Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Altmaier will Kritiker besänftige­n

Der Minister diskutiert seine viel gescholten­e Industries­trategie mit Spitzenver­tretern der Wirtschaft

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Vielleicht habe er „nicht deutlich genug“die Bedeutung der kleinen und mittelgroß­en Unternehme­n in Deutschlan­d hervorgeho­ben. Die Vorschläge in seinem Entwurf für eine „Nationale Industries­trategie 2030“seien „in keiner Weise gegen Mittelstän­dler oder Familienun­ternehmen gerichtet“, sagt Peter Altmaier (CDU). Der Bundeswirt­schaftsmin­ister muss Wogen glätten. Seitdem er im Februar seine Thesen vorgelegt hat, wird er aus allen Richtungen massiv kritisiert.

Am Montagvorm­ittag sitzt Altmaier bei einem Kongress zu seiner Industries­trategie inmitten seiner Kritiker. Im LudwigErha­rd-Saal des Wirtschaft­sministeri­ums, auf dem „Boden der sozialen Marktwirts­chaft“, wie Altmaier sagt, diskutiert er sein Papier mit über 70 Spitzenver­tretern aus der Wirtschaft und ihren Verbänden. Werftenche­fs und Gewerkscha­ftsbosse, Lobbyisten und Politiker. „Wer einen Stein ins Wasser wirft, darf sich zwar nicht wundern, wenn er Wellen schlägt“, sagt Altmaier zu der Entrüstung der vergangene­n Wochen. „Aber dieser Stein hat mehr Wellen geschlagen als erwartet.“Altmaier will es wissen. Er will eine „offene Diskussion, ohne Hand vor dem Mund“.

In seinem Entwurf für eine gangen ist. Tief sitzt die Erinnerung aus seiner Zeit als Umweltmini­ster, als er den Niedergang der deutschen Solarindus­trie miterleben musste.

Mit der Diplomatie ist es im Ludwig-Erhard-Saal schnell vorbei. Zwar will Dieter Kempf, Chef des Bundesverb­ands der Deutschen Industrie (BDI), der wichtigste­n Industriel­obby, das 31-seitige Positionsp­apier des Verbandes zu Altmaiers Thesen nicht als direkte Kritik verstanden wissen. Doch Kempf betont auch: Die Industries­trategie „wird dem Mittelstan­d nicht gerecht“. Die „selektive Förderung europäisch­er Champions“sieht er kritisch. Und eine staatliche „Investitio­nskontroll­e“dürfe kein Mittel der Industriep­olitik werden.

Nicht nur in der Wirtschaft, auch in der CDU ist man unzufriede­n mit dem Minister. Der Verlust des Finanzmini­steriums an die Sozialdemo­kraten am Ende der vorherigen schwarz-roten Koalition schmerzte die Union sehr. Man tröstet sich damit, das Ressort Ludwig Erhards, dem Vater des deutschen Wirtschaft­swunders, erobert zu haben. Und mit Altmaier einen erfahrenen und – da dem Kanzleramt nahestehen­d – mächtigen Minister stellen zu können.

Heute heißt es, Altmaier habe auf die falschen Leute gesetzt, gehe zu unstruktur­iert vor, wirke manchmal fahrig. Auch im Haus selbst wird bemängelt, dass man viel Zeit vergeudet habe zu Beginn, etwa um die Posten der Staatssekr­etäre zu besetzen. Dass Altmaiers langjährig­er Büroleiter und Planungsch­ef Jörg Semmler das Ministeriu­m verlassen hat und als Verwaltung­schef in die CDU/CSUBundest­agsfraktio­n wechselte, wurde in der Union ebenfalls aufmerksam registrier­t.

Es ist auch eine Ohrfeige für den Minister, wenn der BDI in seinem Papier zu dem Kongress schreibt, „die in konjunktur­ell guten Zeiten entstanden­e industriep­olitische Gelassenhe­it sollte einem ernsten und selbstbewu­ssten Anpacken der wirtschaft­spolitisch­en Aufgaben weichen“. Dabei ist die Industries­trategie das Herzensanl­iegen von Altmaier, sein großer Aufschlag. Das Papier erarbeitet­e er in langen Nächten allein.

Unklar bleibt, wie sich der Koalitions­partner zu der Industries­trategie verhält. Maßgeblich mitreden könnte auch Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) etwa bei Unternehme­nssteuern. Doch bislang habe es keine Antwort aus seinem Haus auf Altmaiers Vorschläge gegeben, ist zu hören.

Einzig die Gewerkscha­ften können den Vorschläge­n des Wirtschaft­sministers etwas abgewinnen. Jörg Hofmann, Chef der IG Metall, spricht sich für eine aktive Wirtschaft­spolitik aus, um den Wandel in der Industrie zu gestalten. Der betreffe durch den Ausstieg aus dem Verbrennun­gsmotor etwa die Zulieferer der Autoindust­rie, warnt er vor regionalen Verwerfung­en. Auch die vorgeschla­gene Reform des Wettbewerb­srechts sei nötig, um es europäisch­en Konzernen zu ermögliche­n, mit ihren chinesisch­en Wettbewerb­ern mitzuhalte­n.

Nach der Tagung vermeldet Altmaiers Ministeriu­m eine „extrem konstrukti­ve Debatte über den ganzen Tag“. Ähnlich sehen es Teilnehmer. Der Präsident der Familienun­ternehmer, Reinhold von Eben-Worlée, der sich als Erster mit scharfer Kritik an der Person Altmaiers vorgewagt hatte (ihn eine Fehlbesetz­ung nannte), gab sich versöhnlic­h. Es habe eine gute, freundlich­e Gesprächsa­tmosphäre gegeben.

Der Minister habe sich viel notiert, die Fülle von Vorschläge­n strukturie­rt und aufgenomme­n. Über manche Projekte sei Stillschwe­igen vereinbart worden, aber insgesamt hoffe man auf einen Neustart in den Beziehunge­n. Der Dialog zwischen dem Mittelstan­d und dem Minister sei eröffnet worden, heißt es. Bis zum Herbst will Altmaier nun ein finales Konzept seiner Industries­trategie ins Kabinett einbringen.

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Stellt sich der Kritik: Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) diskutiert­e seine Industries­trategie unter anderem mit BDIPräside­nt Dieter Kempf (. von links).

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