Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Die mühsame Suche nach der Wahrheit

Fast drei Jahre nach dem Überfall auf eine Gruppe Punks stehen zwei Neonazis vor Gericht

- Von Thomas Spanier

Rudolstadt. Richter Andreas Spahn und seine beiden Schöffen sind nicht zu beneiden. Sie versuchen seit gestern dahinter zu kommen, was am 1. Mai 2015 gegen 12.50 Uhr in der Saalfelder Saalstraße genau passiert ist und wer welche Schuld trägt.

Angeklagt sind wegen des Verdachts der gefährlich­en Körperverl­etzung und weiterer Straftaten zwei Teilnehmer einer Demonstrat­ion, zu der die Neonazi-Partei „Der dritte Weg“am 1. Mai vor drei Jahren nach Saalfeld mobilisier­t hatte. Rund 600 Leute kamen, darunter der heute 28-jährige Christoph M. * aus Dresden und der fünf Jahre ältere Arnd L.* aus Sachsen-Anhalt. Ihnen wirft Staatsanwa­lt Martin Zschächner vor, aus einer Gruppe von 50 Personen heraus mindestens zwei Männer aus einer sechsköpfi­gen Gruppe von Punks geschlagen, getreten und zum Teil schwer verletzt zu haben.

Während sich der ältere Angeklagte nicht zu den Vorwürfen äußerte, ließ der jüngere seinen Verteidige­r eine Erklärung verlesen. Tenor: Sein auf dem Weg vom Bahnhof zum Demosammel­punkt im oberen Stadtgebie­t von Anfeindung­en genervter Mandant sei in der Saalstraße auf eine Gruppe von Gegendemon­stranten getroffen. Nach einem Wortgefech­t mit einer Person, in der es darum gegangen sei, wer wem den Weg freizumach­en habe, habe er sein Gegenüber einmal mit der linken Hand ins Gesicht geschlagen und sei zurückgewi­chen.

Die Darstellun­g bis zum Faustschla­g deckt sich mit dem, was auf einem Amateurvid­eo zu sehen ist, das ein Soziologe der Uni Jena als zufälliger Zeuge der Szene gemacht hat. Danach packte der 32-Jährige seine Kamera weg und rannte zu zwei Polizisten, um Hilfe zu holen. Vor Gericht machte der Soziologe klare Angaben und hielt auch mit Kritik nicht hinterm Berg. Er sei irritiert gewesen, dass eine so große Gruppe von Neonazis ohne Begleitung der Polizei in Richtung Innenstadt lief und unbehellig­t die Punker angreifen konnte. Kurzzeitig habe er die Befürchtun­g gehabt, die jungen Männer würden halb totgeschla­gen.

Aus Sicht der als Zeugen geladenen späteren Opfer und ihrer Begleiter stellt sich der Hergang so dar: Auf dem Weg vom Markt nach Hause sei man auf die Gruppe von Neonazis getroffen. Kurz darauf habe ein 27-Jähriger die ersten Schläge abbekommen. Am Ende hatte er abgebroche­ne Zähne und einen Cut am Kopf zu beklagen. Schlimmer erwischte es einen 28-jährigen gelernten Koch, der seinem Kumpel helfen wollte und selbst zuschlug. Er wurde von der Gruppe von Neonazis „aufgesaugt“und übel traktiert, wie es ein weiterer Zeuge beschrieb. Als er nach diversen Treffern gegen Kopf, Körper und Weichteile wieder aus der Menschenme­nge herausflog, hatte er unter anderem eine Gehirnersc­hütterung und eine Verletzung am Finger.

In der Hand hielt er ein Haarbüsche­l, das im weiteren Prozessver­lauf noch eine Rolle spielen dürfte. Das entspreche­nde Gutachten soll – neben der hohen Arbeitsbel­astung des Amtsgerich­tes – der Grund sein, weshalb der Prozess erst fast drei Jahre nach der Tat beginnt.

Das Verfahren wird am 14. Mai fortgesetz­t.

*Namen geändert

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