Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
„Deutschland wird 2021 besser dastehen“
Eu-haushaltskommissar Johannes Hahn verspricht Rabatt bei Zahlungen in den Eu-haushalt
Die EU ringt in der Coronakrise um einen gigantischen Wiederaufbaufonds. Nächste Woche könnte die Entscheidung fallen. Der österreichische Eu-haushaltskommissar Johannes Hahn sagt im Interview, warum eine Entscheidung so dringend ist. Dass Deutschland jetzt den Eu-ratsvorsitz übernommen hat, biete die „optimale Chance“, eine Einigung zu erzielen und die Krise gut zu managen.
Herr Kommissar, hat Europa die Corona-krise überstanden?
Johannes Hahn: Das lässt sich nicht vorhersagen. Die Versuchung ist groß, viele Vorsichtsmaßnahmen über Bord zu werfen. Wir sind alle gefordert und dürfen nicht vergessen, dass es das Virus nach wie vor gibt. Sollte es zu einer zweiten Welle kommen, sind wir jedoch besser vorbereitet. Aber wir müssen jetzt die richtigen Konsequenzen ziehen und uns in Europa schnell auf einen Wiederaufbauplan verständigen, um für alle Entwicklungen vorbereitet zu sein.
Dieser Wiederaufbauplan soll die Riesensumme von 750 Milliarden Euro umfassen und beim Eu-gipfel Mitte Juli beschlossen werden. Aber die Differenzen sind groß. Wie soll eine Einigung gelingen?
Ich appelliere an die politisch Verantwortlichen, dass wir schnell einen Beschluss fassen – für den Wiederaufbauplan und für das Budget für die nächsten sieben Jahre, mit dem wir ohnehin schon im Verzug sind. Es geht um die Absicherung von Arbeitsplätzen und Hilfe für Unternehmen und Investitionen in die Zukunft. Der Zeitdruck ist immens. Die von uns vorgeschlagene Architektur des Fonds wird im Großen und Ganzen akzeptiert. Jetzt wird über die „Inneneinrichtung“
diskutiert. Aber ich warne davor, sich zu sehr in Details zu verlieren: Die Bürger in Europa erwarten zu Recht eine Entscheidung. Wir müssen auch gegenüber den Finanzmärkten dokumentieren, dass wir entscheidungsfähig sind. Das ist wichtig für das Vertrauen. Wir haben auch eine globale Verantwortung. Der Erfolgsdruck ist also groß. Die Mitgliedstaaten müssen einen großen Schritt vorangehen. Ein paar Zentimeter Bewegung genügen nicht.
Einige Mitgliedsländer haben Zweifel, dass so viel Geld nötig ist. Kritik gibt es daran, dass auch solche Länder viel Geld erhalten sollen, die von Corona gar nicht so betroffen sind.
Die 750 Milliarden Euro haben wir uns nicht aus den Fingern gesogen. Sie sind das Ergebnis einer umfassenden Bedarfsanalyse, mit der uns der Rat beauftragt hat. Wir müssen uns auch wappnen für den Fall, dass die Krise noch schlimmer wird und wir mit ausreichend Feuerkraft schnell reagieren müssen. Viele nationale Regierungen haben das für sich schon getan. Jetzt geht es darum, dass die Mittel auch in ganz Europa zur Verfügung stehen, damit der Binnenmarkt funktioniert – das tut er nur, wenn alle Beteiligten wirtschaftlich erfolgreich agieren können. Und für den Verteilungsschlüssel haben wir eine Formel gewählt, die die Widerstandsfähigkeit der letzten Jahre zum Kernelement macht, denn die wollen wir ja stärken. Die Verteilung kritisieren fast alle Länder aus unterschiedlichen, teilweise auch wenig plausiblen Gründen. Deshalb habe ich ein gutes Gefühl, dass wir richtigliegen. Denn wir müssen ja den europäischen Gesamtnutzen und nicht die einzelne nationale Perspektive im Blick haben.
Wofür soll das Geld ausgegeben werden?
Wir müssen die Krise als Chance verstehen. Der europäische Fiskalrat sagt uns, dass das Nettoinvestitionsvolumen in Europa seit 2014 nicht mehr gestiegen ist. Das ist ein problematischer Befund. Jedes Land muss seine Hausaufgaben machen, um das Investitionsklima zu verbessern und das Wachstum anzukurbeln. Und wir müssen das verbinden mit den Zielen des europäischen
Green Deal und der Digitalisierung.
In Deutschland wird die Frage gestellt: Was wird uns das alles kosten? Erst mal muss Deutschland ein Viertel der Gesamtsumme übernehmen – rechnerisch 180 Milliarden Euro.
Zum einen geben wir kein Geld für Schulden der Vergangenheit aus, sondern für Zukunftsinvestitionen. Zum anderen: Die Höhe des Anteils sollte man nicht kleinreden, aber es ist eine theoretische Haftung – bislang ist in Europa noch nie ein Land tatsächlich in Haftung genommen worden. Denn wir schlagen vor, die Rückzahlung der Schulden durch neue Einkunftsquellen zu finanzieren, die den einzelnen Bürger nicht belasten. Zum Beispiel eine Abgabe auf nicht wiederverwertbares Plastik, eine Digitalsteuer für große Internetkonzerne oder eine Binnenmarktabgabe für
Unternehmen, die vom Binnenmarkt besonders profitieren. Und wenn die EU der heimischen Industrie für den Klimaschutz strengere Produktionsstandards vorschreibt, dann ist es nur fair, einen Ausgleichsmechanismus zu haben: Wer außerhalb der EU ohne diese Standards billiger produziert, sollte dann beim Import in die EU eine Abgabe zahlen.
Erste Reaktionen der Mitgliedsländer waren nicht so positiv.
Wenn alle diese Vorschläge angenommen werden, reichen die Einnahmen, um die Schulden zu bezahlen. Ich erwarte, dass die Kommission beim Gipfel beauftragt wird, einen konkreten Vorschlag zu den Eigenmitteln zu machen. Ja, wir müssen noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Aber die Alternative wären höhere Beiträge von allen Mitgliedstaaten – und da hält sich der Appetit in Grenzen.
Deutschland hat Schätzungen vorgelegt, nach denen der jährliche Beitrag für den Eu-haushalt auch ohne die Schuldentilgung ab 2021 um rund 40 Prozent steigen könnte – auf über 40 Milliarden Euro. Deutschland will als großer Nettozahler einen Beitragsrabatt. Kann es damit rechnen?
Ja, man kann davon ausgehen, dass es weiterhin Rabatte geben wird. In diese Richtung gingen ja schon Gespräche bei den Verhandlungen im Februar. Am Ende muss das ganze Paket stimmen. Aber ohnehin wird sich die Nettozahlerposition Deutschlands – wie die Position aller Mitgliedstaaten – in den nächsten drei, vier Jahren deutlich verbessern. Es wird ab 2021 besser dastehen als heute: Denn Deutschland wird ja von dem Aufbaufonds profitieren, aber dafür nicht mehr zahlen, wenn es nach unserem Vorschlag geht.