Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Die Freudenbringer der ausgefallenen Art
Kulturwissenschaftlerin Nadine Beck sucht Zeitzeugen für ihre Doktorarbeit über Sexspielzeug. In DDR Mangel an Vibratoren, aber nicht an Fantasie
Jena. Die Kulturwissenschaftlerin Nadine Beck widmet sich einem intimen Forschungsgegenstand: der Geschichte des Vibrators in Deutschland. Dabei ist Beck, die vier Jahre an der Universität Jena studiert hat und jetzt an der Philipps-Universität Marburg forscht, auch auf Zeitzeugen aus Thüringen angewiesen. Sie will wissen, ob und wie Geräte in der DDR genutzt wurden, die eigentlich nicht für die Befriedigung konzipiert wurden. Wir sprachen mit ihr über ihre ungewöhnliche Doktorarbeit und den technischen Möglichkeiten abseits des Vibrators.
Sie haben einen ungewöhnlichen Aufruf gestartet. Sie möchten Menschen dazu animieren, über Massagegeräte in der DDR zu sprechen, und das nicht im eigentlichen Sinn der Nutzung.
Erst einmal möchte ich wissen, ob es überhaupt Sexspielzeuge und sexuell verwendete Massagegeräte in der DDR gab. Ich kenne einige Produkte, die das bestätigen und möchte wissen, wie sie verwendet wurden. Haben sich die Menschen mit dem Ideal-Massierer oder dem Massinet wirklich nur das Gesicht massiert oder wurden diese auch anders verwendet?
Also ob die Geräte auch tiefer rutschten?
Genau. Sexuelle Verwendungen von Frauen, Männern, Lesben, Schwulen – es interessiert mich bei jedem. Ich kenne ein paar Geräte, die auch zweitverwertet wurden, zum Beispiel die Sicco III, eine Wäscheschleuder, die einen speziellen Verschlussriegel hatte. Auf die Maschine, die beim Schleudergang vibrierte, konnte man sich draufsetzen, hat mir ein Zeitzeuge erzählt. Ich wüsste gern: Gab es noch andere Geräte oder Möglichkeiten, an Sexspielzeug zu kommen? Oder hat man sie vielleicht selber gebaut? Not macht ja erfinderisch (lacht).
Sie haben einen Fragebogen für Zeitzeugen konzipiert. Was wollen Sie darin wissen?
Es wird zum Beispiel gefragt, ob bekannt war, dass Massagegeräte für das Gesicht oder die Füße sexuell verwendet wurden? Ob die Geräte spezielle Namen bekamen? Oder ob die Person einen stabförmigen, also einen phallischen Massagestab, besaß, den es ab 1969 in der BRD zu kaufen gab.
Ein solcher phallischer Vibrator, wie man ihn heute kennt, wurde in der DDR nicht hergestellt?
Nein, das war gesetzlich verboten. Aber es gibt ja immer Mittel und Wege, etwas selbst zu bauen oder zu beschaffen, und das interessiert mich. Es ist ein kleiner Fragebogen mit maximal 15 Fragen, die ein wenig darauf abzielen, herauszufinden, wie die Lage in der DDR war und ob sie sich verändert hat. Zentrale Frage ist: Gab es etwas, das vibriert und als Sexspielzeug verwendet wurde? Ich habe auch von diversen Weinflaschen gehört, die eine phallische Form hatten und eingesetzt wurden. Die vibrieren halt nicht. Aber vielleicht gab es noch etwas anderes, und dieses Spektrum würde ich gerne mit aufnehmen.
Wichtig ist: Alles ist anonym. Ich möchte nur grob einordnen, wie alt die Person ist und wie ihre soziale Umgebung war, also ob sie als Jugendliche im eigenen Zimmer lebten oder in einem Wohnheim.
Diese Erfahrungen in der DDR sind aber nur ein Teilaspekt Ihrer Doktorarbeit, Ihr Hauptaugenmerk liegt auf den Vibratoren der BRD.
Genau. Mein anfängliches Thema war der phallische Vibrator, der 1969 in der BRD auf den Markt kam. Zentrale Fragen sind: Wurde der Vibrator willkommen geheißen, wurde er als Konkurrenz wahrgenommen, hat man ihn versteckt? Mich interessieren brennend beide deutsche Länder, aber es ist extrem schwierig, an Informationen aus der DDR zu kommen.
Wie kommt man überhaupt auf einen solchen Forschungsgegenstand?
Über Umwege. Ich beschäftige mich eigentlich mit Unternehmensgeschichte. Wenn eine Firma ein Jubiläum hat, recherchiere ich und konzipiere Ausstellungen, Bücher und Filme. Als ich der Liebe wegen nach Hamburg gezogen bin, stieß ich auf das Unternehmen Beate Uhse und habe geschaut, ob es Anknüpfungspunkte für ein Jubiläum gibt. Mir fiel auf: Ach, der Vibrator hat bald 50-Jähriges in Deutschland. Ich habe festgestellt, dass eine Forschungslücke zu Sexualität und Technik vorhanden ist. Der Vibrator ist ein so tolles Gerät, das einfach nur Freude bereitet, und wenn man ein bisschen recherchiert, bekommt man auch Geräte aus der Weimarer Republik. Die sind schon sehr lustig, sie sehen aus wie Bohrmaschinen oder Schwingschleifer.
Der erste Vibrator, der in den USA erfunden wurde, war ja auch eine Art Dampfmaschine.
Genau, 1869 erfunden gegen Leistenbrüche und andere Instabilitäten im Becken. Dass der erste Vibrator gegen die damals als neurotische Störung eingestufte Hysterie eingesetzt wurde, ist allerdings keine wissenschaftlich belegte Geschichte.
Ist der Vibrator mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen?
Theoretisch ist er in der Mitte der Gesellschaft angekommen, aber ob man darüber spricht, offen, ohne Tabus, das ist eine andere Frage.