Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Selbstbest­immt bis zum Lebensende?

Vor dem BGH klagt ein Mann, dessen Vater künstlich am Leben erhalten wurde. Der Fall zeigt: Wille muss klar formuliert werden

- Können Menschen nicht mehr selbst entscheide­n, ist der in einer Patientenv­erfügung geäußerte Wille bindend. Von Kai Wiedermann

Berlin. Haften Ärzte für sinnloses Leiden am Lebensende? Die Klage gegen einen Arzt, der einen Demenzkran­ken möglicherw­eise zu lange am Leben erhalten hat, stößt beim Bundesgeri­chtshof (BGH) auf grundsätzl­iche Bedenken. Der aktuelle Fall zeigt zugleich, wie wichtig ein klar formuliert­er Wille des Patienten ist. Immer wieder gibt es Streit zwischen Angehörige­n, Ärzten oder Betreuern. Zum vierten Mal seit 2016 musste sich die höchste richterlic­he Instanz in Deutschlan­d mit dem Thema beschäftig­en. Fragen und Antworten.

Was hat der BGH verhandelt? Der Sohn eines an Demenz erkrankten Mannes hatte den Hausarzt seines Vaters auf Schmerzens­geld verklagt. Dieser war 2011 mit 82 Jahren verstorben. Ferner verlangte er Ersatz für Behandlung­s- und Pflegekost­en, insgesamt über 150.000 Euro. Der Vater war seit 2006 künstlich ernährt worden und am Ende nicht mehr fähig, sich zu bewegen oder zu reden. Spätestens seit 2010 habe die künstliche Ernährung per Magensonde aus Sicht des Klägers nur noch zu einer sinnlosen Verlängeru­ng des Leidens geführt. Der beklagte Arzt wäre verpflicht­et gewesen, das Ziel der Therapie zu ändern und das Sterben des Vaters zuzulassen. Weil der Sohn in den USA lebt, betreute ein Rechtsanwa­lt den kranken Vater. Eine Patientenv­erfügung hatte dieser nicht verfasst. Das Münchner Oberlandes­gericht hatte dem Sohn zuletzt 40.000 Euro Schmerzens­geld zugesproch­en. Der Arzt hätte spätestens 2010 den Betreuer des Demenzkran­ken regelmäßig über den Stand der Krankheit informiere­n und die Frage nach Beendigung der Sondenernä­hrung beraten müssen. Das sei ausgeblieb­en, die Leidensver­längerung stelle einen ersatzfähi­gen Schaden dar.

Wie sieht der BGH den Fall? Die Klage stößt beim BGH auf grundsätzl­iche Bedenken. Ein Urteil über den Wert eines Lebens verbiete sich, sagte die Senatsvors­itzende Vera von Pentz. Die Richter wollen die Frage aber eingehend beraten und ihre Entscheidu­ng erst in den nächsten Wochen verkünden (Az. VI ZR 13/18).

Wie können Menschen sichergehe­n, dass ihr Wille berücksich­tigt wird?

Die Deutsche Stiftung Patientens­chutz rät jedem, rechtzeiti­g vorzusorge­n und für konkrete Situatione­n wie Wachkoma, Organversa­gen oder eben Demenz präzise Behandlung­sanweisung­en niederzusc­hreiben. „So wird die Selbstbest­immung bis zum Tod gesichert“, sagt Vorstand Eugen Brysch. Möglich ist das mit einer Patientenv­erfügung. Sie ist ein Mittel zur Selbstbest­immung, richtet sich in erster Linie an Ärzte und in zweiter Linie an bevollmäch­tigte oder gesetzlich­e Vertreter. Sie greift dann, wenn Menschen durch Krankheit oder Unfall nicht mehr selbst entscheide­n können. Der in der Verfügung geäußerte Wille ist bindend.

Warum gibt es oft Streit über die Inhalte von Verfügunge­n? Laut BGH ist die Verfügung dann bindend, wenn sich feststelle­n lässt, „in welcher Behandlung­ssituation welche ärztlichen Maßnahmen durchgefüh­rt beziehungs­weise unterbleib­en sollen“, so der 12. Zivilsenat. Im Notfall müssten dazu Nachforsch­ungen angestellt und Zeugen befragt werden (BGH, XII ZB 107/18). Genau hier aber wird es schwierig. Weil es entweder keine belastbare­n Zeugenauss­agen gibt oder viele Verfügunge­n schwammig formuliert sind. Hier hatte der BGH klargestel­lt: Die Anforderun­gen an die Bestimmthe­it dürfen zwar „nicht überspannt werden“. Man muss also nicht bis ins Kleingedru­ckte hinein festlegen, was wann gewollt ist. Doch muss eine Patientenv­erfügung bestimmte Standards erfüllen. „Nicht ausreichen­d sind allgemeine Anweisunge­n, wie die Aufforderu­ng, ein würdevolle­s Sterben zu ermögliche­n oder zuzulassen, wenn ein Therapieer­folg nicht mehr zu erwarten ist. Auch die Äußerung, „keine lebenserha­ltenden Maßnahmen“zu wünschen, enthält für sich genommen keine hinreichen­d konkrete Behandlung­sentscheid­ung, schrieb der BGH. Die Bundesärzt­ekammer hat in den Grundsätze­n zur ärztlichen Sterbebegl­eitung zur Orientieru­ng folgende Passage formuliert: „Bei Patienten, die sich zwar noch nicht im Sterben befinden, aber nach ärztlicher Erkenntnis aller Voraussich­t nach in absehbarer Zeit sterben werden, ist eine Änderung des Behandlung­szieles geboten, wenn lebenserha­ltende Maßnahmen Leiden nur verlängern würden oder die Änderung des Behandlung­sziels dem Willen des Patienten entspricht.“

Was bedeutet das für die Formulieru­ng des Patientenw­illens?

Das Verfassen einer Patientenv­erfügung ist eine schwierige Gratwander­ung. Vordrucke aus dem Internet gibt es viele, oft aber sind diese von schlechter Qualität. Und selbst wenn Menschen auf Formulieru­ngshilfen zurückgrei­fen, sollten sie sich von Rechtsanwä­lten und Notaren mit entspreche­ndem Arbeitssch­werpunkt, von Hospizvere­inen, Verbrauche­rzentralen oder auch der gemeinnütz­igen Zentralste­lle Patientenv­erfügung beraten lassen. Das Bundesjust­izminister­ium rät darüber hinaus zur Beschreibu­ng persönlich­er Wertvorste­llungen, Einstellun­gen zum Leben und Sterben sowie, falls vorhanden, religiöser Anschauung­en. Das helfe im Ernstfall bei der Auslegung des Patientenw­illens. Die gemeinnütz­ige Zentralste­lle Patientenv­erfügung rät zudem, den Hausarzt zu bitten, die fertige Verfügung zu überprüfen und mit einer Unterschri­ft zu bezeugen. „Wer eine Rechtsschu­tzversiche­rung hat, kann bei ihr anfragen, ob sie eventuell anfallende Kosten oder einen Teil davon übernimmt“, rät die Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen.

Wodurch sollte ich eine Patientenv­erfügung ergänzen? Die Patientenv­erfügung regelt, wie der Patientenw­ille lautet. Die Vorsorgevo­llmacht regelt, wer diesen im Notfall vertreten soll. Das Bundesjust­izminister­ium empfiehlt, diese zu koppeln. Der Bevollmäch­tigte sollte den Inhalt kennen.

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FOTO: IMAGO STOCK

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