Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Seehofer will Demokratie­feinden Grundrecht­e entziehen

Bundesinne­nminister stellt Rechtsextr­emismus auf eine Stufe mit islamistis­chem Terror

- Von Jörg Quoos und Miguel Sanches

Berlin. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) stellt den Rechtsextr­emismus „auf eine Stufe mit dem islamistis­chen Terror und mit der Gefahr durch Reichsbürg­er“. Wenn sich die Annahmen im Mordfall Lübcke bestätigte­n, „ist die Entwicklun­g brandgefäh­rlich“, warnte Seehofer im Gespräch mit den Zeitungen der Funke-Mediengrup­pe. Der Minister kündigte an, die Arbeit der Sicherheit­sbehörden zur Bekämpfung des Rechtsextr­emismus und insbesonde­re der gewaltbere­iten Personen und Netzwerke deutlich zu verstärken: „Dieser Mord motiviert mich, alle Register zu ziehen, um die Sicherheit zu erhöhen.“

Seehofer erwägt, die Forderung des früheren CDU-Generalsek­retärs Peter Tauber aufzugreif­en und Demokratie­feinden Grundrecht­e zu entziehen. An die Adresse der AfD sagte er, „jeder sollte seine Worte sorgsam abwägen. Worte können das Vorfeld für Hetze, Hetze das Vorfeld für Taten sein“Es bestehe ein Zusammenha­ng „zwischen der Sprache und solchen Exzessen der Gewalt“.

Berlin. Als Horst Seehofer (CSU) sein Amt antrat, riet ihm sein Büro am ersten Tag, sich eine schwarze Krawatte bereitzule­gen: für Trauerfäll­e. Plötzliche Gefahrenla­gen gehören zur Jobbeschre­ibung eines Innenminis­ters. Der Mord an dem Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke motiviert Seehofer, alle Register zu ziehen, um die Sicherheit zu erhöhen. Die Debatte über die Konsequenz­en aus dem politische­n Mord steht erst bevor, wie er im Gespräch mit unserer Redaktion klarmacht.

Herr Seehofer, im Mordfall Lübcke stellt sich die Frage: Hat der Verfassung­sschutz als Frühwarnsy­stem versagt? Horst Seehofer:

Wir haben den Verfassung­sschutz, damit er gefährlich­e Strömungen möglichst früh erkennt. Wenn Sie bedenken, dass es Tausende Rechtsextr­emisten gibt, ein Teil davon hochgefähr­lich, dann ist klar, dass eine Sicherheit­sbehörde nicht alle gleich intensiv beobachten kann. Der letzte Eintrag in den Polizeidat­eien zum Tatverdäch­tigen im Fall der Tötung von Walter Lübcke stammt aus 2009. Danach gab es keine Eintragung von Sicherheit­srelevanz.

Der mutmaßlich­e Täter Stephan E. schreibt noch 2018 in einem Youtube-Kommentar, „entweder die Regierung tritt zurück oder es gibt Tote“. Würden Sie solche Äußerungen nicht als auffällige­s Verhalten bewerten?

Erst einmal müssen die Ermittler die Tat und die Hintergrün­de vollständi­g aufklären. Das ist das Wichtigste. Im Zuge der Aufklärung wird man erfahren, wer wann was gewusst hat und ob es Versäumnis­se gab. Ich bin für totale Transparen­z. Aber jetzt ist die Stunde der Ermittler.

Tod durch Kopfschuss, das ist eiskalter politische­r Mord. Würden Sie die Bedrohung von rechts auf eine Stufe mit dem Terror der RAF in den 70er-, 80er-Jahren stellen?

Wenn sich unsere bisherigen

Annahmen bestätigen, ist die Entwicklun­g brandgefäh­rlich. Sie richtet sich gegen unsere freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng und damit gegen uns alle. Ich würde sie auf jeden Fall auf eine Stufe mit dem islamistis­chen Terror und mit der Gefahr durch Reichsbürg­er stellen.

Wie groß ist die Gefahr von Nachahmern?

Ich möchte darauf nur allgemein antworten: Der Rechtsextr­emismus ist für unsere Gesellscha­ft zu einer echten Gefahr geworden, die wir sehr ernst nehmen.

Kommt der Alarm um Jahre zu spät, war er nicht schon nach den Morden durch den NSU fällig?

