Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Der Letzte seiner Art
Pilzberater Christoph Hempel aus Langenwetzendorf blickt auf ein „trauriges Pilzjahr“zurück
Langenwetzendorf. Für Pilze interessiert sich Christoph Hempel seit seiner frühen Kindheit. „Schon als kleiner Junge war ich stundenlang im Wald unterwegs“, sagt er. Er kaufte sich Bücher, um mehr über Pilze zu erfahren. Doch selbst in seiner Anfangszeit griff er nie daneben, sagt er. Das gilt bis heute.
Ab den 80er-Jahren stellte er sein Wissen in den Dienst der Allgemeinheit. Der Kreisbeauftragte Zeulenroda suchte nach einem neuen Pilzberater für die Region Langenwetzendorf. „Damals gab es sieben Pilzberater im Landkreis“, sagt er. Heute ist nur noch er übrig. Noch immer erklärt er Pilzsammlern leidenschaftlich, was sie dort eigentlich aufgelesen haben und ob ihre Ausbeute essbar ist. Also mehr als einmal. Und das macht er alles ehrenamtlich.
Noch immer finden im Durchschnitt mehr als 100 Menschen im Jahr den Weg zu ihm nach Langenwetzendorf. Doch im Jahr 2018 brach diese Zahl gravierend ein. Nur 13 Mal habe er die Guten und die Schlechten aussortiert. Haben die Leute plötzlich das Interesse am Pilz verloren? „Nein“, sagt Hempel.
Das vergangene Jahr war mit den wenigen Niederschlägen und heißen Temperaturen einfach kein gutes Jahr für die Pilze. Und das ist noch mild ausgedrückt. „Es war das schlechteste Pilzjahr, das ich je erlebt habe. Ein trauriges Jahr“, sagt er. Ein Pilzjahr zum Vergessen Hempel holt seine Aufzeichnungen hervor. Er führt nicht nur Buch über seine Bestimmungen, sondern auch über das Wetter. Nur 25 Liter Niederschlag pro Quadratmeter konnte er beispielsweise im April messen. Viel zu wenig. Bis September sollte sich dies nicht bessern. „Das ist schon sehr außergewöhnlich“, sagt der 80-Jährige. Solche extremen Wetterlagen habe er noch nie erlebt. Der Klimawandel sei für ihn nicht mehr zu leugnen.
Hempel hofft, dass das Jahr 2019 wieder ein besseres für die Pilzsammler wird. „Doch der Schaden, den der vergangene Sommer angerichtet hat, ist noch nicht absehbar“, sagt er. Denn bei Temperaturen über 30 Grad leide das Pilzgeflecht im Boden. Zudem hätten die Pilze auch weniger Sporen abgegeben. Gut möglich also, dass dieser Sommer noch nachwirkt. „Ich hoffe, die Natur findet einen Weg“, sagt Hempel.
Doch es sei nicht nur der Rekordsommer 2018, der dem Fungus zusetzt. „Die Pilze leiden auch unter den vielen Eingriffen des Menschen in die Natur“, sagt er. Durch die intensive Flächennutzung für Gewerbegebiete, Forstwirtschaft und Massentierhaltung seien sie vielerorts auf dem Rückzug. Früher habe er beispielsweise auf der Wiese vor seinem Haus entlang der großen Eichen Champignons, Blutröhrlinge und Nelkenschwindlinge gefunden. Seitdem dieses Feld regelmäßig mit Gülle besprüht wird, seien diese Sorten alle verschwunden. „Es gibt leider keine allgemeine Schutzgebiete“, sagt er. Nur gefährdete Arten auf der Rote Listen stehen unter Schutz.
Die kleinen Schirmträger sind für Hempel nicht nur ein Hobby oder eine willkommene Abwechslung auf dem Speiseplan. „Der Pilz steht für die Symbiose in der Natur“, sagt er. Pilzberater im Kreis werden immer rarer Er spricht von einer Lebensgemeinschaft, die Pilze und Pflanzen eingehen. „Die Symbiose, die Pilze mit den Wurzeln von Bäumen eingehen ist einmalig in der Natur“, sagt er.
Und eigentlich ist Pilz sogar eine überholte Bezeichnung aus der Zeit, als man ihn noch der Pflanzenwelt zuschrieb. Heute zählt der Pilz neben Tieren und Pflanzen als dritte Lebensart: die eukaryotischen Lebewesen. Demnach sind sie auch näher mit den Tieren als mit den Pflanzen verwandt. Umso bedauerlicher sei es, dass diese spannende Lebensart immer weiter auf dem Rückzug sei.
So verhielte es sich gleichsam mit den Pilzkennern. „Es ist einfach kein Nachwuchs zu finden. So wie es aussieht, werden die Pilzberater im Landkreis mit mir ganz aussterben“, sagt er. Hempel ist Mitglied in der Thüringer Arbeitsgemeinschaft Mykologie. In ganz Thüringen gäbe es heute nur noch 60 Pilzberater. Exkursionen und Fortbildungen muss er aus eigener Tasche zahlen. „Mir fehlt ein wenig die Unterstützung vom Land Thüringen“, sagt er. Denn in guten Jahren sei seine Expertise noch immer viel gefragt.
Internetratgeber und Apps auf dem Smartphone könnten einen erfahrenen Pilzberater nicht ersetzen. „Man muss den Pilz als ganzes beurteilen. Ihn fühlen und riechen. In alle Richtungen drehen“, sagt er. Deswegen will er auch 2019 weitermachen. Denn zuallererst sind die Pilze seine große Leidenschaft und er liebt es, neue Sammler mit diesem Virus zu infizieren. Und vielleicht findet sich ja so doch noch ein Nachfolger. Denn ein Besuch bei Christoph Hempel lässt einen die Welt der Pilze... Pardon, der eukaryotischen Lebewesen gleich mit ganz anderen Augen sehen.