Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Tötete ein Bombenleger Walter Lübcke?
Bei dem festgenommenen Stephan E. gibt es Hinweise auf einen rechtsextremen Hintergrund. Angeblich Kontakte zu NPD und „Combat “
Es ist ein Abend im Oktober 2015, als Walter Lübcke ins Visier von Rechtsextremen gerät. Lübcke, damals 62 Jahre alt, steht an einem kleinen Pult, vor ihm mehrere Hundert Anwohner der Stadt Lohfelden im Norden Hessens. Lübcke ist Regierungspräsident, soll Bindeglied sein zwischen den Menschen in der Region und der Landesregierung in Wiesbaden. Jetzt steht er vor den Bürgern und soll ihnen in diesem Herbst den Bau des Asylbewerberheims in der Region erklären. Nach diesem Abend ändert sich vieles im Leben von Walter Lübcke. Vielleicht, das lässt sich erst nach Abschluss der Ermittlungen sagen, hat dieser Abend ihn am Ende auch sein Leben gekostet.
Lübcke wird in Interviews in den Tagen danach schildern, dass er auf der Bürgerversammlung zum Flüchtlingsheim aus dem Publikum bepöbelt und provoziert worden sei. „Scheiß Staat“, hätte einer gerufen. Lübcke dagegen lobt den Einsatz von Ehrenamtlichen für die Flüchtlinge, die Solidarität, verteidigt die damalige Linie der Merkel-Regierung.
Dann sagt er: Wer diese Werte nicht vertrete, könne „jederzeit das Land verlassen“. Das sei die „Freiheit eines jeden Deutschen“. Danach brechen Buhrufe aus im Saal, einer ruft: „Verschwinde!“
Vor allem in den Tagen danach, vereinzelt aber auch später ist Lübcke Ziel von Anfeindungen durch Flüchtlingsfeinde und organisierte Rechtsextreme – besonders in Kommentaren, Foren und sozialen Netzwerken im Internet. Ein CDU-Politiker, der Flüchtlinge willkommen heißt und Deutschen rät, ins Ausland zu gehen – es passt ins Feindbild der Rechten. Auch auf Facebook wird gegen Lübcke gehetzt, er erhält Morddrohungen.
Am 2. Juni 2019 kurz nach Mitternacht wird Walter Lübcke auf der Terrasse seines Wohnhauses in der Nähe von Kassel erschossen, aus kurzer Distanz in den Kopf, mit einer Pistole oder einem Revolver, so die Ermittler. Am Wochenende nahm die Polizei nun einen Tatverdächtigen fest. Stephan E. ist nach Informationen unserer Redaktion den Sicherheitsbehörden als Rechtsextremist bekannt. Und als Gewalttäter.
Eine DNA-Spur an der Kleidung des Opfers hatte die Ermittler zu dem Tatverdächtigen geführt. Er sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft. Nach übereinstimmenden Medienberichten und eigenen Recherchen fiel der Mann schon seit seiner Jugend durch teilweise schwere Gewalttaten auf. Bei der aktuellen Durchsuchung der Wohnung entdeckten Polizisten Waffen – die Tatwaffe im Fall Lübcke ist aber offenbar nicht darunter. Die Ermittlungen dauern an.
Der Tatverdächtige war nach Informationen unserer Redaktion in der Vergangenheit im Umfeld der Neonazi-Partei NPD aktiv. Nicht nur das: Auch in das mittlerweile verbotene gewalttätige Neonazi-Netzwerk „Combat 18“war der Mann involviert. Zudem war er offenbar an einem Überfall von mehreren Hundert Rechtsextremen auf einen Demonstrationszug des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) am 1. Mai 2009 in Dortmund beteiligt. Die „Zeit“berichtet, der Mann habe bereits 1993 im Alter von 20 Jahren mit einer Rohrbombe eine Asylbewerberunterkunft in Hessen angegriffen. Bewohner konnten eine Detonation im letzten Augenblick verhindern. Der Mann wurde damals zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt.
Ein Behördenmitarbeiter, der Einblick in die Ermittlungen hat, berichtet, dass der 45-Jährige möglicherweise seit seiner Jugend gewalttätig ist, sich allerdings erst später rechtsextrem radikalisierte. Nach Informationen unserer Redaktion war der mutmaßliche Täter auch im Internet aktiv. Auf der Videoplattform Youtube verbreitete er unter dem Namen „Game Over“in der Vergangenheit Hassparolen. So soll er sich dort dahingehend geäußert haben, dass „es Tote geben“werde, sollte die Regierung nicht handeln.
Die weiteren Ermittlungen müssen zeigen, ob sich der dringende Tatverdacht gegen den
Mann erhärtet. Von Beginn an schlossen die Ermittler ein mögliches politisches Motiv an dem Tötungsdelikt gegen Lübcke ein. Denn auch die Polizei kannte die Hetze gegen ihn. Zeitweise stand der CDU-Politiker sogar unter Personenschutz.
Zunächst hatte die Staatsanwaltschaft Kassel die Ermittlungen geleitet, doch am Montag übernahm der Generalbundesanwalt in Karlsruhe. Die Behörde zieht besonders schwere Verbrechen gegen die Sicherheit in Deutschland an sich. Sie geht von einem rechtsextremistischen Hintergrund aus. Hinweise auf ein rechtsterroristisches Netzwerk gebe es bisher aber nicht.
Immer wieder hatte die Anwaltschaft in den vergangenen Jahren Rechtsterror-Verfahren an sich gezogen, darunter gegen Gruppen wie die „Old School Society“oder „Revolution Chemnitz“. Doch nicht nur Gruppen sind nach Ansicht der Sicherheitsbehörden gefährlich. 2015 formulierten deutsche Staatsanwälte ein „Merkblatt“, in dem sie Indikatoren festlegten für Fälle von Rechtsterrorismus. Darin heißt es gleich auf der ersten Seite, dass auch durch „Einzeltäter“oder „Kleinstgruppen“mit Attentaten zu rechnen sei. Weiter heißt es: „Außer einem situativen (etwa durch Alkohol geförderten) Tatimpuls ist dabei auch grundsätzlich ein planmäßiges und gezieltes Vorgehen der Täter einzubeziehen.“