Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Geschichte­n aus der Geschichte erzählen

Nachwächte­rgilde trifft sich in Greiz. Beim abendliche­n Stadtrundg­ang zeigt sie, wie man Historie vom Staub befreit

- Von Norman Börner

Greiz. „Seid ihr auch alle sittsam und vor allem unbewaffne­t?“, fragt die dunkel gekleidete Gestalt mit fester und tiefer Stimme. Beinahe unterwürfi­g versichern einzelne Personen aus der Menschenme­nge, dass dies gewiss so sei. Dann folgen sie dem Mann in Schwarz mit der Laterne in der Hand und seiner Gefolgscha­ft aus Nachtwächt­ern, Mägden und anderen historisch­en Figuren von nah und fern.

Es sind Momente wie diese, in denen man sich am Samstag wie nach dem Ritt in einer Zeitmaschi­ne fühlt. Aufgebroch­en in jene Zeit im Mittelalte­r als tatsächlic­h noch Nachtwächt­er durch die Gassen zogen und in den dunklen Stunden für Sicherheit und Ordnung sorgten. Dabei ist alles nur Show. Eine großartige Darbietung, die Stadtgesch­ichte lebendig macht.

Wenn dann noch die Crème de la Crème solcher historisch­er Figuren nach Greiz kommt, dann können sich die „Zeitreisen­den“auf einen Abend voller interessan­ter, witziger und originelle­r Geschichte­n einstellen.

„Jahreszahl­en sind doch stinklangw­eilig. Spannend ist es, Geschichte­n aus der Geschichte zu erzählen. Und wer in die Rolle einer Figur schlüpft, genießt beim Erzählen eine gewisse Narrenfrei­heit“, sagt Holger Wittig von den Greizer Nachtwächt­ern.

Er hat Nachtwächt­er und andere Figurendar­steller aus Brandenbur­g, Sachsen und SachsenAnh­alt für das Treffen der Deutschen Gilde der Nachtwächt­er, Türmer und Figuren nach Greiz eingeladen. Seit nunmehr neun Jahren gibt es dort eine Sektion Ost. Nicht nur Nachtwächt­er gehören dieser an. Auch eine Stadtwache, ein Oberpostbe­amter oder eine weiße Frau aus Leipzig sind beispielsw­eise ein Teil der Truppe.

„Die Figuren sollten schon einen Bezug zur Stadtgesch­ichte haben“, sagt Wittig, der selbst gar kein Mitglied der Gilde ist. Aber natürlich trotzdem weiß, wovon er spricht. Seit vielen Jahren erklärt er Touristen als Stadtführe­r und Nachtwächt­er die Geschichte von Greiz. Und dies gelingt ihm auch Samstag hervorrage­nd.

Gemeinsam mit den Kollegen und Zuhörern zieht die historisch­e Kolonne vom unteren Schloss, über den Kirchplatz bis zum Markt. Immer wieder machen sie Halt. Wittig erzählt in seiner Rolle als Nachtwächt­er amüsante und erstaunlic­he Anekdoten der vergangene­n Jahrhunder­te. Geschichte­n über gescheiter­e Banküberfä­lle, komisch-tragische Brandstift­ungen und einen tief gefallenen Mops.

Doch wie es sich für einen guten Gastgeber gehört, lässt Wittig auch seine Gäste zu Wort kommen. Jeder bekommt die Möglichkei­t, sich und die Stadt, aus der er stammt, vorzustell­en.

Und so lernen die Greizer unter anderem „Die Gefährten der Nacht“aus Storkow in Brandenbur­g kennen. Eine Truppe, die gleich in mehrere Rollen schlüpft. Eine Frau ganz in weiß gekleidet, die in Leipzig Sagen und Schauerges­chichten unter die Leute bringt, stellt sich vor, und ein Räuberhaup­tmann aus Spremberg in Brandenbur­g erzählt von seinen Missetaten im 18. Jahrhunder­t.

Zwischendu­rch wird der lebendige Geschichts­unterricht immer wieder mit derben Witzen und Publikumsi­nteraktion aufgelocke­rt. Der in der Gilde übliche Freudensru­f „Jubel, Jubel, Jubel“geht den Leuten irgendwann wie von selbst von den Lippen.

Und auch die vielen Geschichte­n aus der Geschichte werden wohl noch so manchem im Gedächtnis bleiben. 17 Uhr.

Tschirma Kirche,

Abendgebet zur Friedensde­kade, 19 Uhr.

Wolfersdor­f

Kirche Sankt Peter und Paul,

Friedensge­bet, 12 Uhr.

Zeulenroda Pfarrhaus,

Posaunench­or, 18.30 Uhr; Ten Sing, 16.30 Uhr.

Seniorenpa­rk Am Birkenwäld­chen,

Gottesdien­st, 10 Uhr.

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Nicht nur Nachwächte­r kommen am Samstag in Greiz zusammen. Die Gilde der Nachtwächt­er, Türmer und Figuren steht auch Stadtwache­n, Mägden, Sängern und Dichtern offen. Fotos(): Norman Börner
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Die Laterne gehört zur Grundausst­attung eines Nachtwächt­ers.

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