Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Özdemir und Pfarrer König über die NSU
Im Gespräch mit Schülern
Jena. Im Januar besuchte uns der Vorsitzende der Initiative „Keupstraße ist überall“, Mitat Özdemir, und Pfarrer Lothar König. Sie verschafften uns innerhalb von zwei Stunden einen Überblick über das Ausmaß der NSU-Verbrechen, die von 2000 bis 2011 begangen wurden.
Schwerpunkt der Gesprächsrunde war jedoch der Anschlag in der Keupstraße im Jahre 2004. Doch zuerst erläuterte Lothar König die Hintergründe der NSU-Thematik.
Nach dem Mauerfall 1989 war ein neues Freiheitsgefühl entstanden, jedoch herrschten diese Bedingungen auch für die Gegner dieses neuen Systems. Rechtsradikale gingen in die Offensive und sahen in Kriegsflüchtlingen vom Balkan eine Bedrohung. Dabei wurden Uwe Böhnhard und Uwe Mundlos das erste Mal in ihrer und unserer Heimatstadt Jena polizeiauffällig.
Daraus folgend tauchten sie 1998 mit ihrer Komplizin Beate Zschäpe unter. 2000 wurde der erste Mord begangen. Am 9. Juni 2004 dann einer der traurigen Höhepunkte: Vor einem Friseurgeschäft in der Kölner Keupstraße explodierte eine Nagelbombe. Im Umkreis von 150 Metern wurden Menschen von dem Nagelregen getroffen. Der geplante Massenmord führte zu 22 Verletzten. Doch was in der Folgezeit passierte, war die eigentliche Tragödie: Viele Läden in der Keupstraße gingen pleite, berichtete Mitat Özdemir, der ein Geschäft dort besitzt, denn niemand traute sich mehr in die Nähe. Bereits am nächsten Tag wurde vom Minister abgestritten, dass es eine politische Tat war. Er bezeichnete die Keupstraße, die unter Immigranten aus der Türkei sehr beliebt ist, als kriminelle Straße.
Die Bewohner wurden befragt, ob sie denn einen Verdacht hätten. Sie antworteten: „Rechtsradikale.“Jedoch wurde dies von den Beamten nicht akzeptiert. Sie bestanden darauf, dass es einer der Bewohner der Straße war und fragten nur nach Verdächtigen unter ihnen. Der Verdacht auf Rassisten kam nicht in Frage. Man beschuldigte jahrelang die Menschen der „fünften Klasse“. Weitere Anschläge folgten, mit insgesamt zehn Toten. Auch hier wurden zunächst Familien und Angehörige der Opfer verdächtigt.
Kampf um Gerechtigkeit
Erst 2011 wurde aufgedeckt, dass der NSU für die Taten verantwortlich war. Mitat Özdemir litt persönlich unter den Folgen des Anschlags auf die Keupstraße. Er ist gebürtiger Türke und lebt seit 50 Jahren in Deutschland. 2012 gründete er die Initiative „Keupstraße ist überall“zusammen mit anderen Betroffenen.
Einige Opfer leiden noch immer an einem Trauma, jedoch zahlte der Staat ihnen erst nach zehn Jahren eine Entschädigung zwischen 2500 und 7500 Euro. Nachdem man diese nicht annehmen wollte, wurde der Gruppe gedroht, sodass sie das Geld akzeptieren mussten. Durch diese Zahlungen versuchte der Staat sich von seiner Schuld zu reinigen. Zum Schluss erzählten unsere Besucher uns etwas über den NSU-Prozess. Für Mitat Özdemir wurden zu wenige Anhänger der rechtsradikalen Gruppe strafrechtlich verfolgt, obwohl es ein ganzes Netzwerk an Beteiligten gab. Bis heute sind viele der Meinung, dass es nur eine partielle Aufklärung gab, da die immer wieder zu beobachtende Verschleierung, sobald es um Aktivitäten von Verfassungsschutz und V-Männern geht, kein Gefühl der vollständigen Aufklärung aufkommen lassen will.