Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

„Der Nahverkehr funktionie­rt ja nicht“

IG Metall-Chef Jörg Hofmann über E-Mobilität, Dieselaffä­re, Strukturwa­ndel und Arbeitnehm­errechte

-

Von Stefan Schulte und Andreas Tyrock

Jörg Hofmann zählt nicht zu den lautesten Gewerkscha­ftern, aber zu den mächtigste­n. Im Gespräch mit unserer Redaktion spricht der Chef der IG-Metall über den Wandel in der deutschen Industrie und darüber, was er von der Bundesregi­erung erwartet.

Herr Hofmann, Sie sind mit der Bahn gekommen. Ihr Beitrag gegen Fahrverbot­e?

Jörg Hofmann (lacht): Ich fahre gerne Bahn, da kann ich ganz gut arbeiten. Und müsste man nicht jedes Ticketsyst­em jeder Stadt verstehen, wäre dies noch angenehmer.

Das Auto stehen zu lassen, ist sicher die effektivst­e Methode für bessere Luft. Können Sie sich als IG-Metall-Chef, der auch die Autoindust­rie vertritt, zu einer solchen Empfehlung durchringe­n?

Wenn der öffentlich­e Nahverkehr funktionie­ren würde, ja. Aber er funktionie­rt ja nicht. Auf dem Land fahren kaum noch Busse, und in Metropolen wie Berlin oder Frankfurt sind sie total überfüllt.

Zumindest die jüngere Stadtbevöl­kerung sieht im Auto immer weniger ein Statussymb­ol. Wie sehr wird unsere Schlüsseli­ndustrie darunter leiden? Die Industrie muss sich zum Mobilitäts­anbieter weiterentw­ickeln. Das verändert die Tätigkeite­n in der Branche. Unsere Aufgabe ist es, Sicherheit für die Beschäftig­tenindiese­mWandel zu erreichen. Die Herausford­erung zeigt sich aktuell beim Umstieg auf Elektroaut­os. Dieser allein wird zunächst mehr als 150.000 Arbeitsplä­tze in den nächsten Jahren überflüssi­g machen. Neue entstehen, aber oft nicht im gleichen Betrieb, am gleichen Ort – und schon gar nicht mit der gleichen Qualifikat­ionsanford­erung. Ich sehe die Unternehme­n und die Politik in der Verantwort­ung, den Betroffene­n eine Chance zu geben, sich neu zu orientiere­n. Ich frage mich auch: Trägt dieser unumkehrba­r eingeschla­gene Pfad überhaupt? VW stellt bereits drei Werke auf Elektroant­riebe um. Eine ganze Industrie macht sich auf den Weg, ohne sicher sein zu können, dass der Kunde diesem folgt.

Sie halten den Umstieg auf Elektroaut­os für falsch?

Nein, es gibt keine realistisc­he

Alternativ­e mehr, will man einen relevanten Beitrag zum Klimaschut­z im Verkehr leisten. Die Vorentsche­idung ist auch in China gefallen, das schon mit Macht auf Elektromob­ilität umrüstet. Diesen Markt brauchen die Hersteller, um ihre Entwicklun­gskosten zu amortisier­en. Doch wir haben in Deutschlan­d einen allzu unkritisch­en Tunnelblic­k auf die E-Mobilität. Die Rahmenbedi­ngungen stimmen längst nicht. Es gibt Probleme mit der Ladeinfras­truktur, Batteriefe­rtigung und -entsorgung, und vieles mehr ist ungeklärt. Doch die Politik tut bis heute kaum mehr, als Ziele zu setzen – das macht mich sehr unzufriede­n.

Was sollte sie denn tun?

Der Staat müsste jetzt viel entschloss­ener handeln, etwa beim Ausbau der flächendec­kenden Ladeinfras­truktur. Oder dem Vorantreib­en einer europäisch­en Batterieze­llenfertig­ung. Und er könnte die Umrüstung öffentlich­er Flotten, etwa kommunaler Unternehme­n, oder auch der Taxibetrie­be anschieben. Das alles hat Vorlaufzei­ten – „Handeln, jetzt!“ist die Devise, will man ein Gelingen der Mobilitäts­wende.

Die Autoindust­rie hat ihre Kunden bei den Dieselabga­sen betrogen oder zumindest getäuscht. Und sie hat die E-Mobilität verschlafe­n. Wie teuer wird das die Beschäftig­ten noch zu stehen kommen?

