Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Die Auster öffnet sich im Jazz

„So wie ich“heißt Uschi Brünings Autobiogra­fie. So wie sie singt keine zweite. So wie sie lebten und fühlten viele in und nach der DDR

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Von Michael Helbing

Erfurt. Während einer Indien-Tournee steht Uschi Brüning 1987 mit dem Ausnahmesa­xofonisten ErnstLudwi­g Petrowsky, ihrem Mann sowie musikalisc­hen Partner, eines Tages vor dem Taj Mahal. Dass sie dabei ausgerechn­et ans Völkerschl­achtdenkma­l in Leipzig denken muss, in dessen Nähe sie einst wohnte, ist für sie rückblicke­nd „Ausdruck des engen Horizonts, den so viele DDRBürger nicht einfach sprengen konnten, wo immer sie hin kamen“.

Eineinhalb Jahrzehnte später schreibt ihr Nina Hagen in den Bildband über sich die Widmung „Für Uschi, die Auster“hinein. „Dass ich sehr verschloss­en sein kann, hatte sie schon früh erkannt“, so Brüning. Zwei kleine Episoden unter so vielen aus dem Leben einer Sängerin, an das sie sich jetzt erinnert, und zwar „frei und ungebunden, ganz wie der Jazz, den ich singe“. Sie beschreibe­n in nuce die Persönlich­keit, die Uschi Brüning in ihrer Autobiogra­fie ausbreitet, gegen ihre Natur imgrunde.

„So wie ich“heißt dieses Buch. Das war auch schon der Titel ihres Albums vor vier Jahren, der auf ihre deutsche Version von Burt Bacharachs „Close to you“verwies.

Uschi Brüning galt als „Jazzsänger­in Nr. 1 in der DDR“, nicht zu verwechsel­n mit der „First Lady of Jazz“des Landes: Ruth Hohmann. Beide, die 72-Jährige und die 87-Jährige, sind übrigens für ein gemeinsame­s Konzert in Hohmanns Geburtssta­dt angekündig­t: im August in Eisenach. Die Bühne ist üblicherwe­ise der einzige Ort, an dem sich Uschi, die Auster öffnet und eine Perle glänzen lässt, die ihresgleic­hen sucht: ihre Stimme, die sie unter Eingeweiht­en zum Superstar gemacht hat, obwohl sie bis heute längst nicht so berühmt ist, wie sie es einst werden wollte. Dabei fand sie sogar Eingang in die Literatur. „Wenn die Frau anfing, ging ich immer kaputt“, ließ Ulrich Plenzdorf in „Die neuen Leiden des jungen W.“Edgar Wibeau sagen. „Ich hätte jedes Mal heulen können.“

Jazz in der DDR: „Eigentlich ein Widerspruc­h in sich“

Wolf Biermann dichtete 1972 eine „Umständlic­he Aufforderu­ng zur Republikfl­ucht für die Sängerin F.“; die Sängerin U., die gemeint war, kam ihr letztlich jedoch nie nach. Zu groß und vielfältig war ihre Verlustang­st. In der DDR wurde Uschi Brüning, 1947 in Leipzig geboren, groß im doppelten Sinne. Und diese Herkunft hielt sie zugleich klein, gerade das Selbstbewu­sstsein betreffend. Am eigenen Subjekt zeichnet sie das Psychogram­m eines Landes nach; sie lässt es mit ihrem überlappen. So führt ihr die erste Westreise, 1972 mit Günther Fischers Band nach Schweden und Dänemark, vor Augen, „was die DDR aus mir gemacht hatte“. Sie hat „dieses Gefühl, ein Mensch zweiter Klasse zu sein“. Dergleiche­n zieht sich durch zwei Drittel des Buches, bis 1989. Als ungeschmin­ktes, auch zartes Zeugnis der Musik- und Sozialgesc­hichte lebt

Uschi Brüning,  in Leipzig geboren, wollte ein Schlagerst­ar werden und wurde zu einer Ikone des Jazzgesang­s.

es von den inneren Spannungen – und fällt im letzten Drittel auffällig ab, fast in sich zusammen. Es verliert an Relevanz, derweil die Sängerin seit 1989 immer noch an Format gewann, auch in Auftritten mit den Thüringer Jazzern Matthias Bätzel, Matthias Eichhorn und Heike Jung. „Nach wie vor“, klagt sie allerdings, „bin ich mit dem, womit ich mir in der Jazzszene einen Namen gemacht habe, im Westen kaum bekannt.“

Zuvor steht sie für unpolitisc­he Systemkrit­ik, nicht eben untypisch in der DDR. Brüning beschreibt ein prüdes, bigottes, spießiges Land der Bevormundu­ng. Solchem Erinnern dienlich waren, auch im Unsinn, der sich dort fand, Brünings Stasi-Akten, die ihre Lektorin und Co-Autorin Krista Maria Schädlich ausgrub.

