Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Die mühsame Suche nach der Wahrheit
Fast drei Jahre nach dem Überfall auf eine Gruppe Punks stehen zwei Neonazis vor Gericht
Rudolstadt. Richter Andreas Spahn und seine beiden Schöffen sind nicht zu beneiden. Sie versuchen seit gestern dahinter zu kommen, was am 1. Mai 2015 gegen 12.50 Uhr in der Saalfelder Saalstraße genau passiert ist und wer welche Schuld trägt.
Angeklagt sind wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung und weiterer Straftaten zwei Teilnehmer einer Demonstration, zu der die Neonazi-Partei „Der dritte Weg“am 1. Mai vor drei Jahren nach Saalfeld mobilisiert hatte. Rund 600 Leute kamen, darunter der heute 28-jährige Christoph M. * aus Dresden und der fünf Jahre ältere Arnd L.* aus Sachsen-Anhalt. Ihnen wirft Staatsanwalt Martin Zschächner vor, aus einer Gruppe von 50 Personen heraus mindestens zwei Männer aus einer sechsköpfigen Gruppe von Punks geschlagen, getreten und zum Teil schwer verletzt zu haben.
Während sich der ältere Angeklagte nicht zu den Vorwürfen äußerte, ließ der jüngere seinen Verteidiger eine Erklärung verlesen. Tenor: Sein auf dem Weg vom Bahnhof zum Demosammelpunkt im oberen Stadtgebiet von Anfeindungen genervter Mandant sei in der Saalstraße auf eine Gruppe von Gegendemonstranten getroffen. Nach einem Wortgefecht mit einer Person, in der es darum gegangen sei, wer wem den Weg freizumachen habe, habe er sein Gegenüber einmal mit der linken Hand ins Gesicht geschlagen und sei zurückgewichen.
Die Darstellung bis zum Faustschlag deckt sich mit dem, was auf einem Amateurvideo zu sehen ist, das ein Soziologe der Uni Jena als zufälliger Zeuge der Szene gemacht hat. Danach packte der 32-Jährige seine Kamera weg und rannte zu zwei Polizisten, um Hilfe zu holen. Vor Gericht machte der Soziologe klare Angaben und hielt auch mit Kritik nicht hinterm Berg. Er sei irritiert gewesen, dass eine so große Gruppe von Neonazis ohne Begleitung der Polizei in Richtung Innenstadt lief und unbehelligt die Punker angreifen konnte. Kurzzeitig habe er die Befürchtung gehabt, die jungen Männer würden halb totgeschlagen.
Aus Sicht der als Zeugen geladenen späteren Opfer und ihrer Begleiter stellt sich der Hergang so dar: Auf dem Weg vom Markt nach Hause sei man auf die Gruppe von Neonazis getroffen. Kurz darauf habe ein 27-Jähriger die ersten Schläge abbekommen. Am Ende hatte er abgebrochene Zähne und einen Cut am Kopf zu beklagen. Schlimmer erwischte es einen 28-jährigen gelernten Koch, der seinem Kumpel helfen wollte und selbst zuschlug. Er wurde von der Gruppe von Neonazis „aufgesaugt“und übel traktiert, wie es ein weiterer Zeuge beschrieb. Als er nach diversen Treffern gegen Kopf, Körper und Weichteile wieder aus der Menschenmenge herausflog, hatte er unter anderem eine Gehirnerschütterung und eine Verletzung am Finger.
In der Hand hielt er ein Haarbüschel, das im weiteren Prozessverlauf noch eine Rolle spielen dürfte. Das entsprechende Gutachten soll – neben der hohen Arbeitsbelastung des Amtsgerichtes – der Grund sein, weshalb der Prozess erst fast drei Jahre nach der Tat beginnt.
Das Verfahren wird am 14. Mai fortgesetzt.
*Namen geändert