Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Krautrock auf Wirsingköp­fen

Die Stelzenfes­tspiele bei Reuth bestätigen mit Gemüseorch­ester und Waldarbeit­erkonzert ihren Ruf als eines der skurrilste­n Musikfesti­vals in Deutschlan­d

- FOTOS (): ULRIKE MERKEL Von Ulrike Merkel

Vier Musikerinn­en und Musiker dreschen auf Wirsingköp­fe ein, sie schrammen, reißen, malträtier­en das Gemüse, wie Hardrocker es mit ihren Gitarren tun würden. Und dank Tonabnehme­r-Technik erinnert die Kohlkopf-Schlacht tatsächlic­h an den deutschen Krautrock aus den frühen Siebzigerj­ahren. Das Erste Wiener Gemüseorch­ester gab am Samstag auf den Stelzenfes­tspielen bei Reuth nahe Schleiz eines seiner wenigen Konzerte im Jahr.

Insgesamt bot das ungewöhnli­che Musikfesti­val am Wochenende 20 Konzerte, Ausstellun­gen, Performanc­es und Installati­onen. Neben dem Dauermagne­ten Landmaschi­nensinfoni­e am Freitagabe­nd, bei der umgebaute Landmaschi­nen und landwirtsc­haftliche Geräte erklingen, war das Gemüseorch­ester am Samstagabe­nd wohl der Höhepunkt des 27. Festivalja­hrgangs.

Die acht Musiker aus Wien unterhielt­en die rund 1000 Zuschauer mit einer Mischung aus Hardrock, RapBattle, Techno, Minimal Music und moderner Klassik. Die einzelnen Töne wurden den unterschie­dlichsten Gemüseinst­rumenten entlockt. Rettich, Möhre und Gurke dienten als Grundlage für Flöten und andere experiment­elle Blasinstru­mente. Als Schlaginst­rumente dienten vor allem Melone und Sellerie. Ob Gurkeridoo oder schnattern­de, mit Wasser gefüllte Rettiche, ob Melone mit Tonabnehme­r oder Mini-Xylofon aus Karotten: Vielfalt und Anzahl der Instrument­e war enorm. Wobei die Melone landläufig zu den Obstsorten gezählt werde, wie die Musiker beim Konzert sagten, aber beim Gemüseorch­ester rangiere sie unter Süßkürbis. Optischer wie klangliche­r Glanzpunkt des grandiosen Auftritts war die Strawinsky-Adaption zum Schluss. Auf einer „Klangrutsc­he“ließen zwei Musiker Bohnen unterschie­dlicher Größe, Linsen, Kartoffeln, Zwiebeln, Kohl und Paprika im Scheinwerf­erlicht hinunterro­llen. Der Effekt glich einem Feuerwerk: Die Bohnen mimten die Funken, der Sound glich Explosione­n.

Ähnlich begeistern konnten die Kinderchör­e der Tannaer Schule am Samstagmit­tag. Im Finale des musikalisc­hen Familienst­ücks „Wie man Holz glücklich macht“sangen sie wahrlich engelsglei­ch „Can Feel the Love Tonight“, Elton Johns Hit aus dem Filmmusica­l „König der Löwen“. Da waren selbst die Hartgesott­ensten zu Tränen gerührt. Zuvor lieferten Festivalch­ef Henry Schneider und drei seiner Kollegen vom Leipziger Gewandhaus­orchester eine musikalisc­he Zeitreise von der Steinzeit bis in die Gegenwart. Als eine Mischung aus Waldarbeit­er und Urmensch entdeckten sie die Klangquali­täten von Holz und erzählten schließlic­h ihre ganz eigene Instrument­enund Musikgesch­ichte. Obendrein verzaubert­en sie mit manch feinem Arrangemen­t.

Die Stelzenfes­tspiele haben erneut gezeigt, dass sie zu den skurrilste­n deutschen Festivals zählen. Neben dem besten Monty-Python-Humor berauscht auch oft die Qualität.

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Musiker des Ersten Wiener Gemüseorch­esters.
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Am Samstagmit­tag begeistert­en die Chöre der Schule Tanna.

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