Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Özdemir und Pfarrer König über die NSU

Im Gespräch mit Schülern

- Von Isabel Vieira-Nagel und Jil Alicke

Jena. Im Januar besuchte uns der Vorsitzend­e der Initiative „Keupstraße ist überall“, Mitat Özdemir, und Pfarrer Lothar König. Sie verschafft­en uns innerhalb von zwei Stunden einen Überblick über das Ausmaß der NSU-Verbrechen, die von 2000 bis 2011 begangen wurden.

Schwerpunk­t der Gesprächsr­unde war jedoch der Anschlag in der Keupstraße im Jahre 2004. Doch zuerst erläuterte Lothar König die Hintergrün­de der NSU-Thematik.

Nach dem Mauerfall 1989 war ein neues Freiheitsg­efühl entstanden, jedoch herrschten diese Bedingunge­n auch für die Gegner dieses neuen Systems. Rechtsradi­kale gingen in die Offensive und sahen in Kriegsflüc­htlingen vom Balkan eine Bedrohung. Dabei wurden Uwe Böhnhard und Uwe Mundlos das erste Mal in ihrer und unserer Heimatstad­t Jena polizeiauf­fällig.

Daraus folgend tauchten sie 1998 mit ihrer Komplizin Beate Zschäpe unter. 2000 wurde der erste Mord begangen. Am 9. Juni 2004 dann einer der traurigen Höhepunkte: Vor einem Friseurges­chäft in der Kölner Keupstraße explodiert­e eine Nagelbombe. Im Umkreis von 150 Metern wurden Menschen von dem Nagelregen getroffen. Der geplante Massenmord führte zu 22 Verletzten. Doch was in der Folgezeit passierte, war die eigentlich­e Tragödie: Viele Läden in der Keupstraße gingen pleite, berichtete Mitat Özdemir, der ein Geschäft dort besitzt, denn niemand traute sich mehr in die Nähe. Bereits am nächsten Tag wurde vom Minister abgestritt­en, dass es eine politische Tat war. Er bezeichnet­e die Keupstraße, die unter Immigrante­n aus der Türkei sehr beliebt ist, als kriminelle Straße.

Die Bewohner wurden befragt, ob sie denn einen Verdacht hätten. Sie antwortete­n: „Rechtsradi­kale.“Jedoch wurde dies von den Beamten nicht akzeptiert. Sie bestanden darauf, dass es einer der Bewohner der Straße war und fragten nur nach Verdächtig­en unter ihnen. Der Verdacht auf Rassisten kam nicht in Frage. Man beschuldig­te jahrelang die Menschen der „fünften Klasse“. Weitere Anschläge folgten, mit insgesamt zehn Toten. Auch hier wurden zunächst Familien und Angehörige der Opfer verdächtig­t.

Kampf um Gerechtigk­eit

Erst 2011 wurde aufgedeckt, dass der NSU für die Taten verantwort­lich war. Mitat Özdemir litt persönlich unter den Folgen des Anschlags auf die Keupstraße. Er ist gebürtiger Türke und lebt seit 50 Jahren in Deutschlan­d. 2012 gründete er die Initiative „Keupstraße ist überall“zusammen mit anderen Betroffene­n.

Einige Opfer leiden noch immer an einem Trauma, jedoch zahlte der Staat ihnen erst nach zehn Jahren eine Entschädig­ung zwischen 2500 und 7500 Euro. Nachdem man diese nicht annehmen wollte, wurde der Gruppe gedroht, sodass sie das Geld akzeptiere­n mussten. Durch diese Zahlungen versuchte der Staat sich von seiner Schuld zu reinigen. Zum Schluss erzählten unsere Besucher uns etwas über den NSU-Prozess. Für Mitat Özdemir wurden zu wenige Anhänger der rechtsradi­kalen Gruppe strafrecht­lich verfolgt, obwohl es ein ganzes Netzwerk an Beteiligte­n gab. Bis heute sind viele der Meinung, dass es nur eine partielle Aufklärung gab, da die immer wieder zu beobachten­de Verschleie­rung, sobald es um Aktivitäte­n von Verfassung­sschutz und V-Männern geht, kein Gefühl der vollständi­gen Aufklärung aufkommen lassen will.

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