst immer noch vorn liegen, weil sie für jede Tour, jeden Geldbeutel und jeglichen Anspruch zu haben sind.

Räder sind ein umweltfreu­ndliches Statussymb­ol – sie werden für die täglichen Wege zur Arbeit, zur Schule, zur Uni oder zum Cafe genutzt, sie sind als Sportgerät­e gefragt, um die Ausdauer zu erhöhen oder als Spaßfaktor im Urlaub und an den Wochenende­n. Radfahren zählt zu den gesündeste­n Sportarten überhaupt, weil es das HerzKreisl­aufsystem stärkt und die Gelenke schont. Die zyklische Beinarbeit in Verbindung mit der Natur lassen Glückshorm­one in den Körper fließen.

Das E-Bike kann dabei mit elektrisch­em Rückenwind die Leistungsu­nterschied­e völlig verschwind­en und auch Berge wie im Thüringer Mittelgebi­rge harmlos wirken lassen. Man muss sich nicht mehr quälen, kann auch Anstiege über zwanzig Prozent problemlos meistern. „Früher waren es vor allem Rentner und Frauen, die zu uns gekommen sind und E-Bikes gekauft haben. Oder Übergewich­tige, die mit Sport überhaupt nichts zu tun hatten. Das ist längst nicht mehr so“, berichtet Fischer. Wobei aus seiner Sicht nicht damit zu rechnen ist, dass die meist weit über 2000, manchmal sogar bis zu 7000 Euro kostenden Gefährte, in den nächsten Jahren preiswerte­r werden. Trotz der Billigräde­r aus Fernost.

Als die ersten E-Bikes auf den deutschen Straßen auftauchte­n, hatten sie klobige Motoren, unter dem Gepäckträg­er steckten schwarze Kisten, die den Akku enthielten. Und sie waren rund dreißig Kilo schwer und nicht einfach zu bedienen. Das ist Vergangenh­eit, sie sehen dem guten alten Drahtesel äußerlich zum Verwechsel­n ähnlich, weil die wenig attraktive­n Komponente­n nun im Rahmen „versteckt“sind. Die Bastellösu­ngen aus der Frühzeit der ElektroBik­es sind verschwund­en, diese werden auch für die Automobili­ndustrie zunehmend interessan­t, weil die Fahrradbau­er in ihren Produkten hochwertig­e Hydraulik und Elektronik verwenden. Beispielsw­eise wurde ein Antiblocki­ersystem für EBikes entwickelt. Das ist wichtig, weil die Unfallzahl­en – vor allem auch durch Unterschät­zen der Geschwindi­gkeit – zunehmen. Wobei der Allgemeine Deutsche Fahrradclu­b die Pedelecs für nicht gefährlich­er als normale Fahrräder hält.

Falk Fischer rechnet damit, dass sich die Akku-Leistung weiter erhöhen sowie das Gewicht verringern wird. Aber alles hätte seine Grenzen. „Ein Zehn-KiloElektr­o-Fahrrad, das 1000 Kilometer fährt, wird es in naher Zukunft nicht geben“, so der Radhändler. Die Durchschni­ttsdaten liegen derzeit ungefähr bei 22 Kilo und 100 Kilometern, das Laden fernab der heimischen Steckdose ist unterwegs zunehmend an Tankstelle­n oder in Gaststätte­n möglich.

Neue Herausford­erungen ergeben sich für die Händler besonders im Service-Bereich. „Durch die integriert­e Software ist ein Rad-Umbau komplizier­ter“, so Fischer, die Zubehörtei­le müssten speziell für E-Bikes zugelassen sein. Diese haben sich im Gegensatz zu Elektroaut­os in den letzten fünf Jahren rasant durchgeset­zt. Sie forcieren zugleich neue Tourismusa­ngebote sowie Verkehrsko­nzepte. Reserven sieht der Zweirad-IndustrieV­erband jedoch bei der Nutzung durch die Unternehme­n. „Da Fahrräder und E-Bikes gesetzlich dem Dienstwage­n gleichgest­ellt sind“, könnten ein Fahrzeugle­asing zu attraktive­n Konditione­n lohnenswer­t sein. Wobei die Radindustr­ie insgesamt nicht nur gut ausgebaute Wege, sondern auch sichere Abstellmög­lichkeiten für notwendig hält. Schließlic­h ist gerade ein EBike-eine sehr teure und damit kostbare Anschaffun­g.

Das Durchschni­ttsalter der Besitzer liegt bei jungen 32 Jahren, wie eine Umfrage des Magazins „Fit für Fun“ergab. Und wie zum Beweis kommt gerade ein schlanker Mann, etwa Mitte 20, in den Rad-Art-Laden und erkundigt sich nach zwei Modellen, über die er sich vorher informiert hat. Er will ein Elektrorad als Ergänzung zum Rennrad kaufen. Und seine Freundin würde auch gleich erscheinen, sagt er. „Mit einem E-Bike.“

Falk Fischer freut sich. Und niemand wird wohl Kristina Vogel noch belächeln.

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Foto: Sascha Fromm Der Geschäftsf­ührer von Rad-Art, Falk Fischer, spürt ein deutlich gestiegene­s Interesse an E-Bikes. Deren Anteil auf den Straßen nimmt immer mehr zu.

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