Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Alte Liebe rostet nicht
In Gera startete Ulli Wegner seine Laufbahn als Trainer. Das Stadtmuseum widmet ihm eine Sonderausstellung
Gera. Ulli Wegner ist einer der erfolgreichsten Boxtrainer weltweit. Er brachte acht Weltmeister und fünf Europameister heraus. Und alles begann in Gera, hier vollzog er seinen Wechsel vom Boxer zum Trainer. „Was ich bin, bin ich maßgeblich durch Hans Spazierer, er war mein Mentor, mein Vorbild und auch eine Vaterfigur“, sagt Ulli Wegner, der gestern nach Gera gekommen war, um sich die Sonderausstellung über sein Lebenswerk vorab anzuschauen.
In einem kleinen Rundgang sparte er nicht mit Episoden, stellte seine Geraer Zeit von 1964 bis 1979 heraus. Auf über 250 Quadratmetern ist der private Fundus des Startrainers zu sehen. „Gern würde ich einen Teil der Ausstellung in der neuen Wismut-Boxhalle in Lusan sehen“, sagte er und wirkte, als er sich zum Foto in den Ring stellte, ein wenig angeschlagen.
Im Juni will Ulli Wegner als Trainer aufhören
Das ist nicht verwunderlich. Erst kürzlich hatte er seine Autobiografie „Ulli Wegner: Mein Leben in 13 Runden um 48 Seiten erweitert. Doch die 14. Runde wird die schwerste. „Es ist bestimmt schon durchgesickert“, sagte er, „Im Juni werde ich als Trainer aufhören. Wie es mir ergehen wird, ob ich da gut rauskomme, ich weiß es nicht.“
Das Leben am und im Boxring war das seine. Er sei berühmt geworden mit seinen Ansprachen in den Ringpausen, das wisse er, doch sei das nur die eine Seite. Die harte Arbeit, die dahinter steckt, bis einer seiner Boxer den WM-Gürtel umschnallen konnte, die bekommt kaum einer mit. „Der beste Beruf ist der, den man mit dem Herzen liebt und mit Verstand ausführt.“
Und nun muss er bald loslassen. Da kam ihm die Frage, was ihn denn an seine Geraer Zeit erinnere, gerade recht. Er kam ins Plaudern, freute sich, dass mit Jürgen Knips und Günther Malik zwei seiner Geraer Kumpel ins Stadtmuseum gekommen waren. „Ich habe beiden viel zu verdanken“, sagte er. Überhaupt habe er großes Glück gehabt, „dass es die Menschen an seiner Seite immer gut mit ihm gemeint haben“. Denn der Anfang war mühsam – mehr als unbändigen Ehrgeiz und Hunger nach Leben hatte er nicht zu bieten.
Es reichte bei ihm wie für die meisten Kinder der Nachkriegszeit zum Abschluss der achten Klasse, bei ihm mit Ach und Krach. Als Wegner in der Geraer Berufsschule saß, setzte es in Mathe eine glatte Fünf. Doch das Handtuch hat er nicht geworfen. Schlosser, Schweißer, Kfz-Meister und Trainer ist er geworden. Wegner wollte vorwärts kommen, etwas leisten, sich etwas leisten. Er war in Gera Sportler, Trainer, Untertage und Abendschüler − viel zu viel für 24 Stunden. „Mir macht mein Leben Spaß. Ich will nichts verpassen”, sagt er – das gilt noch heute. Im Gera der 1970er Jahre war nicht daran zu denken, dass der gebürtige Stettiner einmal die Goldene Henne und das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommt – und Ehrenbürger und Botschafter der Stadt Gera werden wird.
Zunächst hatte sich Wegner zum Bezirkstrainer hoch gearbeitet, da kam er um die Schreibarbeit nicht mehr herum. Nicht seine Stärke. Doch Berichte mussten sein. Als man ihm eine Schreibmaschine auf den Tisch setzte, prallten Welten aufeinander. Unwillig hackte er in die Tasten. Bam! – dann eine lange Pause: Bam! „Da werde ich lieber kein Bezirkstrainer“, sagte er seinem Vorgesetzten. „Ich finde die Buchstaben nicht, und vom ganzen Suchen kriege ich auch noch Schmerzen im Kapuzenmuskel.“Ohne freche Schlussbemerkung ging es bei ihm nicht. Und so wurde Wegner wohl der erste Bezirkstrainer, dem eine Sekretärin zur Seite stand, die seine handgeschriebenen Berichte abtippte − und die Berichte waren lang. Wegner war gründlich. „Ich war in Gera zu Hause, das erste Mal nach meiner Wanderschaft.“Dennoch nahm er 1979 ein Angebot an, als Trainer zum TSC Berlin zu gehen. „Ich weiß noch genau, wie ich mein Auto auf die Autobahn lenkte. Ich war noch keinen Kilometer gefahren, da musste ich rechts ranfahren und anhalten. Ich konnte vor lauter Tränen die Fahrbahn nicht mehr sehen, war völlig fertig. Ich weinte um Gera, um diese Stadt, die mir so viel gegeben und erlaubt hat. Ich weinte um Gera wie um eine verlorene Liebe.“
■ Ulli Wegner: Boxer, Trainer, Ehrenbürger – Sonderausstellung im Stadtmuseum Gera . Mai bis . April