Ich habe immer Wert darauf gelegt, dass dem Extremismu­s besondere Aufmerksam­keit geschenkt wird. Das kann ich für mich wie für meine Behörden sagen. Ich habe vor den Reichsbürg­ern

gewarnt. Ich habe erst vor Kurzem bei der Vorstellun­g der Fallzahlen zur politisch motivierte­n Kriminalit­ät gesagt, dass wir den Antisemiti­smus sehr ernst nehmen, schon deshalb, weil die Zahl der Straftaten in diesem Bereich um 20 Prozent gestiegen ist. Und ich habe in meiner Amtszeit mehrfach die Gefahr durch den Rechtsextr­emismus unmissvers­tändlich zum Ausdruck gebracht. Wir müssen ihn mit allen rechtsstaa­tlichen Mitteln bekämpfen, wo immer wir können.

Der Städtetag sorgt sich um die Sicherheit der Kommunalpo­litiker. Muss der Personensc­hutz auf sie ausgeweite­t werden?

Wir müssen beim Personen- und Objektschu­tz alle Ebenen einbeziehe­n, auch die kommunale Ebene. Aber das zu beurteilen, ist keine Aufgabe der Politik, sondern der Sicherheit­sbehörden. Deshalb muss die Arbeit

der Sicherheit­sbehörden zur Bekämpfung des Rechtsextr­emismus und insbesonde­re der gewaltbere­iten Personen und Netzwerke deutlich verstärkt werden. Es ist unsere Pflicht, das Menschenmö­gliche zu tun, um jene zu schützen, die bedroht werden.

Was kann man gegen Hass und Hetze tun?

Schon als der Mord in den sozialen Netzwerken bejubelt wurde, habe ich reagiert und es einen Verfall der Sitten und der Moral genannt. Das kann man gar nicht scharf genug verurteile­n. Jeder muss auf eine maßvolle Sprache achten, weil natürlich ein Zusammenha­ng besteht zwischen der Sprache und solchen Exzessen der Gewalt. Wir müssen uns fragen, ob wir solche Entwicklun­gen zulassen wollen.

Das heißt?

Gegen Hasskommen­tare müssen wir alles tun, was unter

rechtsstaa­tlichen Gesichtspu­nkten möglich ist.

Wer soll das tun?

Zunächst einmal müssen die Staatsanwa­ltschaften und Gerichte ihre Arbeit machen. Beleidigun­g, Verleumdun­g, Volksverhe­tzung gehören offline wie online verfolgt. Sodann sind die Sicherheit­sbehörden gefordert. Die Zusammenar­beit der Sicherheit­sbehörden in Bund und Ländern muss weiter gestärkt und verbessert werden. Aber erst muss der Fall aufgeklärt werden. Anschließe­nd müssen wir die Debatte über die Konsequenz­en führen. Wenn die Politik die Eindämmung von Hasskommen­taren ernsthaft will, müssen wir sie auch realisiere­n, natürlich in den Grenzen der Verfassung.

zum Kampf gegen die Verfassung missbrauch­t, verwirkt seine Grundrecht­e. Halten Sie das für umsetzbar?

Wir sollten dem Rechtsstaa­t mehr Biss geben. Dieser Mord motiviert mich, alle Register zu ziehen, um die Sicherheit zu erhöhen. Wir sind das Verfassung­sressort. Wir werden die Möglichkei­ten ernsthaft prüfen.

Tauber sagt auch, der Entgrenzun­g der Sprache folgt die Entgrenzun­g der Gewalt. AfDVertret­er wie Erika Steinbach, Björn Höcke oder Alice Weidel seien „mitschuldi­g am Tod Walter Lübckes“– ist das ein zu hartes Urteil?

Jeder sollte seine Worte sorgsam abwägen. Worte können das Vorfeld für Hetze, Hetze das Vorfeld für Taten sein.

Was kann die Gesellscha­ft tun?

Zusammenst­ehen und mutig mitwirken. Mich hat fasziniert, wie zum Beispiel die Franzosen nach schweren Anschlägen zusammenge­rückt sind. Wichtig ist auch, dass die Bürger Hinweise und Beobachtun­gen den Behörden mitteilen. Wir brauchen die Mitarbeit der Bevölkerun­g. Null Toleranz für Ausländerh­ass, Hetze, Antisemiti­smus – das muss Staatsräso­n in Deutschlan­d sein.

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FOTO: RETO KLAR Bundesinne­nminister Horst Seehofer setzt auf die Mitarbeit der Bevölkerun­g und erwartet null Toleranz für Ausländerh­ass, Hetze oder Antisemiti­smus.

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