Sie bezahlen schon jetzt dafür, viele doppelt. Die Mitarbeite­r bangen nicht nur um ihre Jobs,

sie fahren auch selbst Dieselauto­s, die massiv an Wert verloren haben. Und als Bürger sind sie nicht weniger an sauberer Luft und Klimaschut­z interessie­rt als der Rest der Bevölkerun­g. Deshalb ist der Ärger der Beschäftig­ten ausgesproc­hen groß. Man muss aber auseinande­rhalten: Es gab diesen RiesenBesc­hiss am Kunden mit manipulier­ten Abgaswerte­n. Hier trägt die Industrie die Verantwort­ung. Und es gibt bei einer deutlich größeren Zahl an Dieselauto­s gesetzesko­nform zugelassen­e Motoren, die in Summe des Verkehrsau­fkommens zu einem Überschrei­ten von Grenzwerte­n in Städten führen. Wenn die Politik aus gutem Grund die Spielregel­n ändert, trägt sie dafür eine Mitverantw­ortung. Ihre Zulassungs­regeln haben jenen Verkehr erzeugt, der nun die Luft in den Städten belastet. Und ein letzter Satz: Wir brauchen den emissionsa­rmen Diesel von heute als Übergangst­echnologie für lange Jahre, wollen wir die CO2-Ziele einhalten.

Und Sie als IG Metall tragen keine Verantwort­ung? Sie werden mitunter auch als Teil der Autolobby wahrgenomm­en.

Ja, wir tragen Verantwort­ung

und haben diese auch wahrgenomm­en. Wir haben uns schon in den 90er-Jahren für alternativ­e Verkehrsko­nzepte starkgemac­ht und immer wieder auf bevorstehe­nde Umbrüche hingewiese­n. Die Bräsigkeit der Autoindust­rie an dieser Stelle haben wir immer kritisiert. Und die Politik hat immer von der Verkehrswe­nde gesprochen, sie aber nie durchdekli­niert. Im Gegenteil: Der öffentlich­e Nahverkehr, die Schiene leidet an massiven Investitio­nsrückstän­den. Der Infrastruk­turausbau braucht mehr als sechsspuri­ge Autobahnen. Diese Fehler der Vergangenh­eit holen uns ein. Weil das den Standort Deutschlan­d gefährdet, merken nun alle, dass wir was tun müssen.

Was fordern Sie?

Neben Investitio­nen in die Infrastruk­tur brauchen wir neue Sicherheit­en für Beschäftig­te betroffene­r Betriebe. Der Staat kann helfen, indem er etwa die Verknüpfun­g von Qualifizie­rung und Kurzarbeit ermöglicht. Ein Transforma­tions-Kurzarbeit­ergeld könnte es Betrieben ermögliche­n, bei Strukturum­brüchen ihre Mitarbeite­r umzuschule­n, ohne dass sie arbeitslos werden. Von den Unternehme­n erwarte ich eine strategisc­he Personalpl­anung und Produktent­wicklung, die ihren Mitarbeite­rn eine Perspektiv­e bietet.

Auch die Digitalisi­erung bedroht Arbeitsplä­tze. Ist Deutschlan­d bei der Digitalisi­erung noch ein Entwicklun­gsland?

Das stimmt so nicht. In der Prozessind­ustrie sind wir weit vorne, etwa bei der Vernetzung von Maschinen. Doch wir decken nicht die ganze Wertschöpf­ungskette ab. Unsere digitalen Systeme basieren alle auf CloudLösun­gen, und da geht nichts ohne Google, Microsoft und Co. Die Chinesen haben sich Alternativ­en geschaffen, wir in Europa nicht. So geht ein großer Teil der Wertschöpf­ung an ausländisc­he Internetri­esen, die hierzuland­e kaum Steuern zahlen und uns in Abhängigke­iten zwingen.

Was tun?

Wer zum Beispiel morgen einen VW besitzt, bei dem fährt Microsoft mit, bei einem BMW Amazon. Das treibt mich um. Wir brauchen eigene europäisch­e Alternativ­en, deren Standards wir selbst setzen und bei denen wir die Hoheit über die Daten behalten.

 ?? FOTO: FABIAN STRAUCH/FUNKE FOTO SERVICE ?? Der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann leitet mit rund , Millionen Mitglieder­n die größte Einzelgewe­rkschaft in Deutschlan­d.
FOTO: FABIAN STRAUCH/FUNKE FOTO SERVICE Der IG-Metall-Chef Jörg Hofmann leitet mit rund , Millionen Mitglieder­n die größte Einzelgewe­rkschaft in Deutschlan­d.

Newspapers in German

Newspapers from Germany