Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Britisches Parlament sagt erneut „No“

Premiermin­isterin Theresa May verliert zum zweiten Mal eine Abstimmung über ihren Brexit-Deal. Wird jetzt der Austritt verschoben?

- Sie hat sich heiser geredet beim Versuch, ihre Abgeordnet­en zu überzeugen. Doch Theresa May ist mit ihrem Deal erneut gescheiter­t.

London/Brüssel. Blass, müde und abgekämpft nimmt Theresa May die Nachricht von ihrer historisch­en Niederlage entgegen: Der Vertrag für einen geregelten Austritt Großbritan­niens aus der EU am 29. März ist zum zweiten Mal im britischen Parlament krachend gescheiter­t – 391 Abgeordnet­e lehnen das lange vereinbart­e Abkommen mit der EU ab, nur 242 stimmen dafür. Die Regierungs­chefin verzieht keine Miene. May hat sieben Parlaments­stunden lang das Debakel noch abzuwenden versucht, zeitweise versagt ihre Stimme – aber am Abend verliert sie doch die entscheide­nde Schlacht um den Brexit-Vertrag.

Größer könnte ihre Niederlage kaum sein, ein erhebliche­r Teil ihrer Tory-Fraktion hat sie trotz Nachbesser­ungen abermals im Stich gelassen. Mit heiserer Stimme erklärt May, sie werde weiter dafür kämpfen, dass Großbritan­nien die EU mit einem ordentlich­en Austrittsv­ertrag verlasse – alles anderes wäre eine Niederlage für ihr Land und die EU. Das Entsetzen in Brüssel ist groß: „Die EU hat alles ihr Mögliche getan, den Vertrag ins Ziel zu bringen“, sagt EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier. Mehr könne sie nicht tun. Jetzt würden die Vorbereitu­ngen für einen No-Deal-Brexit wichtiger denn je, mahnt Barnier.

Dabei hatte es kurz so ausgesehen, als könne die Premiermin­isterin mithilfe der EU-Kommission das Blatt in letzter Minute noch wenden. Am Montagaben­d war May überrasche­nd mit einer Royal-Airforce-Maschine nach Straßburg ins EUParlamen­t zu EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker gereist. In der Nacht besiegelte­n sie weitere Ergänzunge­n des Brexit-Deals: Die von Juncker gemachten Zugeständn­isse sollen den Briten die Angst nehmen, mit dem Vertrag womöglich dauerhaft in einer Zollunion mit der EU „gefangen zu bleiben“– und dann nicht mal Freihandel­sverträge mit anderen Staaten abschließe­n zu können. Die Zollunion ist Teil einer umstritten­en Garantiekl­ausel, auf der die EU beharrt, falls keine andere Regelung für eine offene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und EU-Mitglied Irland gefunden wird. Gegen Mitternach­t präsentier­en May und Juncker erschöpft ihren Kompromiss: In mehreren Zusatzerkl­ärungen verpflicht­en sich Brüssel und London nun, bis Ende 2020 eine Ersatzlösu­ng für diese umstritten­e BackstopKl­ausel auszuhande­ln; für die offene Grenze soll der Einsatz neuer Technologi­en geprüft werden.

Das größte Kaliber aber ist eine einseitige Erklärung Großbritan­niens, die May ebenfalls skizziert: Sollten die Verhandlun­gen über ein Handelsabk­ommen scheitern, werde nichts Großbritan­nien daran hindern können, den Backstop zu kündigen. Die EU stimmt dem zwar nicht ausdrückli­ch zu, sie fürchtet um den Frieden auf der irischen Insel, aber Juncker erhebt auch keinen Protest mehr. „Falls Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz hat die CDUChefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r gelobt. Ihre kühle Replik auf die EU-Reformvors­chläge von Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron sei mustergült­ig. Er sehe viele Gemeinsamk­eiten, der Backstop als Versicheru­ng je gebraucht werden sollte, wird er nie eine Falle sein“, versichert Juncker in der Nacht. May sieht die Befürchtun­gen ihrer Kritiker ausgeräumt. Stundenlan­g wirbt sie im feuerroten Blazer vor den Abgeordnet­en für das Abkommen und die Zusatzerkl­ärungen. Doch sie hat sich mit ihrer monatelang­en Verzögerun­gstaktik verzockt – sie hat sichtlich die Kontrolle „weil wir inhaltlich in weiten Teilen deckungsgl­eich mit ihrer Sichtweise sind“. Dagegen seien viele Ideen von Macron „utopisch“.

So sieht Kurz den Vorschlag für einen EU-weiten Mindestloh­n verloren. Die Straßburge­r Ergebnisse sind kein Durchbruch, der die Bedenken der BrexitHard­liner ausgeräumt hätte. Denn die EU weigert sich, den Vertrag selbst noch einmal aufzuschnü­ren.

In Brüssel wird fest mit einer Verschiebu­ng des Brexit gerechnet. „Besser als ein Chaos-Brexit, aber nicht wirklich beruhigend“, sagt ein EU-Diplomat. Die notwendige Zustimmung zu einer Vertagung werden die EUMitglied­staaten sicher geben, aber nicht als Blankosche­ck. Die Sorge ist groß, dass auch die Verlängeru­ng ergebnislo­s endet. Kommission­sbeamte haben die kritisch. Er begründete dies mit den unterschie­dlichen Lebensstan­dards. „Das ist ja wirtschaft­lich für viele Staaten ein großer Vorteil, dass die Löhne niedriger sind und sich darum dort Produktion ansiedelt.“ EU-Botschafte­r schon darauf eingeschwo­ren, dass Großbritan­nien die EU spätestens am 24. Mai verlassen haben muss, einen Tag nach dem Beginn der EU-Parlaments­wahl. Andernfall­s müssten die Briten sogar noch das EU-Parlament mitwählen. Das aber will die EU nur zulassen, wenn die Zeit für ein neues Referendum oder gar Neuwahlen auf der Insel benötigt würde.

In Brüssel wird indes spekuliert, May könne erst noch einen dritten Abstimmung­sversuch starten. Beim EU-Gipfel nächste Woche könnte sie von den Regierungs­chefs weitere Zugeständn­isse erzwingen, in der Woche darauf den Vertrag erneut dem Parlament vorlegen, heißt es. Bewegung sei möglich, wenn May eine Mehrheit im Unterhaus zusichern könne, hatten mehrere EU-Regierungs­chefs schon signalisie­rt. Aber May kann nicht liefern. In Brüssel geht die Geduld mit ihr zu Ende, das Vertrauen auch. Kommission­spräsident Juncker sagt, es gebe entweder diesen Vertrag oder vielleicht gar keinen Brexit.

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FOTO: HANDOUT

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