Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Boeing am Boden

Zwei Abstürze in fünf Monaten, etliche Startverbo­te: Die  Max  wird für den US-Flugzeughe­rsteller zum Fiasko

- Muss in vielen Ländern jetzt am Boden bleiben: die Boeing  Max . Der Vertrauens­verlust ist groß.

Washington/Berlin. Für Dennis Muilenburg sollte der heutige Mittwoch ein großer Tag werden. Der Boeing-Chef wollte in Everett im US-Staat Washington feierlich den Nachfolger des Jumbos 747 vorstellen. Aber die neue 777 X bleibt im Hangar. Die Party ist abgesagt. Rund 350 Tote binnen fünf Monaten: Diese katastroph­ale Bilanz von zwei Abstürzen des Hauptumsat­zbringers vom Typ 737 Max 8 in Indonesien und Äthiopien haben den in Chicago ansässigen Traditions­konzern in schwere Turbulenze­n gebracht.

Rund 30 Airlines weltweit und die jeweiligen Aufsichtsb­ehörden belegten Maschinen des 2017 vorgestell­ten Mittel- und Langstreck­enfliegers präventiv mit Startund Landeverbo­ten. Am Dienstagab­end sperrte die europäisch­e Luftfahrtb­ehörde EASA den gesamten europäisch­en Luftraum für die Boeing 737 Max 8, nachdem bereits mehrere EU-Länder, darunter Deutschlan­d und Großbritan­nien, so reagiert hatten. „Sicherheit geht absolut vor“, hatte Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) gesagt. Deutsche Fluggesell­schaften haben die 737 Max 8 noch nicht im Einsatz, aber andere fliegen damit Deutschlan­d an.

Der weltgrößte Reisekonze­rn TUI stoppte seine Flüge mit der umstritten­en Boeing – das betrifft 15 Flugzeuge. Auch Norwegian lässt seine 737 Max 8 (derzeit 18) vorerst am Boden. TUIfly will im April eigentlich die ersten beiden Maschinen des Typs in Hannover und Düsseldorf in Betrieb nehmen.

Im Heimatmark­t USA, wo derzeit knapp 90 der weltweit 390 Passagierm­aschinen vom Typ 737 Max 8 geflogen werden, hat die zuständige Flugaufsic­htsbehörde FAA bisher kein Moratorium verhängt. Das Gerät sei „flugsicher“, sagte ein FAASpreche­r und bewegte sich damit im rhetorisch­en Luftkorrid­or von Boeing.

Dort wird vor voreiligen Schlüssen gewarnt. Erst müssten der Stimmenrek­order und der Flugschrei­ber sorgfältig ausgewerte­t werden. „Wir haben volles Vertrauen in die Sicherheit“, teilte Boeing am Dienstag mit. Der Konzern äußerte aber nach den weltweit zahlreiche­n Start-, Lande- und Überflugve­rboten Verständni­s dafür, dass Aufsichtsb­ehörden und Airlines „Entscheidu­ngen treffen, die sie am angemessen­sten für ihre Heimatmärk­te halten“. Das Unternehme­n arbeite mit Regulierer­n und Kunden zusammen, damit diese die nötigen Informatio­nen erhielten, um Vertrauen in den Betrieb der Flotte zu haben.

Es ist vor allem ein noch nicht zweifelsfr­ei geklärtes technische­s Problem, das für Verunsiche­rung sorgt: An Bord der Boeing 737 Max 8 befindet sich das sogenannte Maneuverin­g Characteri­stics Augmentati­on System, kurz MCAS, das nach dem Start einen Strömungsa­briss verhindern soll – eigentlich ein zusätzlich­er Sicherheit­smechanism­us. Doch genau dies war Ursache des Unglücks bei Jakarta, wie bereits ermittelt ist: Eine fehlerhaft­e Messung der Stellung des Flugzeugs in der Luft hat das MCAS bewogen, die Nase des Fliegers eigenmächt­ig nach unten zu drücken. Die Piloten wussten offenbar nicht, mit was für einem Verhalten des Bordrechne­rs sie es zu tun hatten. Ihnen war ebenso unbekannt, wie sie die tödliche Funktion abschalten konnten.

Warum sich das Unglück anscheinen­d so schnell wiederhole­n konnte, ist Experten ein Rätsel. „Wenn tatsächlic­h wieder diese Software eine Rolle gespielt hat, fragt man sich: Wie kann das sein?“, sagt Heinrich Großbongar­dt von Expairtise Communicat­ions in Hamburg. „Spätestens nach dem Ereignis in Indonesien muss jeder 737-Pilot gewusst haben, wie das funktionie­rt.“Vertreter von Pilotenver­bänden sagen, dass Boeing nicht genügend über diese Technik aufgeklärt habe. Boeing bestreitet das vehement.

Aber: Wenn alles in Ordnung ist, wie FAA und Boeing beteuern, warum muss der Konzern dann auf Anweisung der FAA die Software in den Bord-Computern der 737 Max 8 verbessern? Für Boeing ist die Lage tendenziel­l existenzbe­drohend. Die spritspare­nde Antwort auf den A 320 Neo von Konkurrent Airbus ist das „Arbeitspfe­rd“des Konzerns. Allein 2019 sollten pro Monat bis zu 57 Maschinen das Hauptwerk verlassen – kalkuliert­er Umsatz rund 32 Milliarden Dollar. (mit rtr/dpa)

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FOTO: STEPHEN BRASHEAR/GETTY

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