Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Wissenscha­ftlicher Dienst des Landtags soll Schulgeset­z überprüfen

CDU: Elternwahl­recht bei Entscheidu­ng über Schullaufb­ahn von Kindern mit Behinderun­gen wird durch umfassende Steuerungs­rechte der Schulämter verletzt

- Von Elmar Otto

Erfurt. Das neue Thüringer Schulgeset­z soll die Möglichkei­t schaffen, dass sich Förderschu­len zu Schulen „ohne Schüler“entwickeln können. Das an der Förderschu­le tätige Personal solle dann die allgemeine­n Schulen, sogenannte Netzwerksc­hulen, im Rahmen des gemeinsame­n Unterricht­s unterstütz­en. So steht es in der Begründung zum Gesetz, das Bildungsmi­nister Helmut Holter (Linke) noch vor der Sommerpaus­e durch den Landtag bringen möchte.

Die erste von zwei Runden im Parlament sind gedreht. Auch die mündliche Anhörung, bei der es ordentlich Kritik hagelte, ist Geschichte. Wenn die eigene knappe Mehrheit steht, dürfte der koalitionä­re Zeitplan zu halten sein.

Die CDU-Fraktion hat aber bekanntlic­h massive Vorbehalte und will jetzt den wissenscha­ftlichen Dienst des Landtags einschalte­n, um klären zu lassen, ob das Gesetz möglicherw­eise gegen die Verfassung verstößt. Denn durch die Formulieru­ng „Schule ohne Schüler“könnte das Recht der Eltern von Kindern mit Handicap eingeschrä­nkt werden zu wählen, welche Einrichtun­g ihr Nachwuchs besucht. Dort, wo es keine Förderschu­le gibt, müssten Kinder mit Förderbeda­rf zwangsläuf­ig am gemeinsame­n Unterricht mit nicht behinderte­n Kindern teilnehmen. Der Union geht das zu weit.

„Inklusion ist ganz sicher ein sinnvolles Angebot, wenn daraus jedoch ein Dogma wird, hat das gravierend­e verfassung­srechtlich­e Folgen, wie wir jetzt sehen“, moniert der CDU-Abgeordnet­e Christian Tischner.

Auch in der Fachwelt stößt das Vorgehen der Regierung auf Skepsis. Sollten Förderschu­len aufgelöst werden, existiere das Elternwahl­recht nicht mehr, so Bernd Ahrbeck in seiner Stellungna­hme. Der Professor für psychoanal­ytische Pädagogik in Berlin verweist dabei auf eine Veröffentl­ichung des saarländis­chen Ex-Bildungsst­aatssekret­ärs Hansgünter Lang, der das „verfassung­srechtlich für sehr problemati­sch“halte.

Die Träger freier Schulen wie die Liga der Freien Wohlfahrts­pflege und das Katholisch­e Büro befürchten ebenfalls negative Folgen durch die Novelle. Sie fürchten um den Fortbestan­d ihrer Einrichtun­gen.

Künftig sollten ausschließ­lich die Schulämter für die sonderpäda­gogischen Erstgutach­ten zuständig sein. Eine entspreche­nde Expertise von Lehrkräfte­n freier Schulen für Schüler eigener Schulen sei so nicht mehr möglich. „Dies kann auch als Eingriff in das Recht der Förderschu­len in freier Trägerscha­ft eigene Schüler aufzunehme­n verstanden werden“, kritisiert die Liga.

Die Art der Argumentat­ion lasse unterschwe­llig erkennen, „dass einer Diagnostik am Lernort selbst — also der behördlich­en Kontrolle zumindest teilweise entzogen — mit Misstrauen begegnet wird“, bemängelt das Katholisch­e Büro.

In der Koalition ist derweil nicht nur der Minister Holter davon überzeugt, dass Elternwahl­recht und Zugang zu freien Schulen auch mit dem künftigen Paragrafen­werk gewährleis­tet sind. Die Grünen-Bildungspo­litikerin Astrid Rothe-Beinlich attestiert der CDU „argumentat­ive Hilflosigk­eit“. SPD-Fraktionär Thomas Hartung spricht von „juristisch­en Taschenspi­elertricks“.

Die AfD-Parlamenta­rierin Wiebke Muhsal indes hält den Weg über den wissenscha­ftlichen Dienst für richtig – aber auch für nicht besonders aussichtsr­eich, „um das Schulgeset­z noch zu verhindern“.

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FOTO: ULI DECK/DPA Behinderte und Nichtbehin­derte lernen in einer gemeinsame­n Klasse.

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