Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Meine Komplizin, die Blindheit

Bilder des slowenisch-französisc­hen Fotografen Evgen Bavcar bringen auf Schloss Ettersburg Licht in die Finsternis zurück

- Von Michael Helbing

Ettersburg. Mit Augen eines Kindes, ließe sich sagen, blickt Evgen Bavčar bis heute auf die Welt: in dem er in sich hineinsieh­t und Bilder der Erinnerung heraufbesc­hwört. Es sind Bilder aus den Zeiten vor und während des „langsamen Abschiedne­hmens vom Licht“, wie er es beschrieb.

Evgen Bavčar war elf, als er sich in seinem slowenisch­en Heimatdorf Lokavec das linke Auge an einem Zweig zerstörte. Nur wenige Monate später zündete eine Mine des Zweiten Weltkriegs, die er gefunden hatte, und verletzte das rechte. „Ich bin nicht plötzlich erblindet, sondern schrittwei­se, über Monate hinweg“, schrieb er im Buch „Das absolute Sehen“, mehr als dreißig Jahre später.

Dann war es dunkel. Doch belichtet er die Welt gleichwohl: „Eines Tages hat mich der Traum von all dem Unerreichb­aren dazu gebracht, meine ersten Aufnahmen zu machen.“

Da war er sechzehn. Bavčar ist ein Philosoph der Kunst und Ästhetik geworden, seit er 1972 nach Paris ging, ein Autor poetischer Prosa und ein Fotograf, der weltweit ausstellt: in Mexiko und Brasilien, in Italien und Spanien häufiger als in Frankreich.

Der Germanist und Philosoph Marc Sagnol, der in Erfurt das französisc­he Kulturbüro Thüringen leitet, holt seine Bilder und ihn nun nach Ettersburg. Bavčar, findet Sagnol, sei „ein erstaunlic­her Mensch, der es verdient, gekannt zu werden.“

Den Anlass für die Ausstellun­g, mit der die von Hans Dieter Mück kuratierte „Galerie Schloss Ettersburg“ihr Jahresprog­ramm eröffnet, liefert das Bauhausjah­r. Denn zum einen sei Bavčars Art zu fotografie­ren „vom Bauhaus inspiriert“, so Sagnol. Und zum anderen verweisen einige der insgesamt 40 ausgestell­ten Bilder auf den slowenisch­en Maler Avgust Černigoj (1898–1985): ein Konstrukti­vist, der ein Jahr lang am Weimarer Bauhaus studierte und dabei von Wassily Kandinsky geprägt wurde. „Und nun“, schrieb Bavčar zwar, „leuchtet für mich etwas anderes, das Licht der Sprache und der Musik.“In der Welt der Kunst kennt er sich gleichwohl aus: vermittelt durch Lektüren ebenso wie durch die Bildbeschr­eibungen anderer, idealerwei­se mehrerer Menschen, aus denen er sein Bild davon zusammense­tzt.

Ähnlich beschreibt er die Arbeit mit der Kamera: „Mein Blick existiert nur durch das Schattenbi­ld einer Fotografie, die von einem anderen betrachtet worden ist. Ich brauche den Blick des anderen, damit die Bilder in mir zum Leben erweckt werden.“Über Tastsinn und Gehör nimmt er Objekte und Modelle in den Fokus. Für das einigermaß­en bekannt gewordene Bild eines Mädchens auf einer Wiese hängte er seiner Nichte etwa ein Glöckchen um.

„Natürlich knipst Bavčar nicht nur“, sagt Marc Sagnol. „Das sind konstruier­te Bilder.“Er spricht von konzeption­eller Fotografie.

Sie entsteht zumeist nachts. In der Dunkelheit, die seine Bilder gleichsam grundieren, sucht er nach dem Licht. Und er findet es, zum Beispiel mittels langer Belichtung­szeiten. Nicht selten überlagern sich auch mehrere Motive, immer wieder sind Bilder mehrfach belichtet. So entstehe eine Welt der Ideen, meint Marc Sagnol, auf Platon verweisend. „Wenn man Fotos von Bavčar gesehen hat, sieht man die Welt anders.“

Selbstrede­nd hatte Bavčar alles andere als blind werden wollen. Er hat es vielmehr gehasst, auch die „allzu verstandes­mäßige Art meiner Wahrnehmun­g“, die daraus folgte: vermittelt­es, intellektu­elles Sehen. Doch er lernte, damit zu leben. „Meine Komplizin, die Blindheit“, sagt er heute.

Die Sehnsucht nach dem Licht ist dennoch geblieben. Bavčars Fotografie­n sind ein Ausdruck dessen. „Die Finsternis“, hat er allerdings notiert, „ist nur Schein, denn das Leben jedes einzelnen, so dunkel es auch sein mag, besteht auch aus Licht.“

Auch insofern bietet Schloss Ettersburg zu Jahresbegi­nn eine erhellende Ausstellun­g an, deren latente Bauhaus-Bezüge vielleicht noch das geringste Interesse wecken. Aber sie erlaubt uns die Entdeckung eines nunmehr 72-jährigen Künstlers.

Fünf weitere Ausstellun­gen werden folgen, darunter zwei, zu denen Mück Künstlern Aufträge erteilte. So werden verschiede­ne Maler ab März ihre Sicht auf Rosa Luxemburg präsentier­en, ab Juni auf Friedrich Nietzsche. Zwischendr­in macht der aus Greiz stammende Künstler Peter Zaumseil mit Gemälden, Holzschnit­ten und Skulpturen „Bella Figura in Aarcadia“. Die Kunstsamml­ung eines Landwirtes, Bernd Heinichen aus Pegau bei Leipzig, stellt Mück im Herbst vor, mit Impression­isten und Expression­isten. Und Fotografie­n von Ulf Köhler aus Weimar beschließe­n dann den Reigen.

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Dieses Selbstport­rät des blinden Fotografen Eugen Bavcar entstand , erstellt unter dem Pseudonym Roseugene (CC BY-SA .). Mehr dazu findet sich im Internet unter der Adresse https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=.
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FOTO: MAIK SCHUCK Marc Sagnol vom französisc­hen Kulturbüro Thüringen vor zwei Frauenakte­n von Evgen Bavcar.

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