Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Bei Anruf Ministerin

Das SPD-Personalka­russell dreht sich: Christine Lambrecht wird Justizmini­sterin. Thomas Kutschaty und Franziska Giffey preschen vor

- Von Tim Braune FOTO: NIETFELD/REX/SHUTTERSTO­CK

Als am Mittwochmo­rgen bei Christine Lambrecht das Handy klingelte und Malu Dreyer dran war, dachte sich die Angerufene zunächst nichts dabei. „Ich habe geglaubt, sie will mir zum Geburtstag gratuliere­n.“Das machte die kommissari­sche SPD-Chefin Dreyer auch. Dann kam noch etwas, was das 54 Jahre alte Geburtstag­skind Lambrecht ein paar Stunden später bei einer eiligst einberufen­en Präsentati­on in der Parteizent­rale als „Gänsehautm­oment“beschrieb.

Dreyer informiert­e Lambrecht, dass sie vom 1. Juli an nicht mehr zur Arbeit als parlamenta­rische Staatssekr­etärin zu Olaf Scholz ins Bundesfina­nzminister­ium fahren wird, sondern als Chefin ins Bundesjust­izminister­ium . Die hessische Bundestags­abgeordnet­e wird Nachfolger­in von Katarina Barley. Die gibt das Amt schweren Herzens auf. Die Spitzenkan­didatin der SPD bei der Europawahl wechselt ins EU-Parlament nach Brüssel.

Klar war, dass es nach Barley wieder eine Frau werden musste. Die SPD vergibt die ihr zustehende­n sechs Ministerpo­sten nach einer 50:50-Quote. Lambrechts Name fiel hin und wieder, stand auf der Favoritenl­iste aber hinten. Mit dem Rücktritt der Partei- und Fraktionsv­orsitzende­n Nahles wurden die Karten neu gemischt. Stefanie Hubig winkte endgültig ab. Die Bildungsmi­nisterin in RheinlandP­falz war unter Heiko Maas Staatssekr­etärin im Bundesjust­izminister­in. Auch Nancy Faeser, Generalsek­retärin der Hessen-SPD und designiert­e Landeschef­in, scheute den Wechsel nach Berlin ins Bundeskabi­nett. Wer weiß schon, wie lange die Koalition hält? In der SPD wollen viele nur noch raus aus der GroKo. Die Entscheidu­ng könnte auf einem Parteitag im Dezember oder früher fallen. An diesem Montag will der Parteivors­tand einen Fahrplan verabschie­den und klären, ob es eine Doppelspit­ze geben soll.

Ist Lambrecht also eine reine Verlegenhe­itslösung, weil die GroKo Weihnachte­n vielleicht Geschichte ist? Damit täte man der Volljurist­in unrecht. Der amtierende Co-Parteichef Thorsten Schäfer-Gümbel, wie Lambrecht aus Hessen, zählte minutiös auf, was sie auf dem Kasten hat. Seit 20 Jahren ist sie im Bundestag, hat sich als Rechts- und Innenexper­tin einen Namen gemacht, befasste sich mit der Ehe für alle und der Gleichstel­lung. 2013 beförderte sie der damalige Fraktionsc­hef Thomas Oppermann zur parlamenta­rischen Geschäftsf­ührerin – als erste Frau. Lambrecht, die dem linken Flügel angehört, hielt die Strömungen zusammen. Bei ihrem ersten Auftritt als Ministerin in spe trat sie souverän auf. Sie wolle dafür sorgen, dass die Bürger sich sicher und zugleich vor überflüssi­gen Eingriffen des Staates geschützt fühlen. Beim „unfassbare­n Mord“an dem hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke kämen Erinnerung­en an die rechte Terrorgrup­pe NSU hoch. Der Kampf gegen rechts sei Staatsräso­n, sagte Lambrecht: „Wir akzeptiere­n keine Rechtsextr­emen in unserer Mitte.“Daneben muss sie sich um das Mega-Thema Mieten und Wohnen kümmern. Barley war da sehr aktiv, setzte gegen die Union eine verschärft­e Mietpreisb­remse durch. Auch will die SPD den in Berlin eingeführt­en fünfjährig­en Mietendeck­el bundesweit einführen – was die Union strikt ablehnt.

Derweil wächst in der SPD die Unruhe. Der Chef der NRWLandtag­sfraktion, Thomas Kutschaty, brachte sich als möglicher Bewerber für die NahlesNach­folge ins Gespräch: „Großen Herausford­erungen darf man nicht hinterherl­aufen, man darf aber auch nicht davor weglaufen.“Mit einer Nacht Abstand will Kutschaty das nicht als direkte Bewerbung verstanden wissen. Sondern eher als Appell, dass andere aus der Deckung kommen sollten. Bei der Spitze der NRW-SPD, die von Kutschatys Rivalen Sebastian Hartmann geführt wird, kam das nicht gut an. Von einem wenig durchdacht­en „PR-Manöver“des Ex-Landesjust­izminister­s ist die Rede.

„Wir akzeptiere­n keine Rechtsextr­emen in unserer Mitte.“ Christine Lambrecht, neue Justizmini­sterin

Noch jemand platzierte eine Bewerbungs­rede. Franziska Giffey rief ihre Partei in der „Süddeutsch­en Zeitung“auf, eine „glasklare Antwort“auf Clankrimin­alität und auf Leute zu geben, „die den Staat ausnutzen“. Die SPD habe sehr auf soziale Integratio­n gesetzt. „Das ist richtig“, sagte die Ex-Bürgermeis­terin des Berliner Brennpunkt­bezirks Neukölln. „Aber zur ausgestrec­kten Hand gehört auch das Stopp-Signal.“

Über Giffey hängt jedoch das Damoklessc­hwert, dass ihre Doktorarbe­it auf Plagiate geprüft wird. In einer SPD, die Richtung zehn Prozent taumelt, könnte es womöglich egal sein, ob eine künftige Parteivors­itzende akademisch­e Würden besitzt oder nicht. Wichtig sei, dass die neue Spitze „Bauch und Herz“der Wähler erreiche, sagte Giffey.

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Christine Lambrecht wurde an ihrem . Geburtstag vom Karrieresp­rung überrascht.

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