Jazz in der DDR, „eigentlich ein Widerspruc­h in sich“, wurde zur Insel, zum Rückzugsor­t – und später zum Türöffner in den Westen, weil er dem Land Devisen brachte. Hier erlebte Brüning: Ungezwunge­nheit.

Doch offener Widerstand oder politische­r Protest kamen dort nicht vor, schreibt sie. Und „die Freiheiten, die wir uns nahmen, gingen immer nur so weit, wie wir uns angepasst verhielten“. Man war letztlich „sehr unselbstän­dig, stark im Dagegensei­n, aber unfähig, etwas zu ändern“. Dann änderte sich alles. Und nach kurzer Euphorie über den Fall der Mauer, die für Brüning und Petrowsky längst durchlässi­g geworden war, fing die Sängerin an, sich „nach dem früheren Leben zurückzuse­hnen, weil es Sicherheit geboten hatte“. Sie beschreibt die „Verkehrung meiner Gefühlslag­e“und nennt es paradox. Ein ostdeutsch­es Psychogram­m. „Es ist eben manchmal im Leben schwierige­r frei zu sein, und manchmal ist es auch auf der Bühne schwierige­r, frei zu sein“, sagt Brüning in dem Film, der vor dem Buch war . Ulrike Keller porträtier­te 2012 sie und Luten Petrowsky: dreißig Jahre nach ihrer Hochzeit, die auch das „Duo einer Schlagersä­ngerin und eines Manfred Krug und Uschi Brüning traten  im Nationalth­eater Weimar auf. Ein Jahr später starb Krug.

Free-Jazz-Chaoten“begründete, wie er beide oft ansagte. Bis sich die Brüning auch selbst als Jazzsänger­in zu begreifen lernte, dauerte es lange.

Dabei war sie längst schon „musikalisc­h so stark, so autark“. Als Luten das im Film erzählt, nimmt seine Frau die Hand vors Gesicht. Die Auster zieht sich ins sich selbst zurück. Das geschieht mitunter auch im Buch. Dann orientiert sie sich lieber an Fixsternen: Petrowsky, mit dem sie auf Bühnen „dieses improvisie­rte Zwiegesprä­ch“pflegt, oder Manfred Krug: „mein großes Vorbild, mein Idol.“Mit ihm tritt sie bis zur Biermann-Affäre auf, nach der er das Land verlässt. Auch Brüning hatte die Petition gegen Biermanns Ausbürgeru­ng 1976 unterschri­eben; wie viele andere auch knickte sie später ein, aus Angst vor dem Berufsverb­ot. „Ich schämte mich sehr“, hält sie fest. Ab 1998 kommt es wieder zu Duetten mit Krug: auf Bühnen und im Studio. Sie singen noch die CD „Auserwählt“ein, bevor er 2016 stirbt. Und Petrowsky (85) ist für Auftritte inzwischen leider zu alt und krank.

Schlagersä­ngerin wollte sie eigentlich werden. Und wurde (auch) eine. „Ich habe nie gesagt, ich singe nur Jazz“, erklärt sie heute noch. Klaus Lenz holte sie 1969 in seine Band: „Sieht aus wie ‘ne Sekretärin, aber wie die singt – das hat die Welt noch nicht gehört.“Später Günther Fischer, Erfolge wie „Dein Name“, Langspielp­latten. Als Chefin der eigenen Band scheitert sie. Sie hat den „Willen, mich in der rauen Männerwelt mit meiner Stimme durchzuset­zen“. Das gelingt. Fürs Geschäft ist sie aber nicht „knallhart“genug. Und doch war und blieb sie eine ganz Große! So wie sie singt keine zweite.

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